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Ausgabe:

1985

Spalte:

700-702

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Die Lesepredigt. Eine Handreichung. 17. Jahrgang 1983/84 1985

Rezensent:

Adorf, Johannes

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699

Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 9

700

Kenner wird dabei Züge des Jung-Bildes (im doppelten Sinne) entdecken
, die ihm bisher unbekannt oder entgangen waren.

Die Herausgeberin hat das biographische Material ähnlich angeordnet
wie in dem schon erwähnten Buch von 1962. In einem „Prolog"
(S. 3-7) schildert sie knapp, was dann der ganze Band widerspiegelt:
C. G. Jung, den Menschen und Psychologen, als einen schöpferischen
Introvertierten, dessen eigentliches Leben immer am stärksten von
inneren, spirituellen Erfahrungen bestimmt war und der doch als sehr
dynamische und aktive Persönlichkeit auf seine Umwelt einwirkte, in
einem lebhaften Familienkreis, in zahllosen Begegnungen mit Freunden
, Schülern, Patienten und Besuchern, in bewußter handwerklicher
und künstlerischer Prägung seiner Wohn- und Arbeitsatmosphäre, in
Liebe zur Natur, zum Reisen und überhaupt in wacher Zuwendung zu
allem, was menschliche Existenz einschließt.

Es folgt ein Kapitel über die Großeltern und Eltern, unter denen
Carl Gustav Jung 1.. der Großvater, hervorragt, der (nach einer unbewiesenen
Familienlegende ein unehelicher Sohn Goethes!) unter
Schlciermachers Einfluß zum Protestantismus konvertierte, als verfolgter
„Demagoge" dreizehn Monate in Haft war und später als
Mediziner Rektor der Universität Basel wurde, zugleich aber auch
Großmeister der schweizerischen Freimaurerloge war. Jungs Vater,
Johann Paul Achilles, war reformierter Pfarrer, hatte u. a. Orientalistik
studiert und eine Dissertation über eine arabische Version des
Hohenliedes geschrieben. Der Großvater mütterlicherseits, Samuel
Preiswerk, war ebenfalls ein gelehrter Mann und Dekan der Basler
Pfarrerschaft; er dozierte zeitweise in Genf hebräische Sprache und
Literatur, gab ein orientalistisches Journal heraus und setzte sich
bereits damals für die Rückkehrder Juden nach Palästina ein.

Weitere Kapitel betreffen Jungs Kindheit, Studienjahre, erste
Forschungen auf dem Gebiet der Parapsychologie und seine psychiatrische
Assistentenzeit bei Eugen Bleuler am Burghölzli-Hospital, wo
Jung später als Oberarzt seine bekannten Assoziationsexperimente
durchführte und zugleich an der Universität Zürich über Psychologie
und Psychoneurosen lehrte. Ein besonderes Kapitel ist dem Verhältnis
zu Sigmund Freud gewidmet, das 1906 begann und 1913 nach
Jungs Veröffentlichung „Wandlungen und Symbole der Libido" zerbrach
, weil die beiderseits so divergenten Standpunkte und Persönlichkeitsstrukturen
auf die Dauer wohl nicht zusammenpaßten.
Auszüge aus dem Briefwechsel mit Freud, Berichte über die gemeinsame
Amerika-Reise 1909 und eindrückliche Fotos des großen
Lehrers und Rivalen - u. a. vom Kongreß der Psychoanalytiker 1911
in Weimar, wo man viele bekannte Schüler und Mitarbeiter Freuds in
einer vorzüglichen Gesamtaufnahme sehen kann - dokumentieren
diesen wichtigen Einschnitt in der Entwicklung Jungs und der ganzen
psychoanalytischen Bewegung. Auch die Beziehung zu Alfred Adler
wird erwähnt. In einer bisher unveröffentlichten Notiz betont Jung,
daß Adler als erster den sozialen Kontext des Problems der Neurose
beleuchtet und dadurch bedeutsame Hinweise für die Therapie gegeben
habe(zit. S. 65).

