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Ausgabe:

1985

Spalte:

47-49

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Anastasii Sinaitae Viae Dux 1985

Rezensent:

Winkelmann, Friedhelm

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47

Theologische Literaturzeitung 1 10. Jahrgang 1985 Nr. 1

4N

Dogmen- und Theologiegeschichte

Anastasii Sinaitae Viae Dux. Curavit Karl-Heinz Uthemann. Turn-
hout: ßrepols; Leuven: Leuven University Press 1981. CCXXLIX,
415 S.. Beilage: 3 Übersichten gr. 8° = Corpus Christianorum, Series
Graeca, 8. bfr 6 000.-.

Will man den Prozeß der Herausbildung der griechischen Orthodoxie
verstehen, kommt man nicht umhin, die Florilegien-, Definitionen
- und Kontrovcrsliteratur der nachchalkedonischcn Entwicklung
in bezug auf Aussagen, Methoden, Frontstellungen und Zeugenstamm
zu analysieren. Leider ruht vieles Wichtige noch unediert in Handschriften
, anderes ist noch nicht kritisch ediert und ausgewertet. Das
erschwert eine schon in sich komplizierte Problematik noch zusätzlich
. Die 1977 begonnene griechische Reihe des Corpus Christianorum
hat dankenswerterweise bereits zwei wesentliche Beiträge zur
Erhellung der Kontroverstheologie nach Chalkedon geliefert. Sie
begann mit der Edition der Schriften des Johannes von Kaisareia'. Als
Bd. 8 veröffentlicht nun Uthemann den Hodegos. Der Text war schon
durch die Edition Jakob Gretsers (1606), die Migne PG 89 nachgedruckt
hatte, bekannt, eine Ausgabe, die allerdings auf sehr schmaler
Handschriftengrundlagc ruhte. Die Überlieferungsbasis der neuen
Ausgabe ist unvergleichlich breiter. Uthemann hat den größten Teil
der Praeparatio (S. XXXI-CCV) ihrer Untersuchung gewidmet.

In 134 Handschriften sind uns entweder das ganze Werk oder Teile
daraus erhalten. Das ist ein deutlicher Beleg für die Rolle, die dem
Hodegos im Prozeß der theologischen Thesaurierung zukam. Dabei
sind Wirkung und Qualität nicht deckungsgleich, denn der Hodegos
kommt an die theologische Bedeutung der Schriften des zeitgenössischen
Maximos Homologetes nicht heran. Der Autor bemerkt X 1.2,
198 ff selbst, daß er das Werk in der Wüste abgefaßt habe, also ohne
Möglichkeit der Verwendung einer Bibliothek. Er ruft deshalb die
Leser gegebenenfalls zur Korrektur auf. Zufügungen oder Auslassungen
in Zitaten seien aus dieser Situation zu erklären und ihm nicht
anzulasten.

Der Benutzer findet den besten Einstieg in das Problem „Hodegos",
wenn er als erstes die S. CCXIV-CCXVI gebotene Inhaltsübersicht zu
Rate zieht. Sie enthält notwendige Untergliederungcn und Erläuterungen
, die aus dem Conspectus (S. 3-5) nicht hervorgehen. Das Werk
richtet seine Polemik gegen Monophysiten und ist besonders interessant
, weil es auch Disputationsprotokolle enthält. In Auseinandersetzung
mit der bisherigen Forschung kommt Uthemann zu einer entsprechenden
Hypothese: „daß die einzelnen Teile des Hodegos seit
der Zeit des Patriarchen Cyrus von Alexandrien bis spätestens
688/689, vermutlich aber vor dem 6. ökumenischen Konzil entstanden
sind und zwischen 686 und 689 zu einem .Gesamtwerk' zusammengestellt
wurden, wobei ihr Verfasser, der Sinaimönch Anastasius,
sie flüchtig mit einigen Scholien kommentierte" (S. CCXVIII).

Die größte Stärke der Edition liegt in dem umfassenden Sachapparat
. Er ist eine wirkliche Fundgrube und wird durch den Index
fontium (S. 388-447) ausgezeichnet aufgeschlüsselt2. Dieser Index
enthält auch genaue Angaben über die benutzten Editionen mit deren
Problemen. Eine Reihe von Quellen und Parallelen hat Uthemann
aus Handschriften entnommen (S. 389. 390. 391. 392. 393. 401. 415.
430). Nur wenige Stellen konnte er nicht verifizieren (S. 448)'. Leider
verzichtete er aber auf eine Vorbemerkung zum Sachapparat. Quellen
und Parallelen werden nicht getrennt, sondern beide als Fontes aufgefaßt
. So begegnet dann sogar eine Briefstelle Augustins in Apparat und
Index fontium. In dieser Hinsicht hätte man sich im Sachapparat ein
differenzierteres Vorgehen gewünscht. Andererseits wird man durch
die Fülle der Informationen, die zum Teil schon Kommentarcharakter
tragen und auch auf wichtige Literatur hinweisen, entschädigt. Das
an und für sich sehr nützliche Verzeichnis von Sekundärliteratur
(S. X11I-XXIX) ist allerdings zu wenig zielgerichtet auf den Hodegos
bezogen.

