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Ausgabe:

1985

Spalte:

725-726

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Beyerlin, Walter

Titel/Untertitel:

Wider die Hybris des Geistes 1985

Rezensent:

Seidel, Hans

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Seite 1

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725

Theologische Literaturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 10

726

gekoppelt sein. Auch die VfT. erklären, die Strukturanalyse und die
(jattungsforschung seien untrennbar. Sie überbewerten aber die erste,
wenn sie beispielshalbcr behaupten, in Ps 60 bilde das Zentrum ein
Orakel (V. 8-10) und nicht eine Klage oder ein Hilferuf.

Im zweiten Teil («Relations et Acteures») geht es um die Polarität
Lob-Gebet, um die Beziehungen, die zwischen beiden bestehen, vornehmlich
im Blick auf diejenigen, die sie im Kult vortragen. Die
Autoren befassen sieh hier mit formalen Gattungskriterien, die objektiv
feststellbar sind, und der Funktion, welche Lob und Gebet haben.
s'e unterscheiden 5 Formen des Lobs: 1. Faire louer les autres: la
louange factitive (Crüsemanns imperativischer Hymnus), II. Louer: la
'ouange performative (das im wesentlichen von einer Einzelperson
ausgeübte Lob). III. D'une louange ä l'autre: la louange mixte (Verbindung
von I und II). IV. Reconnaitre: la louange performative
COmmunautaire (entspricht weitgehend dem Danklied). V. Benir: la
louange factitive inversee (Lob um anderweitig und an anderen erwiesener
Taten Gottes willen). Das Gebet beschreiben die VfT. nach dem
Modell, das R. Jakobson für die Sprachanalyse vorgelegt hat (Lin-
guistique et Poetique. Essais de Linguistique generale, 209-249).

Der dritte Teil («Codes et Messages») geht den in den Psalmen auftretenden
Bedeutungsbereichen, den sprachlichen Ausdrucksmitteln
und der unverwechselbaren Singularität jedes Textes nach. Während
also die Teile 1 und 2 die Gemeinsamkeiten vorführten, befaßt sich
der letzte mit den jedem Psalm eigenen Besonderheiten.

Der Leser hat hier ein inhaltsreiches Arbeitsbuch zur Hand, das
kritisch gebraucht sein will und selbständiges Durchdenken der Fragestellungen
erfordert. Die Fülle zu erschließen, ermöglicht ein ausführliches
Stellenrcgister.

Leipzig Wolfram Herrmann

Beyerlin, Walter: Wider die Hybris des Geistes. Studien zum 131.
Psalm. Stuttgart: Kath. Bibelwerk 1982. I17S. 8" = Stuttgarter
Bibelstudien, 108. Kart. DM 24,80.

Mit vorliegender Studie setzt der Vf. seine Untersuchungen zu einzelnen
Psalmen (Ps 52; 107; 126) fort. Nach einem kurzen Überblick
über die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten von Ps 131 nennt der
Vf. die Auslegungsmethode, die seiner Meinung nach am besten zur
Auslegung dieses Psalms geeignet erscheint: Die Motiv- und Traditionskritik
. Außerdem liege auf der Hand, „daß erst nach der Motiv-
und Traditionskritik es Sinn und Verstand haben kann, die Frage
nach dem Verfasser zu verfolgen, die nach der Gattung, dem Sitz im
Leben, schließlich auch die nach dem Zeitansatz." (15) Damit ist aber
die Anwendung des üblichen methodischen Instrumentariums nicht
abgelehnt. In der Textkritik entscheidet sich der Vf. in V. 2b für die
schwierigere Lesart und übersetzt: „Wie ein Entwöhntes zu seiner
Mutter, wie ein Entwöhntes, so ist meine Seele zu mir." Unter der
Überschrift .Semantik 1" werden die verschiedenen Übersetzungsmög-
Kchkeiten der in V. 2b verwendeten Präposition al untersucht. Die
Übersetzung al=.auf" wird abgelehnt, da die Sache sonst frappante
Konturen annehme: „Da steht eine Frau, eine Mutter, die ihr .entwöhntes
', also etwa dreijähriges Kind huckepacktragend .auf sich
hat. und-singt. Singt just eben unseren Psalm." (23) Der Vf. übersetzt
die Präposition mit .zu (hin)'. Verglichen werden das Verhalten der
Seele /u des Beters Ich mit dem Verhalten des entwöhnten Kindes /u
seiner Mutter. Abgesehen von der Überschrift wird Ps 131 als literarische
Einheit angesehen, was auch der homogene Stil unterstreiche.
>m Abschnitt .Semantik II' geht der Vf. auf die Bedeutung von .Herz'
und .Auge' ein. Daß dabei das Stichwort .Synekdoche' häufig fällt und
auch sonst mit Fachausdrücken nicht gespart wird, kann höchstens
den Laien irritieren, falls dieser als Leser erwünscht ist. Erfreulich
zeigt eine zweite Übersetzung den bis dahin erreichten Erkenntnis-
und Auslegungsfortschritt. In der Motivkritik, die nach geprägten
Bedeutungssyndromcn fragt, benennt der Vf. als wichtiges Motiv,
• daß die Seele des Beters vollkommen zur Ruhe gebracht sei, stürme
auf sein Ich nicht mehr ein" (62). Dieses Motiv präge den ganzen

