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Ausgabe:

1985

Spalte:

52-55

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Der Übergang vom Atomismus zu einem mechanistischen Aristotelismus. Der revidierte Anschluß an Pierre Gassendi 1985

Rezensent:

Peiter, Christoph

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Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 1

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249-273 und aus dem Cod. Ochrid. 86 in: Symbolae Osloenses 38(1963)76-83
undCharisterion A. Orlandos, III. Athen 1966,47-55.

Vgl. dazu besonders R. Riedinger. Annuarium Historiae Conciliorum 9
(1977)257 A. 14.
4 So E. K. Chrysos im Vorwort zum Reprint S. IV.
Chrysos hatte von einigen der wichtigen Handschriften (Codd. Valic. 2200.
Vatop. 594, Paris. 1115) Probekollationen machen lassen.
" S. LXXXIX.

7 K.-H. Uthemann. Anastasii Sinaitae Viae Dux, CCSCi 8, Löwen 1981.
dazu der Aufsatz des Editors „Antimonophysitischc Aporicn des Anastasios
Sinaites", BZ 74 (1981) 11-26. Ad. S. 3 VII. IX. X, 11 II vgl. jetzt SCh 250.270,
247. Die S. 369 angeführte Edition J. Bärbels wiederholt nur den Text
Mignes.

Castellio. Sebastian: De arte dubitandi et confidendi ignorandi et
sciendi. With introduetion and notes by Elisabeth Feist Hirsch.
Leiden: E. J. Brill 1981. XII, 191 S. 8" = Studies in Medieval and
Reformation Thought, 29. Lw. hfl 68.-.

Das literarische Werk Castellios ist noch nach mehr als 400 Jahren
nicht leicht zugänglich. Einzelne Werke liegen in modernen Neuausgaben
vor. Eine Gesamtausgabe scheint nicht in Sicht zu sein. So ist
die Neuausgabe von Castellios wichtigem Spätwerk aus dem Todesjahr
1563, „De arte dubitandi", durch die Heideggerschülerin Elisabeth
Feist Hirsch, emeritierte Philosophieprofessorin am Trenton
State College, zu begrüßen. Sie hatte die gleiche Schrift bereits 1937
für die Accademia Reale d'Italia ediert. Für die vorliegende Edition
konnte sie die von 1937 als Basis verwenden. Sie führt aber gleichzeitig
darüber hinaus, da sie auch die dazumal aus ökonomischen Gründen
ausgelassenen Kapitel VII bis XXIX, des 2. Buches „De Justicia",
enthält. Außerdem ist die sog. Gouda-Handschrift verglichen worden,
deren wichtige Varianten in den Apparat aufgenommen wurden.

Im Vorwort (IX—XII) informiert die Hrsg. über die vorangehenden
Teilpublikationen und über die handschriftliche Überlieferung. Der
deutschsprachige Auszug bei H. Fast: Der linke Flügel der Reformation
. Bremen 1962, 377-387 wird nicht erwähnt. Die Einführung
(1-12) geht knapp auf Castellios Studium in Lyon sowie die Genfer
Zeit ein und skizziert die Grundgedanken von „De arte dubitandi".
Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung zwischen Calvin und Castellio
stand die Frage der Bibelinterpretation. Für Castellio sind nur die
heilsnotwendigen Lehren in der Bibel eindeutig (z. B. die Existenz
Gottes, Gottes Gerechtigkeit und Liebe zum Menschen). Nicht frei
von Widersprüchen im biblischen Zeugnis sind z. B. die Lehre von der
Taufe, Prädestination und vom Abendmahl. Deshalb muß die Bibel
mit kritischen Augen gelesen werden. Der Zweifel hat die Funktion,
Ausmaß und Grenze der biblischen Wahrheit zu erkennen. Der Vernunft
kommen Schiedsrichtereigenschaften zu. Obgleich Castellio
zugesteht, daß auch die Vernunft partiell eingegrenzt ist durch persönliche
Einstellungen und Gefühle, steht sein Zutrauen zu den menschlichen
Fähigkeiten in scharfem Kontrast zu Calvins Pessimismus. Im
2. Buch beschäftigt sich Castellio mit der Trinität. dem Abendmahl
(als spirituelle Gemeinschaft mit Christus verstanden), aber auch mit
Glaube und Rechtfertigung. Da er die Glaubensfrage mit dem
Problem der Willensfreiheit kombiniert, versteht er den Glauben
nicht als donum dei. Der Glaube ist ein menschliches Werk. Er ist
Folge der Erlösung von Sünden, die durch Gottes Gnade geschieht.
Castellio hat die Sorge, daß dem Menschen seine Spontaneität genommen
würde, wenn der Glaube als Gottes Werk zu verstehen wäre. Es
ging ihm nicht um Minderung des Glaubens, sondern um die Überzeugung
, daß ein „freier Glaube" stärker sei. War für Calvins Theologie
Christus als Erlöser zentral und setzte Luther seine Hoffnung auf
Gottes Gnade und Barmherzigkeit, damit der Mensch von der Sünde
befreit wurde, so ging es Castellio um die menschliche Reaktion auf
Christi Botschaft. Der Mensch wird nach Castellios Überzeugung
durch die effektiv verstandene Rechtfertigung vom Sünder zur moralischen
Person umgewandelt. Christi Geist verändert den Menschen