Auch in editorischer Hinsicht ist die Arbeitsleistung beträchtlich.
S. XXXI-CCV. CCXXI-CCXXXVIII sind der Untersuchung der

Überlieferung gewidmet'1. Dabei liegt der Nachdruck auf der Rccensio
der Handschriften, deren Ergebnis in einem Stemma S. CCV zusammengefaßt
ist. Es ist hier unmöglich, eine ausreichende Auseinandersetzung
damit zu bieten. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn der
Editor diese Arbeit in einem vorbereitenden Aufsatz ausgebreitet, in
der Praefatio aber präzis und übersichtlich nur die Ergebnisse dargelegt
hätte. Bei dem von Uthemann gewählten Verfahren wird dem
Benutzer der Edition sehr viel abverlangt. Ohne ein gründliches und
höchst mühevolles Durcharbeiten der S. LXV-CCV wird er nämlich
den Text nicht kritisch verwerten können. Zur Textkonstituierung
verwendet der Editor bis zu 22 Handschriften. Die Handschriftenleiste
führt sie alphabetisch auf. Im Apparat sind zudem noch griechische
Buchstaben für Gruppierungen verwendet. Da in der Handschriftenleiste
aber eine Ordnung nach Gruppen unterlassen ist, muß
der Benutzer also bei jeder Lesart, die ihn interessiert, zuerst das
Stemma nachschlagen und dann die komplizierten Ausführungen zu
den Variantenträgern durcharbeiten. Die Prinzipien der Textwahl
sind deshalb nur mit Mühe nachzuvollziehcn.

Alle bisher veröffentlichten Bände der griechischen Serie des
Corpus Christianorum haben eine eigene Form des textkritischen
Apparats. Wäre es nicht besser, generell die eindeutigen Zeichen zu
verwenden? Der vorliegende Apparat zeichnet sich durch eine Vielzahl
lateinischer Sigla aus, von denen der größere Teil S. CCXLIX
erklärt wird. Uthemann bietet einen negativen Apparat. Das ist in den
meisten Fällen völlig ausreichend. Manchmal wäre allerdings auch
die positive Form zur Klarheit notwendig gewesen. So bleibt manches
änigmatisch, wie z. B. III 1,12: y' M et ante I. 9 'Avaaxaoiou. N, om.
cett. npooipiov-npaypaitiaq W, om. cett. Haben also y 'M und W diese
Zeile, die bei allen anderen fehlt? Dann wäre das doppelte „om. cett."
irreführend. Und was ist mit N? Mit Anastasiu beginnt doch schon
Z. 9. Ist also ein „transp." ausgefallen? Solche Verwirrungen kommen
nicht oft vor, aber sie sind ärgerlich.

Manche zu forsche, wohl auch im Unterton polemische und jedenfalls
überflüssige Bemerkung in der Praefatio. in dem Abschnitt
S. CCXLIV-CCXLVII und im Vorwort verraten die Handschrift der
Erstarbeit. Daß die AdTontes-Forderung ihre Schwierigkeiten bietet
(s. S. VII). ist selbstverständlich. Auch daß wir wegen späterer Eingriffe
vielfach die Archetypoi nicht sicher eruieren können, mag enttäuschend
sein, erweitert aber andererseits auch wieder den Radius
unserer Fragestellungen und Erkenntnisse. Uthemann hat beträchtliche
wissenschaftliche Ergebnisse vorgelegt, von denen hier nur ein
Teil angedeutet werden konnte. Das sei mit Dank und Respekt gesagt.
Eine leichte Kost erwartet den Leser aber keineswegs.

Berlin Friedhelm Winkclmann

1 Nach dem Tode des Editors Marcel Richard erweitert und herausgegeben
von M. Aubineau. Man vergleiche auch die interessanten Bemerkungen des
zuletzt genannten zu dieser Edition: Aubineau, Un traitc inedit de christologie
de Severien de Gabala, Genf 1983,91 f.

2 Wie gut Uthemann in den kontroverstheologischen Problemen der nachchalkedonischcn
Zeit bewandert ist, belegen auch seine übrigen Aufsätze:
BZ 73 (1980) 70-73 (Rez. von CCSG 1 mit der Hypothese, daß nur Capitula
1-11 dem Johannes von Kaisareia gehören, 12-17 aber dem nastasios
Sinaites); Editionen von Texten BZ 74 (1981) 11-26; OCP 46 (1980) 306-366:
JÖB 30(1981) 103-112.

3 Nur in wenigen Fällen wären noch Präzisierungen nachzutragen: so
S. 405 f. Photii Bibl. Cod... oder S. 406. 412 Epiph. Haer. CiCS 31.37
(1922/1933), 312 (1980). - Die Vorlage für ein von F. Dickamp in seiner
Edition der Doctrina Patrum (Münster 1907. 19812 ) unter dem nichtzuverifi-
zierenden genannten Stück fand Uthemann in XIII 8. 55-114. - Auch mit
seiner Beurteilung von XXII 4 scheint er Recht zu haben (vgl. S. CCXVI
Anm. 61).

4 Uthemann schreibt zu Beginn seiner Praefatio (S. XXXI), daß die kodiko-
logischen und palaeographischen Angaben hinter dem Ziel der Vorbereitung
der Constitutio textus zurücktreten. Die Fülle der Handschriften mag das als
berechtigt erscheinen lassen. Bedauern wird man es trotzdem. Uthemann