Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1985

Spalte:

693-695

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Forte, Bruno

Titel/Untertitel:

Jesus von Nazaret: Geschichte Gottes, Gott der Geschichte 1985

Rezensent:

Schweizer, Eduard

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

693

Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 9

694

ten und Überlegungen auf. sondern sie ist auch von beachtlicher Konsequenz
und Geschlossenheit. Aber der Preis ist hoch. Niemand wird
bestreiten, daß christlicher Glaube auch eine Lebenshaltung ist. die
das Handeln des Menschen bestimmt. Aber das spezifisch Christliche
dieses Glaubens kommt damit überhaupt noch nicht in den Blick.
Zwar sieht Kraml durchaus, daß ein Glaubensbekenntnis ..auch einen
semantischen Aspekt neben dem performativen Akt" beinhaltet
(145). Aber indem er den „hauptsächlichen) Inhalt religiösen Glaubens
" als ..Glaube an Gott" charakterisiert (146). den Ausdruck
•Gotf

seinerseits jedoch als Operator zur Beurteilung von Zweckset-
Zungen und zur Bewertung von Mitteln begreift, hebt er die eingeführte
Distinktion faktisch wieder auf. Glaube an Gott ist semantisch
und performativ Ausdruck einer Handlungsorientierung, die - und
nurdas wird durch das Wort ,Gott' in diesem Zusammenhang signalisiert
- endgültiger „Fixierung durch den Menschen entzogen ist"
H68). Im Klartext: Wer glaubt, gibt zu, „daß es kein definitives Wissen
darüber gibt, welches faktische Handeln und welches konkret
geführte Leben endgültig und zweifelsfrei richtig ist" (169). Doch wo
Glaube so nur als Handlungshabitus und die Übernahme des Glaubens
als bloßer Willensakt beschrieben werden, wird ein Aspekt des
Glaubens mit seinem Wesen verwechselt. Die Folge ist, daß alle
christliche Rede unter die Kategorie des Gebotes fällt und die entscheidende
Differenz zwischen Gesetz und Evangelium nicht einmal
andeutungsweise in den Blick kommt. Theologie wird dann in der Tat
zur Gesetzeswissenschaft, weil sie zwar das Handeln des Menschern in
dcrGottesverchrung. aber eben nicht das Handeln Gottes am und für
den Menschen zum Gegenstand hat. Die Konsequenzen lassen sich
uberall mit Händen greifen: die Wahrheitsfrage wird auf die Frage
nach dem Sinn oder Unsinn einer bestimmten Lebenshaltung reduziert
; der Sinn des Wortes .Gotf wird ausschließlich im Kontext von
Handlungsverpflichtungen expliziert, die man - warum eigentlich?-
übernimmt oder nicht übernimmt; und auch die Aussagen der Schrift
Können nur als „Beispiele einer ganz allgemeinen Situation" gewürdigt
werden, „in der sich die Menschen zu allen Zeiten befinden. Sic
sollen das Handeln des Menschen lenken" (158). Alles wird zur Norm
und zum Exempel - und das sich dabei abzeichnende Verständnis des
christlichen Glaubens beängstigend gesetzlich. Gerade in ihrer klaren
Konsequenz macht Kramls Untersuchung deutlich, daß die von ihm
entwickelte Auffassung der Theologie als praktische Wissenschaft in
dieser Form jedenfalls keine Option evangelischer Theologie sein
kann.

Tübingen • Ingotf U. Dalfcrth

Porte. Bruno: Jesus von Nazaret: Geschichte Gottes - Gott der
Geschichte. Mit einem Vorwort von W. Kasper. Aus dem Ital.
übers, von A. Berz. Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag 1984.
316 S. gr. 8* = Tübinger theologische Studien. 22. Kart.
DM 44.80.