wirklich. Da Castellio die moralischen Mängel seiner Zeit stark beunruhigten
, sah er in Christus mehr den Seelenarzt als den Mittler. Er
weiß, daß ein Gerechtfertigter noch nicht perfekt ist, aber durch die
vorhandenen Mängel werden die menschlichen Taten nicht böse. So
entspricht Castellios Hochschätzung der moralischen Konsequenzen,
die dem Willen entspringen, an Christus zu glauben, seinem Optimismus
über die Vernunft und die Sinne als Quelle des Wissens und der
Erfahrung. Die Hrsg. macht darauf aufmerksam, daß „De arte dubitandi
" formale Mängel aufweist (Wiederholungen, Widersprüche,
unzureichende Definitionen). Die Kap. über die Gnade im 2. Buch
sind überdies unvollendet geblieben. Dennoch hatte dieses Werk, in
dem er den Sinnen und der Vernunft eine so bedeutende Stelle in
seinem Bibelverständnis zuwies, weitreichende Konsequenzen. Mit
seiner Auffassung von der universalen Rolle der Vernunft (Richter
über die Wahrheit) verkündet crcin neues Zeitalter. Er selbst betritt es
allerdings noch nicht (11). Der Beitrag anderer Religionen zur religiösen
Wahrheit ist noch nicht in seinem Blick. Er kann auch weder als
Rationalist noch als Mystiker bezeichnet werden. Auf eine Einordnung
von „De arte dubitandi" in Castellios Gesamtwerk sowie eine
Darstellung des religiösen Hintergrundes und des Einflusses auf seine
Zeit verzichtet die Hrsg. Sic verweist statt dessen auf ihre noch in Vorbereitung
befindliche Untersuchung über Scrvets Konllikt mit Calvin
und Castellios Reaktion.

Die nun gut zugängliche letzte Schrift Castellios hat nur einen sparsamen
Anmerkungsapparat erhalten (vor allem Varianten des Gouda-
Textes und Verifizierung von Bibelstellcn sowie antiken oder zeitgenössischen
Autoren). Die Titclangaben bei der Sekundärliteratur sind
manchmal recht unvollständig ausgefallen (37, 40 u. ö.). Nicht in
allen Fällen werden zeitgenössische Autoren nach den gängigen
wissenschaftlichen Ausgaben zitiert (z. B. 28: Rothmann; 60: Luther).
Von Rhegius' Dialogus wird ein Nachdruck angeführt, ohne zu
vermerken, daß die Originalausgabe bereits 1537 erschienen ist.
Die Folioangaben der Druckvorlage scheinen nicht immer exakt zu
sein(z. B. 180, 182, 185).

Berlin Siegfried Bräuer

Moll, Konrad: Der junge Leibniz. 1: Die wissenschaftstheoretische
Problemstellung seines ersten Systementwurfs. Der Anschluß an
Erhard Weigels Scicntia Generalis. II: Der Übergang vom Atomismus
zu einem mechanischen Aristotelismus. Der revidierte Anschluß
an Pierre Gassendi. Stuttgart: Frommann 1978/82. 129 S. u.
214 S. 4". Lw.je DM 88,-.

Am Ende der frühen, vom „Joch des Aristoteles" freien „mehr
materialistischen" atomistisch-mechanistischen Phase seiner
selbständigen philosophischen Entwicklung sah sich der junge Leibniz
- unter Festhalten am Prinzip mathematisch-mechanischer
Naturerklärung - veranlaßt, zum aristotelischen Begriff der substan-
tialcn Form zurückzukehren. Die vorliegende, auf drei Bände veranschlagte
Arbeit, deren erster Band unter Förderung durch die
württembergische evangelische Landeskirche veröffentlicht wurde,
sucht in detaillierter Analyse eines begrenzten Textkomplexes zur
Aufklärung über die historischen und sachlichen Voraussetzungen
und Zusammenhänge eines frühen Stadiums jener lür den Weg zur
Monadenkonzeption wichtigen Wende des jungen Leibniz (= L) beizutragen
. Ihr vorzüglicher Gegenstand sind zwei (von Moll als „Erster
Systementwurf'gewürdigte) Briefe Ls vom 26. 9. 1668 und (1670 als
Beigabe zur Nizolius-Ausgabe gedruckt) vom 20.4. 1669 an Jakob
Thomasius. Hier verwendet L jenen Begriff erstmals wieder. Er
bekundet die Überzeugung von der prinzipiellen Übereinstimmung
der „Reformatores" der Philosophie (wie z. B. Gassendi und Hobbcs)
mit dem wirklichen, scholastisch freilich verdunkelten, Aristoteles
und faßt die Aufgabe ins Auge, aristotelische Grundbegriffe (wie
matcria, forma, mutatio) mit den Mitteln mechanistischer Physik (per