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Ausgabe:

1985

Spalte:

734-735

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Pilgaard, Aage

Titel/Untertitel:

Jesus som undergører i Markusevangeliet 1985

Rezensent:

Theißen, Gerd

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Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 10

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daß er eine Fülle von Beispielen für gelungene Vermittlung zwischen
exegetischer Forschung und kirchlicher Gegenwartsproblematik enthält
. Wer bisher der Meinung gewesen sein sollte, daß die neutesta-
mentliche Wissenschaft mit ihren hochgezüchteten und spezialisierten
Fragestellungen nur für einen esoterischen Kreis von Fachleuten
interessant sei, muß sich hier eines Besseren belehren lassen. Hier
schreibt nicht ein Neutestamentier, der daneben zufällig auch noch
Landesbischof ist. Lohse hat vielmehr die theologischen Perspektiven
und Einsichten des Neutestamentiers in sein Bischofsamt eingebracht,
und er hat umgekehrt die Einsichten und Erfahrungen des kirchenleitenden
Amtes für seine Arbeit am Neuen Testament fruchtbar werden
lassen. Was ihm dabei zustatten kommt, ist seine schon oft unter
Beweis gestellte didaktische Fähigkeit. Es gelingt ihm, komplizierte
Entwicklungsprozesse übersichtlich dazustellen - so in dem Beitrag
-Die Entstehung des Bischofsamtes in der frühen Christenheit" -,
theologische Diskussionen auf die sie bestimmenden Grundmotive
hin transparent zu machen (Beispiel: „Die Einheit des Neuen Testaments
als theologisches Problem") und Verbindungslinien zwischen
geschichtlich weit Auscinanderliegendem zu ziehen; so wird z. B. in
■■Kirche im Alltag, Erwägungen zur theologischen Begründung der
Ethik im Neuen Testament" der ethische Ansatz des Neuen Testaments
in einer schlechthin überzeugenden Weise mit heutigen
ethischen Grundsatzüberlegungen in Relation gebracht. Unübersehbar
ist freilich auch, daß solches didaktisch motiviertes Vorgehen notwendig
auch zu Verkürzungen und Simplifizierungen führen muß. So
w'rd z. B. nirgends deutlich, daß der von Lohse programmatisch
geforderte Rückbezug auf die Christusverkündigung als die Mitte der
Schrift keineswegs ein eindeutiges Kriterium für die Beurteilung der
Vielfalt des neutestamentlichen Zeugnisses an die Hand gibt, weil
auch diese Christusverkündigung recht unterschiedliche Akzente
trägt.

Von den bisher noch nicht erwähnten Beiträgen verdienen zwei
einen besonderen Hinweis, nämlich die Nachrufe auf Leonhard Gop-
Pelt („Das Neue Testament als apostolische Urkunde") und Joachim
Jeremias („Die Vollmacht des Menschensohnes"). In ungemein
nobler Weise zeichnet Lohse hier Bilder zweier Forscherpersönlichkeiten
, in denen sich Nähe und Distanz deutlich mischen. Sehe ich
recht, so ist in der Darstellung Goppelts die Distanz ein beherrschenderes
Moment als in der Studie über Jeremias, mit dessen Lebenswerk
äch Lohse, bei aller Kritik im einzelnen, eng verbunden weiß.
Wo Lohses kritischer Vorbehalt gegenüber Goppelt ansetzt, wird in
Aussagen wie jenen deutlich, Goppelts Darstellung der apostolischen
und dernachapostolischen Zeit stütze „weithin das von der Tradition
überlieferte Bild von den Anfängen der Kirche" und baue „gegen die
von der kritischen Forschung gefällten Urteile eine Gegenposition"
;|uf. „indem zugleich einzelne Einsichten aus der historisch-kritischen
Exegese und der religionsgeschichtlichen Analyse der Texte aufgenommen
werden" (210), und er habe „sich nicht gescheut, sein Urteil
so entschieden wie irgend angängig abzugeben und anderen Auflassungen
mit seiner Ansicht zu widersprechen" (211). Für Lohse war
doppelt ein Einzelgänger, der überholte Forschungspositionen eigensinnig
verteidigte, wobei er solchem Einzelgängertum nicht seinen
Respekt versagt und ausdrücklich zugesteht, daß durch Goppelts
Arbeit „die Problematik scharf herausgestellt" und „Fragen formu-
hert" werden, „die weiterhin diskutiert werden müssen" (210). Ich
wage jedoch zu bezweifeln, daß diese Charakteristik zutrifft. Goppelt
War insofern Einzelgänger, als er außerhalb bestehender Schulströmungen
stand; aber er war weder ein starrer Traditionalist, noch zum
Dialog mit andern Forschern unfähig. Es trifft nicht zu, daß er - wie
Lohse (206) unterstellt - an Positionen, die er in seiner - gewiß noch
recht unkritischen - Erstlingsarbeit von 1939 vertrat, bis zu seinem
Lebensende festgehalten hätte. So hat er z. B. die dort ausgesprochene
Ansicht, bereits der vorösterliche Jesus müsse den Gedanken der Kirche
gefaßt haben, später durch eine stärker differenzierende Sicht
ersetzt. Und schlicht falsch ist die Behauptung, Goppelt habe in seinen
späteren Arbeiten die unmittelbare Stiftung des Apostolals durch