Psalm, so daß von einem .Thema' gesprochen werden könne. Als
Parallelen böten sich Ps 42; 43; 62; 77, Prov und die Hiobdichtung an
(was die Hybris des Herzens betreffe). Hier werden Verbindungen
sichtbar, die sich nicht aus literarischer Abhängigkeit, sondern aus
fundamentaler Verwurzelung im Überkommenen erklären lassen.
Der Wurzelboden sei die jüngere Weisheit und innerpsalmistische
Traditionen. Aus alledem lasse sich zusammenfassend schließen, daß
der Autor von Ps 131 Weisheitslehrer war, institutionell der Tempel-
schule zugehörig, der im gemeindlichen Kult im Vorhof des Tempels
auf dem Zion dieses individuelle Vertrauensbekenntnis vorgetragen -
nicht gesungen - habe, wahrscheinlich im Rahmen eines Wallfahrtsfestes
. Die Weiterverwendung und Tradierung bleibe nicht die Sache
beamteter Weiser, sondern jeder, der „willens war, durch weisheitliche
Reflexion und Selbstdisziplinierung, durch den Kampf wider die
Hybris des Geistes, seine Seele zur Ruhe zu bringen" (89). könne sich
zum Gebet dieses Psalmes entschlossen haben.

Die Angaben der Überschrift („von David". ..Wallfahrtslieder")
signalisieren dem Vf. zwei Redaktionsstufen (terminus ante quem um
200 v.Chr.).

Die Studie ist durch die Intensität des Umgangs mit dem Text sehr
anregend. Die häufig spöttisch-kritische Darstellungsweise nimmt
den Leser leicht für die Überlegungen des Vf. ein, ohne daß bemerkt
wird, wie ironisch-ungenau die kritisierten Positionen skizziert werden
. Das gilt von der „huckepack ihr Kind schleppenden Mutter". wie
von der Schilderung des Pilgerzugs, der unaufmerksam in immer
neuen Stops die Pfiichtdeklamation der 15 ..Wallfahrtspsalmen" über
sich ergehen lassen muß. Mit phantasievollen Verzeichnungen läßt
sich nur schwer ein Sachgespräch führen. Dazu aber fordern die
Thesen des Vf. geradezu heraus, wenn es z. B. um die Frage geht, wie
sich .Motiv' und .Thema' literarisch abgrenzen und bestimmen lassen
, welche Funktion ein Weisheitslehrer im Kult hat (falls der .Weisheitslehrer
' aus den weisheitlichen Sprachformen ableitbar ist), wie
sich die Spätdatierung der Endredaktion zur Entstehung des Gesamtpsalters
verhält usw.

Selbst wenn man beim Studium des Ps 131 oder der ..Wallfahrts-
lieder" zu anderen Ergebnissen als der Vf. kommt, wird man mit
Gewinn diese Studie lesen.

Leipzig Hans Seidel

Charlesworth, James H. [Ed.]: The Old Testament Pseudepigrapha.

Vol. 1: Apocalyptic Literature and Testaments. Garden City,
N. Y.:Doubleday 1983.L, 995 S.gr.8'.Lw.$35.-.

Eine moderne Übersetzung der Pseudcpigraphen des Alten Testaments
steht schon lange aus. Die Werke von E. Kautzsch, Die Apokryphen
und Pseudcpigraphen des Alten Testaments (1900), und
R. H. Charles, The Apocrypha and Pseudepigrapha of the Old Testament
in English (1913), sind nicht nur längst vergriffen, sondern auch
wissenschaftlich überholt. P. Riessler, Altjüdisches Schrifttum außerhalb
der Bibel (1927), ist zwar jüngeren Datums und wurde 1966 noch
einmal nachgedruckt, doch war diese Ausgabe für weitere Leserkreise
bestimmt und verzichtete deshalb auf einen wissenschaftlichen Kommentar
. Seither ist nur in dänischer Sprache eine Neuherausgabe der
Pseudcpigraphen zu verzeichnen gewesen (E. Hammershaimb, De
Gammeltcstamentlige Pseudepigrapher, 1953-1976). die aber wegen
der .Sprachbarriere' außerhalb Skandinaviens nur geringe Verbreitung
und Nutzen fand. Vorbereitungen zu einer den Anforderungen
der Gegenwart genügenden Übersetzung ins Deutsche und Englische
begannen erst Anfang der siebziger Jahre. Von der deutschen, mit Einschluß
der Apokryphen auf fünf Bände berechneten Ausgabe, die
unter Federführung von W. G. Kümmel seit 1973 in Gütersloh herauskommt
, ist inzwischen schon eine ganze Reihe von Einzellieferungen
verfügbar. Verlag und Herausgeber der vorliegenden englischen
Ausgabe entschieden sich für ein geschlossenes Erscheinen in zwei
starken Bänden, deren erster nun nach rund zehnjähriger Arbeit am
Projekt fertiggestellt werden konnte. In absehbarer Zeit werden also