Nach dem Bruch mit Freud erlebte Jung zwischen 1913 und 1919
eine vorwiegend introvertierte Phase, die A. Jaffe als „Konfrontation
mit dem Unbewußten" beschreibt. Seine Lehrtätigkeit an der Universität
stellte er 1913 ein und als der erste Präsident der Internationalen
Psychoanalytischen Vereinigung (1910-14) trat er zurück. In einer
Art von Selbstversuch gab er sich seinen Phantasien, Träumen und
mystischen Erfahrungen hin, die er u. a. im sogen. Roten Buch niederlegte
, in dem er esoterische Texte und Bilder gestaltete. Das Kapitel
„Mandala" (S. 77-95) zeigt, daß Jung sie nicht nur in der indischen
Tradition und bei sich selber entdeckte, sondern auch in der europäischen
Kunst, in Städtebauplänen und-durch moderne Mikroaufnahmen
belegt - auch in der Natur, in Petrefakten und bei physikalischen
Prozessen. In dieser Zeit entwickelte Jung seine bekannten
Theorien vom kollektiven Unbewußten, von der Individuation, von
anima, animus und persona sowie von den Archetypen usw. Seit 1928
setzte die umfangreiche Beschäftigung mit der alchemistischen Uberlieferung
ein. Für die Praxis der Psychotherapie (S. I 15 ff knapp angedeutet
) haben Jungs eigene Erfahrungen und Forschungen sich vor
allem in der Traumanalyse und der Fortführung zur aktiven Imagination
niedergeschlagen; zahlreiche von Patienten gemalte Bilder
illustrieren den diesbezüglichen Text. Ähnlich haben seine Erkenntnisse
aus dem Studium der Alchemie auf die Ausbildung seiner
Psychologie der „Übertragung" eingewirkt. Dieses Grundphänomen
jeder Psychoanalyse beweise, daß keine Individuation ohne Beziehung
zu einer anderen Person erreicht werden könne (vgl. S. 125).

Nicht zufällig geht anschließend - etwa mit Beginn der zweiten
Hälfte des Bandes - die Darstellung auf Jungs „Haus und Familie"
über(S. 131-147). Das glückliche Leben mit der großen Kinderschar
und vor allem mit seiner Ehefrau Emma Jung, die in seltener Harmonie
als differenzierte Persönlichkeit und eigenständige Psychotherapeutin
ihren Mann menschlich und fachlich zutiefst verstehen und
begleiten konnte, bedeutete für ihn ein „Gegengewicht zu der fremden
Innenwelt" und die „Basis, zu der ich immer zurückkehren konnte"
(zit. S. 131). Gegengewicht waren auch die Arbeit mit den Patienten,
die Wiederaufnahme der Lehrtätigkeit seit 1933 an der Eidgenössischen
Technischen Hochschule in Zürich über „Moderne Psychologie
", ab 1935 bis 1942 als Titularprofessor, und die großen Reisen, die
u. a. nach Afrika, Amerika und Indien führten. Briefe an seine Frau,
später verfaßte Berichte und von der Herausgeberin hinzugefügte entsprechende
Abbildungen veranschaulichen den erheblichen Einfluß,
den diese Unternehmungen nicht zuletzt auf Jungs Denken hatten.

Interessante Einblicke in die durch Jung wesentlich milgeprägten
„Eranos-Konferenzen" (181-187) und in das von ihm eigenhändig
gestaltete Ferien- und Altersasyl „Der Turm in Bollingen"
(S. 188-205) am oberen Zürichsee vermitteln zwei weitere Kapitel,
bevor das Buch mit den Abschnitten „Religion" (S. 207-211) und
„Leben und Tod" (213-217) endet. Jung starb am 6.6. 1961 im
86. Lebensjahr. Auf seinem Grabstein in Küsnacht steht das Wort des
Delphischen Orakels, das er auch über die Eingangstür seines Wohnhauses
gesetzt hatte: Vocatus atque non vocatus deus aderit - nun
erweitert durch das Zitat aus I Kor 15,47: Primus homo de terra
terrenus, secundus homd de caelo caelestis.

Dem Band angefügt sind eine kurzgefaßte Chronologie, die einen
leichten Uberblick über Jungs Lebensstationen und die Erscheinungsdaten
seiner Hauptwerke ermöglicht, ferner ein Glossar einiger
wesentlicher Begriffe seiner Psychologie (ähnlich dem in „Erinnerungen
, Träume, Gedanken", 1962), eine Liste der Bände in den
„Gesammelten Werken" und ein sehr willkommener Index der
Namen und Sachen (S. 233-238). Verlag und Herausgeber haben mit
dieser ebenso gehaltvollen wie schönen Publikation C. G. Jung ein
würdiges Denkmal gesetzt, für das jeder, der das wertvolle Buch sein
eigen nennen oder es einmal in die Hand bekommen kann, dankbar
sein wird.

Rostock Ernst-Rüdiger Kiesow

1 vgl. Näheres in meinen „Bemerkungen zu C Cj. Jungs Selbstdarstcllung".
in: Wege zum Menschen, 17. Jg. Göttingen 1965, S. 146-150.

Praktische Theologie: Homiletik

Die Lesepredigt. Eine Handreichung. 17. Jahrgang 1983/84. Ordnung
der Predigttexte: 6. Reihe. München: Kaiser 1984. VIII.
5l2S.8'Lw. DM 44,-.

Reiß, Heinrich: Reden von der Güte Gottes. Predigten und Texte im
Kreis des Kirchenjahres. Bielefeld: Luther-Verlag 1983. 157 S. 8'.
Kart. DM 9,80.

Bonhoeffer, Dietrich: Predigten - Auslegungen - Meditationen
1925-1945. Hrsg. von O. Dudzus. 1. Bd.: 1925-1935. München:
Kaiser 1984. 504 S. 8'. Pp. DM 45,-.