Jesus gelehrt (208), wie sich aus allen seinen einschlägigen Veröffentlichungen
mühelos nachweisen ließe. Meines Wissens hat Goppelt
auch niemals „ein heilsgeschichtliches Verständnis des Neuen Testaments
als wissenschaftliche Methode der historisch-kritischen und der
religionsgeschichtlichen Forschung gegenübergestellt" (211). Heilsgeschichte
war für ihn nicht eine mit der historischen Kritik konkurrierende
Methode, sondern eine hermeneulische Betrachtungsweise -das
aber ist ein nicht unerheblicher Unterschied.

Erlangen Jürgen RolofT

Pilgaard, Aagc: Jesus som undergarer i Markusevangeliet. Undertra-
ditionensbetydning for Markusevangeliets kristologi. Kopenhagen:
Gad 1983.200 S. 8' = Bibel og historie, 3. Kart, dkr 110.-.

Die Lizentiatsarbeit des in Aarhus lehrenden Neutestamentiers
A. Pilgaard: „Jesus als Wundertäter im Markusevangelium" gehört
zu jenen Arbeiten, die - im Gegenzug zu einer allzu „konsequenten"
Redaktionsgeschichte - die Bindung des Markusevangelisten an seine
Tradition betonen und in ihm einen relativ konservativen Redaktor
sehen, eine Richtung in der Markusforschung, die gerade durch skandinavische
Beiträge gefördert wurde (H. Simonsen, H. Räisänen).
Beim Thema „Wunder im Markusevangelium" muß P. von diesem
Standpunkt aus notwendigerweise Widerspruch gegen die verbreitete
Meinung einlegen, Markus habe ein distanziertes Verhältnis zu den
von ihm in das Evangelium aufgenommenen Wundergeschichten
oder befinde sich gar in polemischer Auseinandersetzung mit einer
Wundermannchristologie (der sogenannten „theios-aner-Christo-
logie"). Ausgehend von Beobachtungen zur Komposition und Redaktion
der zum Thema „Wunder" relevanten Perikopen kommt Pilgaard
zu folgenden Ergebnissen:

1) Jesu Wundertaten und seine Lehre erhellen einander. Seine
Lehre ist im Unterschied zu der der Schriftgelchrten eine Lehre „in
Vollmacht", d. h. sie zeigt sich in Wundern. Wunder können deshalb
als „neue Lehre" (1.27) bezeichnet werden. Und die Verbreitung des
Gerüchts vom Wundertäter Jesu ist ebenso ein keryssein (1.45: 5.20;
7,37) wiedie Verkündigung seiner Lehre(l,15 u. ö.).

2) Zwei Gruppen von Wundergeschichten lassen sich form- und
rcdaktionsgeschichtlich unterscheiden und korrespondieren zwei verschiedenen
Aspekten seiner Lehre: In öffentlichen Wundern zeigt sieh
die von Jesus gelehrte „Nähe der Gottesherrschaft" (1.15): in Oflen-
barungswundern gegenüber dem Jüngerkreis zeigt sich das „Geheimnis
der Gottesherrschaft" (4,11), nämlich Jesu Würde und Schicksal
.

a) Die Öffentlichen Wunder umfassen Exorzismen. Legitimationswunder
und Heilungen (Legitimationswunder sind Mk2.1ff; 3,111).
Mit ihnen beginnt das Evangelium. Exorzismen zeigen, daß der Satan
überwunden ist und daher die Gottesherrschaft nahe ist. Die Dämonenbekenntnisse
sind eine Versuchung, Jesus möge seine Würde vorzeitig
offenbaren. Jesus lehnt das durch Schweigegebote ab - ebenso
wie die Schweigegebote an Geheilte nicht dem Wunder gelten, sondern
der Tatsache, daß Jesus die Wunder getan hat (vgl. 1,44 0.

b) Die Offenbarungswunder an Jünger umfassen Rettungswunder,
Speisungserzählungen und eine Totenauferweckung. Sie beginnen
erst 4,35fT, nachdem eine grundsätzliche Trennung zwischen den Jüngern
und der Menge vorgenommen wurde: Nur den Jüngern ist das
Geheimnis der Gottesherrschaft gegeben (4,1 1). Anders als bei den
öffentlichen Wundern, wo Jesus das Bekanntwerden seiner Person
und Würde zu unterbinden sucht, wirbt Jesus gegenüber seinen
Jüngern um Verständnis für seine Würde, trifft aber zunächst nur auf
deren Unverständnis.

3) Wundertradition und Passionsgeschichte erhellen einander. Die
Passion dient keineswegs dazu, die Wunder zu relativieren, vielmehr
ist der an den Wundern gewonnene und von Petrus zum ersten Mal
artikulierte Glaube an die Messianität Jesu (8,27ff) Verstehensvoraus-
setzung für die Passion: Zunächst müssen die Jünger begreifen, daß