Der Dogmatiker von Neapel will in einer Welt, in der der „deus ex
machina" durch den „deus machina" verdrängt und das Rätsel des
Leidens bedrückend geworden ist, „das Lied des Herrn auf fremder
Erde" (Ps 137,4) singen (Kap. I). Modernes geschichtliches Denken
niacht eine theologia perennis unmöglich. Christologic kann nur als
Geschichte „narrativ-dynamisch" und daher „ansteckend" geformt
Verden, weder „von unten" noch „von oben", sondern so. daß die
Auferstehung Jesu den Irdischen verstehen läßt (2). Der prophetische,
königliche, priesterliche und apokalyptische Messianismus Israels (3)
mündet in die Fülle der Zeit: die österliche Nculesung der Geschichte
Jesu in der Vielfalt des Neuen Testaments (4). und bis ins 5. Jahrhundert
hinein hält die Grundstruktur, daß der Gekreuzigte der Auferstandene
ist. durch, freilich in zunehmendem Maß in metaphysischen
Kategorien (5). Wäre eine Christologic ohne Auferstehung nur
eines der unzähligen Bekenntnisse menschlicher Ohnmacht, so wäre
umgekehrt Auferstehung ohne Kreuz unmenschliche Machtdemonstration
. Darum ist die Christologic des Schweigens, die „singt und des
Weges zieht" (Augustin), so nötig, ist doch eine echte Initiative für die
ausgebeuteten Klassen der Gesellschaft mehr als alle Theologien (6).
Ist Gott Subjekt von Geschichte, dann muß man über die aristotelischen
Kategorien hinausgehen (nicht nur sie übersetzen!) und die
Gleichsetzung Jesu mit Gott auf ein Ereignis beziehen („persona" als
„Rolle . . ."!), also den ursprünglich relationalen Sinn der Anerkennung
des Gekreuzigten als „Herr und Gott" durch Gott selbst hervorheben
; denn nicht ewige Unbcwcglichkeit. sondern leidenschaftliche
Anteilnahme charakterisiert Gottes Wesen (7). Darum bleibt die
wirkliche Geschichte Jesu von Nazaret, mit J. Jeremias (Abba, Selbstverständnis
als Gottesknecht. Geistbcsitz Jesu) als implizite Christologic
verstanden, wesentlich (8), gerade auch in der Freiheit Jesu, seine
Grundoption für Gott in immer neuen, stets offenen Entscheidungen
geschichtlich zu gestalten. Trinität ist dynamisch zu verstehen: Gott
geht aus sich heraus, um der andere zu werden und in ihm wieder zu
sich selbst zurückzukehren. „Gott" ist also primär als Geschichte der
Liebe und ansteckende Freiheit zu verstehen (9), die darum auch die
Begrenztheit, den „Tod in Gott" (nicht: den „Tod Gottes") einschließt
. Gott ist also „werdender" Gott, aber als Vergeschichtlichung
des ewigen, vollkommenen Wesens. Sühnopfer. Loskauf, rechtliche
Genugtuung sind verschiedene Ausdrucksweisen seiner Solidarität
mit dem Menschen, die in die Nachfolge führt, weil der Gekreuzigte
sich mit allen Gekreuzigten der Geschichte identifiziert: „Die Kirche
wird sich finden, indem sie sich verliert" (10). Die Einmaligkeit Jesu
wird zur Gleichzeitigkeit im Wirken des Geistes. Er läßt die Schöpfung
neu verstehen (kosmische Christologic) und kann sogar ohne die
Zustimmung des Menschen zu Christus wirken: „An dem Prozeß
menschlicher Befreiung mitzuwirken ist als solches schon Heilsge-
schichte" (Schillebeeckx)(11). Das ist die Wahrheit hinter der patristi-
schen Rede (in metaphysischer Sprache) von der Vergöttlichung der
Menschheit. Der eigentliche Gegensatz ist nämlich nicht der zwischen
Gabe Gottes und menschlichen Werken, sondern der zwischen der
Aufnahme der befreienden Tätigkeit des Geistes und dem Suchen des
Heils mit eigenen Kräften. Schon nach einem Gebet des 14. Jahrhunderts
hat Christus „nur unsere Hände,. . .. Füße . . .. Lippen . . .". „so
daß wir die einzige Bibel sind, die alle Mensehen noch lesen". Daher
wird der Bruder, der der Liebe bedarf oder sie ausübt, zum „Sakrament
" der Begegnung mit Gott, und das Leiden in Solidarität mit
anderen wird zur Realpräsenz Christi in der Geschichte (Kol 1,24)
(12). Der Schluß ordnet die Christologic des Wortes mit der des
Schweigens und des Lebens im konkreten Dienst an den Armen zusammen
.

Diese Zusammenfassung der vier Teile (I Christologie und Geschichte
: Kap. 1-2; II Geschichte der Christologie: Kap. 3-5; III
Christologie der Geschichte: Kap. 6-10; IV Jesus von Nazaret. Gott
der Geschichte: Kap. I 1-12) zeigt einen anregenden Vorstoß zu einer
Christologie, die geschichtliche Kategorien an die Stelle metaphysischer
setzt und gegenüber einem Wirken des Geistes auch außerhalb
der expliziten Zustimmung zum christlichen Glauben sehr offen ist.
Der Versuch, den Einsatz für die Armen dieser Welt als Teilhabe am
Mit-Leiden Gottes zu verstehen, hilft vielleicht, die auch hier noch
nicht gelöste Frage nach dem Verhältnis zwischen (dogmatischer)
Zustimmung zur erlösenden Gabe Gottes und (ethischem) Handeln
einen Schritt weiterzufuhren. Auch das Verhältnis zwischen „ewigem,
vollkommenem Wesen" Gottes und seinem „Werden" in der Geschichte
(wäre mit J. Moltmann, EvTh 46. 1984.221 eher von seinem
„Kommen" zu reden?) ist noch weiter zu bedenken. Wie weit ist (mit
E. Jüngel, Entsprechungen, München 1980, 275) die Unterscheidung
zwischen immanenter und ökonomischer Trinität wenigstens als
„distinetio rationis" beizubehalten? Gerade angesichts des Betens
Jesu läßt sich auch fragen, ob man das Beten „zu Gott als einem
himmlischen Du" zugunsten eines Betens „in Gott" (S. I 72) abwerten
kann. Weniger wichtig sind Fragen des Exegeten: Darf man
Lk 2.41-50 (der Zwölfjährige im Tempel) als historisches Ereignis
sehen (S. 235), vom Erlebnis Jesu bei der Taufe als Berufung zum