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1985

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Kirchengeschichte: Mittelalter

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 1 10. Jahrgang 1985 Nr. 1

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Basis eines umfassenden Quellcnmatcrials erstellt wird, weicht erheblich
von der allzu harmonischen Darstellung der sogenannten
•höfischen Literatur' ab. die bis heute die Grundlage von Forschung
und Lehre ist. insbesondere im Bereich der mittelalterlichen Philologien
." In der Forschung gab es mitunter Widerspruch gegen „harmonisierende
und glättende Literaturbetrachtung", der aber überhört
wurde. Bayer untersucht die französischen und deutschen Gralsromane
, die Artusepik Hartmanns von Aue. den Tristan Gottfrieds
von Straßburg, die Werke des Gunther von Pairis, geistliche Spiele des
hohen Mittelalters. Spruchdichtung (Walther von der Vogelwcide,
Wartburgkrieg) und anderes, „was in irgendeiner Weise die hochmittelalterliche
Auseinandersetzung zwischen Kirche und Kctzertum
. Orthodoxie und Häresie in literarischer Form widerspiegelt".
Auch das Nibelungenlied gehörte hierhin, doch will B. darüber ein
besonderes Buch schreiben (2). Das Ketzertuin ist nicht nur ein theologisches
Phänomen, es handelt sich dabei auch um eine soziale Krise.
Die Kritik der Spiritualen betraf eine „Haben-Orientierung -der
Kirche" (8). Die vorgeschlagenen Heilswege entsprachen „in ihren
wesentlichen Perspektiven der religiös-ethischen Idealität der mittelalterlichen
Ketzer" (II).

In diesem weiten Kontext untersucht B. die Gralsromanc. Der Gral
wurde bisher von christlichen oder keltischen Traditionen her gedeutet
; jüngst gab es eine christlich-jüdische Interpretation sowie eine
Deutung von der Krcuzzugsproblcmatik aus. Dagegen will B. diese
Sage aus dem Zusammenhang mit dem mittelalterlichen Kctzertum
verstehen. Der Gral erweist sich „als ein rein theologisch-literarisches
Phänomen, nämlich die heilspädagogische Idee zur Verteidigung der
Eucharistie bzw. des orthodoxen Kirchen- und Heilsbcgriffs gegen die
starken Anfeindungen von seilen der Häretiker, die schon im 12. Jahrhundert
einsetzten" (21). Nun steht das so nicht direkt in den Quellen.
°- will „den in der Regel unausgesprochenen häretischen Widerspruch
" beobachten; die bisherigen Deutungen „auf Grund vordergrundiger
Analogien" reichten nicht aus (26). Es ist eine „Tatsache,
daß der gesamte mittelalterliche Symbolismus auf einem eingewurzelten
praktischen Zeichendenken" beruht (29). Die Elemente des Grals
heinhalten „eine spezifisch dogmatische Tendenz, die der jeweiligen
häretischen Position genau widerspricht" (30).

Teil I „Die Allegorisierung religiös-ethischer Sachverhalte im
Widerstreit von Häresie und Orthodoxie" bietet 4 Kapitel: I. Ehe und
Sexualität; 2. Eid und Tötung bzw. strafende Gerichtsbarkeit; 3. Lehramt
und religiöses Brauchtum: 4. Menschenbild und Heilsgeschichte.
Teil l| „Gral - Entstehung und Entwicklung einer heilspädagogischen
Idee" geht aus von der „Idee der wiederherzustellenden Ebenbildlich-
^eit Gottes (imago Dci)", bei der das häßliche Fräulein, die Cundrie
und der Waldmcnsch als Mißgestalten große Bedeutung haben
'_ 39-255). Es folgen die Kapitel über die Gralsidce Roberts de Boron,
"her Struktur und Sinn des „Conte du Graal" Chretiens, über die
Gralsidee des „Grand Saint Graal" und der „Queste del Saint Graal"
sowie die Gralsidee des „Parzival" Wolframs von Eschenbach und die
Gralsidee der Epigonen. Der 2. Halbband informiert in Teil III über
d'e geistlichen Ludi im Widerstreit von Orthodoxie und Häresie - das
Tegernseer Antichristspiel. In Teil IV erneuert B. seine schon 1978
vorgetragene Hypothese, „daß Gunther von Pairis und Gottfried von
Straßburg die gleiche Person sind, ein Scholasticus bzw. Augustiner-
ehorherr, der zunächst im Kreise Barbarossas erzieherisch wirkte.
Jedoch wegen seiner häretischen Einstellung und seiner religiös moti-
v,erten Kritik an Kreuzzug und Heerfahrt vom Hofe entfernt wurde,
sPater. . . an einem hochadligen Damenstift seine Erziehertätigkeit
Wieder aufnehmen durfte", ehe er sich 1209/12 vor der Ketzerverfol-
8Ung sichern mußte (441). Seine These stützt B. u. a. mit einer übereinstimmenden
Verarbeitung der Gcistthcologic Cyrills von Alexandrien
: „Die Übereinstimmung reicht hier bis ins Detail" (510), es wur-

en „die rein geisttheologischen Elemente aus den Schriften Cyrills"
ausgewählt (513). Abschließend formuliert B„ daß „die hochmittelalterliche
Epik primär allegorisch-didaktischer Natur ist und daß sie

