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Ausgabe:

1985

Spalte:

737-739

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Horn, Friedrich Wilhelm

Titel/Untertitel:

Glaube und Handeln in der Theologie des Lukas 1985

Rezensent:

Rese, Martin

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Theologische Literaturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 10

738

Horn. Friedrich Wilhelm: Glaube und Handeln in der Theologie des
Lukas. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1983. 400 S. gr. 8' =
Göttinger theologische Arbeiten, 26. Kart. DM 76,-.
Seit einigen Jahren findet die Ethik des Lukas wieder stärkeres
Interesse. Schon im 19. Jh. war man auf „ebionitische" Züge im luka-
mschen Sondergut aufmerksam geworden, und um die Jahrhundertwende
spielte der „Liebeskommunismus" der Jerusalemer Urge-
meinde eine wichtige Rolle in der Auseinandersetzung um die Vor-
'äuferdes Sozialismus (Kautsky). Heute streitet man sich darüber, ob
Lukas der Evangelist der Armen oder der Evangelist der Reichen sei.
Von irgendeinem Konsens in der Beurteilung der ethischen Aussagen
bei Lukas ist man weiter denn je entfernt. Auf diesem Hintergrund ist
H.s Arbeit zu sehen. Sie entstand bei G. Strecker in Göttingen, wurde
dort im Sommer 1982 als Dissertation angenommen und für den
Druck nur durchgesehen, leider aber nicht mehr überarbeitet und
gekürzt. Dem Buch hätte das gutgetan; denn die Ausführungen sind
teilweise etwas breit und umständlich, auch Stil und Syntax lassen zu
wünschen übrig. Doch ist H. zu bescheinigen: Niemand hat sich bisher
mit den Fragen der Ethik des Lukas so umfassend und gründlich
beschäftigt wie er.

Nach Vorbemerkungen zu Einleitungsfragen (11-23) und zur bisherigen
Forderung sowie dem Weg der Arbeit (24-34) setzt H. bei der
-ethische(n) Forschung in der Apg" ein (die Summarien in
Apg 2.42-47; 4,32-37; die Abschiedsrede in Milet, Apg20,17-35)
und wendet sich erst dann dem LkEv zu. Hier wird als erstes „das
Almosengebot in den beiden großen Kompositionen der Reichtums-
Paränese: Lk 12,13-34; 16,1-31" (58-88) und „als zentrale Forderung
des Evangelisten" (89-120) behandelt. Es folgen „eine traditionsgeschichtliche
Untersuchung" der „ebionitischen Traditionen"
des LkEv (121-168: Lk 6,20-26; 1,46-55; 16,19-26) und Ausführungen
zu ihrer ..redaktionellc(n) Verankerung" „in der Paränese"
"69-188), „Das lukanische Bild der ersten Jesusnachfolger als Beispiel
konsequenter Jüngerschaft" (189-203), „Die Forderung der
Selbsterniedrigung in der Gemeindeparänese" (204-214), „Lukas -
Evangelist der Gemeinde. Die Gemeindeparänese zu Besitz und
Selbsterhöhung in der Zielsetzung von Glaubens- und Gemeindegestaltung
" (215-243) und abschließend „Die Begründung der ethischen
Forderung und ihre Motivation" (244-286). Wie heute
bedauerlicherweise öfter erscheinen die Anmerkungen im Anhang
(287-369); dort stehen auch Literaturverzeichnis (370-395) und Stel-
lenregister (396-400).

Schon allein der Aufbau von H.s Buch läßt dreierlei erkennen: 1. H.
setzt bei der Apg ein - methodisch zu Recht, will er doch dem redaktionsgeschichtlichen
Kriterium Rechnung tragen, daß in der Apg
-noch am ehesten die Position des Evangelisten auszumachen" sei
(22). 2. Die Apg (besonders 20.35: „Geben ist seliger denn Nehmen
") gibt den Leitfaden für die Reihenfolge der Untersuchungen im
LkEv her; H. beginnt mit dem „Almosengebot" und geht erst danach
auf die „ebionitischen" Traditionen ein - ob diese Reihenfolge auch
sachliche Konsequenzen hat. wird noch zu bedenken sein. 3. Unverkennbar
treten im letzten Viertel des Buches stärker theoretische
Überlegungen in den Vorder-, die Texte selbst aber in den Hintergrund
; zusammen mit den Vorbemerkungen gilt also mehr als ein
Drittel des Buches allgemeineren Fragen - rein quantitativ weist das
auf eine gewisse theoretische Übcrlastigkeit hin.

H. sieht seine Hauptaufgabe in der Beantwortung der Frage, „wie
die scheinbar unterschiedlichen Aussagereihen in Lk/Apg (sc. „hier
Evangelist der Armen, dort Evangelist der Reichen") einander zuzuordnen
sind" (32). Eine solche Antwort müsse es geben, da Lk nicht
-ein unparteiischer Sammler von Traditionen sei, der über Divergenzen
hinwegsieht" (32). H. kommt zu folgender Antwort: Sowohl die
■ •Reichtumsparänese" in der Apg und im LkEv („Almosengebot"!) als
auch die Aussagen der ..Armenfrömmigkeit" im LkEv seien „durch
die gestaltende Hand des Evangelisten . . . auf eine einheitliche Ge-
rneindeparänese" hin ausgerichtet, „in deren Zentrum die Forderung
der Distanz zu Besitz (stehe), welche die Möglichkeit der Wohltätigkeit
gerade eröffne(t)" (204). „Von einem Ebionitismus des Evangelisten
Lk zu sprechen", sei bei einer derartigen Rezeption der Armenfrömmigkeit
„ausgeschlossen" (187). Auch bei der Forderung des
Besitzverzichts an die ersten Jesusjünger, und zwar „in den Berufungsberichten
, Aussendungs- und Nachfolgereden", sei „die Behauptung
einer ebionitischen Tendenz . . . ebenso abwegig wie die eines direkt
nachzuahmenden Vorbildes für Amtsträger"; vielmehr habe Lk „den
Besitzverzicht als den prägnanten Ausdruck des Bruches mit der Vergangenheit
im Leben der ersten Jünger aufgezeigt, weil seine Gemeinde
gerade in ihrem Besitzstreben an der Nachfolge gehindert"
werde und Lk sie zu „einer neuen Einstellung zu Besitz in Bescheidung
und Wohltätigkeit" auffordern wolle (2020. Dieser „Besitzpar-
änese" entspreche im übrigen die „Niedrigkeitsparänese des Evangelisten
" (Rezeption von Mt 23.12 = Q in Lk 18.14 + 14.11). was „abermals
die Einsicht" unterstreiche, „daß das lk Anliegen die Gemeindeparänese
ist, nicht aber ein Pauperismus oder Ebionitismus" (214).

Um sein Ergebnis zu vervollständigen und abzusichern, geht H.
noch eigens auf die „Gemeindesituation" ein, „soweit sie allein aus
dem Doppelwerk zu erkennen ist" (215). Gegen Schmithals u.a.
betont H.. „der Anlaß zur Paränese lieg(e) nicht in einer äußeren Bedrohung
der Gemeinde (Verfolgung. Irrlehre etc.), sondern einzig in
ihrer inneren Verfaßtheit"; es handele sich um eine „Situation beginnender
Plurilbrmität innerhalb der Gemeinde, der Diskrepanz zwischen
reichen und bedürftigen Christen" (243). Sachlich bringt dieser
Abschnitt nicht viel. Das gilt ebenso für den umfangreichen Schlußteil
; in ihm wertet H. sein Ergebnis als Stütze für die generelle These
seines Doktorvaters Strecker, das Christusgeschehen sei ...historischer
und theologischer Ausgangspunkt der neutestamentlichen Ethik'"
(244).

Worauf H. zielt, ist klar, und auch die Hauptstationen auf seinem
Weg zum Ziel sind bekannt. Auf zwei Einzelheiten dieses Weges sei
noch aufmerksam gemacht. Da ist einmal das Fehlen einer apostolischen
Paränese in der Apg; H. weist wiederholt daraufhin. Die Apostel
und auch Paulus belehren über Jesus als den Messias, sie vollbringen
Wunder, aber sie geben nicht konkrete ethische Einzelanweisungen
- mit einer Ausnahme: Paulus hebt in der Abschiedsrede in Milet
in Apg 20,33-35 seine eigene Bedürfnislosigkeit um der wirtschaftlich
Schwachen willen (so versteht H. hier zu Recht „asthenes") als nachzuahmendes
Beispiel hervor und begründet das mit dem Herrenwort
„Geben ist seliger denn Nehmen"; dieses Herrenwort findet sich
bekanntlich so nicht in den Evangelien, und H. vermutet, wahrscheinlich
habe Lk „eine griech(ische) Sentenz verchristlicht" (52). Nach H.
ist dieses Fehlen einer apostolischen Paränese nicht allein formal
durch die Gattung der Apg bedingt, sondern auch und vor allem durch
die „transparente Geschichtsschreibung" des Lk (247): Im ersten Teil
des Doppel werks, im LkEv, habe der irdische Jesus längst die autoritative
Weisung auch für die nachösterliche Gemeinde gegeben. „Die
apostolische Paränese ruf(c) daher zu nicht mehr als zum Bewahren
und Bleiben an dem H errn auf* (246). Dann lallt auf daß H. die
„ebionitischen" Traditionen im LkEv zunächst traditionsgeschichtlich
untersucht und erst danach ihre redaktionelle Verankerung. Mit
Ausnahme des Magnifieats lasse Lk die „ebionitischen" Traditionen
„gegen ihren ursprünglichen Sitz im Leben ... als Gerichts- und
Mahnworte die im Kontext dargelegte ethische Forderung motivieren
" (186), diese aber ziele eben auf „Distanz von Besitz, die gerade
Almosen ermöglicht" (187).

Beide Einzelheiten haben nur auf den ersten Blick nichts miteinander
zu tun. Doch hinter ihnen verbirgt sich ein Punkt, an dem H.s
Ergebnisse kritisch zu befragen sind. Denn wenn Lk in der Apg
bewußt fast keine apostolische Paränese bringt und wenn im Evangelium
die autoritative Weisung Jesu auch für die Zeit nach Ostern enthalten
ist. dann müßten bei einem Gesamtbild der Ethik des Lukas die
Aussagen des LkEv ein größeres Gewicht erhalten als die der Apg. Das
hieße aber gegen H.: I. Apg 20.35 kann nicht einfach zum sachlichen
Maßstab für die Ethik des Lukas gemacht werden. 2. ist der Gesamtrahmen
stärker zu beachten, in dem die „ebionitischen" Aussagen