'nsichtlicrr ihrer jeweiligen Tendenz ohne Berücksichtigung der

häretisch-kirchcnkritischen Gedankenwelt nicht sachgemäß erklärt
werden kann" (577).

Kirchenväter spielen auch beim Gegensat/ zwischen dem Parzival
und dem Tristan eine Rolle. Begriffe bei Wolfram von Esohenbach
wurzeln „in Tertullians Vorstellung einer angestammten dispositio in
bonum, die eine naturgegebene Ausrichtung zur Gottähnlichkeit,
gleichsam eine Gnadcnteleologie beinhaltet. Auch die Aufwertung
des Heiden, die Wolfram vornimmt, fußt auf der stoisch beeinflußten
Theologie Tertullians" (580, ausführlich 197-203). Dagegen führt
der Tristan zurück auf „einen geradezu dämonischen Determinismus.
Die erbeminne, die teuflische coneupiscentia. wurzelt (an geborn) in
der menschlichen Natur, ja als dispositio in malum im Blut und wird
seit den Stammcitern ex traduce weitervermittelt" (580). Im Tristan
ist „die Augustinische Geisteshaltung einschließlich ihrer kathari-
schen, d. h. dualistisch-dämonologischen Pointierung allerorts zu
vergegenwärtigen" (475,- eine ganz andere Deutung Augustins 211!).
Als theologischer Gewährsmann der Gralsromanc wird Paschasius
Radbcrtus genannt: „Großenteils im Anschluß an Radberts Traktat"
werden die von den Katharern angezweifelten Auflassungen verteidigt
: „Trinität, kirchliche Hierarchie und priesterliche Amtsgewalt,
Ehe und Fortpflanzung, Eid und Tötung, Traditio apostolica usw."
(583). Wolfram von Eschenbach gestaltete seinen Parzifal unter
waldensischem Einfluß. „Nach dem Laterankonzil (1215) verstummt
unter der kirchlichen Gewaltandrohung selbst das verschlüsselte Wort
der Dichter. Die Gralsidee wird entweder zum märchenhaften
Wunderding banalisiert. . . oder in den Dienst der religiös-moralischen
Erbauung bzw. Häresiebekämpfung gestellt" (584).

In seinem Buch verarbeitet B. eine solche Fülle von Quellen, daß
das Thema „Gral" mitunter ziemlich in den Hintergrund gerät.
Erfreulicherweise ist B. der Versuchung entgangen, auch noch
Richard Wagner mit ins Spiel zu bringen. Fragen wegen mancher
neuer Deutung von Quellen werden wohl von Germanisten gestellt
werden. Bei den Beziehungen zu Kirchenvätern gibt es Vorbehalte:
Meist wird nach Migne zitiert. Augustin sogar nach der alten
Maurinerausgabe. Die behaupteten Zusammenhänge sind fragwürdig
: Bei Cyrill von Alexandrien sieht B. selbst die Tatsache, daß nur
eine sehr einseitige Aufnahme erfolgte. Tertullian als geistigen Ahnherrn
des Parzival kann man wohl nur mit viel Vorbehalt annehmen.
Daß Augustin der geistige Vater der Katharcr war und als solcher den
Tristan entscheidend beeinflußt habe, scheint eine doppelt kühne
Behauptung zu sein. Aber solche Fragen betreffen Einzelheiten, die
für B. nicht primär sind. Er wollte Beziehungen der Dichtung des
hohen Mittelalters zum zeitgenössischen Kctzertum herausarbeiten -
und das ist ihm sicher gelungen. Insofern werden auch kritische Rückfragen
nur unterstreichen, wie viele Anregungen B. der Forschung
gegeben hat.

Rostock ' Gert Haendler

Blaschke. Friedrich Wilhelm: Wege des Klosters Hersfeld im Vorland des
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Burger, Christoph Peter: AEDIFICATIO. FRUCTUS. UTILITAS. Johannes
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Puentc Miguel, M. fände las de la: La vision tomista de la bcllcza como resul-
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Roth, Anselm: Ursprung der Regula Magistri. Die Kontroverse zwischen
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