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Ausgabe:

1985

Spalte:

672-674

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Greschat, Martin [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Alte Kirche I ; Alte Kirche II 1985

Rezensent:

Haendler, Gert

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671 Theologische Literaturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 9 672

Ganzheit bildet, d. h. daß er sukzessive auf verschiedene Situationen
in Philippi eingeht. Daher sei mit einer Abfassung des Briefes über
einen längeren Zeitraum hin zu rechnen.

Die Teile II und IIIA (S. 31-190 und 191-220, also der umfänglichste
Teil des Buches) arbeiten die Forschungsgeschichte zum Phil
auf, zunächst von W. H. Schinz (1833, mit einem Rückgriff bis etwa
1750) bis zu B. Weiß (1859), sodann von diesem bis zu E. Lohmeyer
(1928), und schließlich die jüngere Forschung, die von 1957
(W. Schmithals) an eine Zeitlang ziemlich einmütig die Auffassung
vertrat, der Phil sei literarisch nicht einheitlich, sondern redaktionell
aus mehreren paulinischen Briefen, die in verschiedene Situationen
geschrieben wurden, kompiliert. In die erste der genannten Phasen
fällt auch die Bestreitung der Echtheit durch F. Chr. Baur, der ein
Exkurs gewidmet wird (S. 119—129; ein Anhang S. 317-324 listet die
weitere Literatur dazu aus dem 19. Jh. auf). Die Arbeit von Schinz
nimmt M. zum Ausgangspunkt, weil dieser erstmals die methodisch
entscheidende Frage (Bezug des Briefinhalts auf die Gemeindesituation
) gestellt, wenn auch noch nicht zureichend beantwortet habe. Im
übrigen stellt M. fest, daß die Ausleger weithin auf Grund von 1,1-11
und 4,1 ein durchweg positives Bild von der Empfängergemeinde
voraussetzen, ohne recht zu merken, daß sie dieses Bild im Verlauf der
Exegese, etwa zu 2,1 ff und vor allem zu 3,2ff, faktisch in Frage stellen
- es sei denn, daß sie die in diesen Abschnitten zutage tretenden
Spannungen textwidrig entschärfen. Die Darstellung der Forschungsgeschichte
ist natürlich an der methodischen Leitfrage orientiert,
gelegentlich etwas weitschweifig, aber im ganzen recht instruktiv,
sowohl im Blick auf den Phil selbst als auch - exemplarisch - für die
Erforschung der Paulusbriefe überhaupt.

In Teil III B (S. 221-285) legt M. sodann eine eigene exegetische
Analyse des Phil vor, in der er Abschnitt für Abschnitt unter dem
Gesichtspunkt des „situativen Kontexts", auf den hin er von Paulus
geschrieben wurde, untersucht, mit dem Ergebnis, daß sich die
Annahme einer für alle Teile des Briefes einheitlichen Situation nicht
durchhalten läßt.

Teil IV schließlich (S. 286-316) zieht die oben schon angedeutete
Folgerung, womit sich noch einmal grundsätzliche Erwägungen verbinden
, besonders zur Legitimität von Iiterarkritischen Teilungshypothesen
(S. 303-305). Man mag M. zustimmen, wenn er der
Ganzheitsthese methodisch ein Prae vor der Kompilationsthese
zuspricht (von einem „Anspruch", den der Text in dieser Hinsicht
erhebt, würde ich freilich nicht sprechen); aber man müßte die gleiche
Sicht auch auf die Frage der „Ganzheitlichkeit" beziehen, was M.
versäumt. Es ist deutlich, daß sich Ms Arbeit gegenläufig zu den
Teilungshypothesen auf jener Linie bewegt, die sich gegenwärtig
wieder stärker durchsetzt; aber man kann ihm nicht nachsagen, daß er
einfach auf einer Welle mitschwimmt; vielmehr kann er andere
Bestreiter der Teilung methodisch ziemlich herb kritisieren
(S. 294-302). Mit der strikten Differenzierung zwischen „Einheitlichkeit
" und „Ganzheitlichkeit" geht M. vielmehr recht konsequent
seinen eigenen Weg. Ist dieser Weg schlüssig?

Kurz zusammengefaßt, trägt M. (S. 289ff und 314ff) die Auffassung
vor, daß Paulus in Phil 1,1 ff vornehmlich von der Dankbarkeit für die
von den Philippern empfangene Geldsendung bewegt ist und deswegen
ein Loblied auf die Gemeinde singt; doch zeigt sich von 1,27ff an,
daß die Situation in Philippi selbst durchaus auch zu Sorgen Anlaß
gibt, weshalb Paulus ankündigt, daß er den Timotheus schicken werde
(2,19-24). Hier nun muß Paulus den Brief für „einige Wochen oder
gar Monate" (S. 291) unterbrechen, da er wegen der schweren Erkrankung
des Epaphroditus nicht weiter schreiben kann (wieso eigentlich
nicht?). Erst nachdem er aus Philippi - wohin die Kunde gelangt ist -
von den Sorgen um Epaphroditus gehört hat, schreibt er weiter
(2,25ff). Eine ganz neue Situation liegt dann von 3,2 an zugrunde; es
müssen neue, alarmierende Nachrichten eingetroffen sein (den Ausweg
, Paulus nehme hier Bezug auf Vorgänge in seiner Umgebung, geht
M. also mit gutem Grund nicht). Dann aber wird der Brief wohl in
einem Zug zu Ende geschrieben, wobei Paulus, nachdem er den Brief

mit 4,4-9 „eigentlich" schon abgeschlossen hat (S. 285), noch einmal
auf den ursprünglichen Briefanlaß (vor vielen Wochen!) zurückkommt
, nämlich auf die Geldsendung der Philipper (4,10-20).

Die Verdienste der Arbeit liegen zum einen darin, daß M. einige
methodische Fragen der Briefinterpretation klar ins Bewußtsein hebt,
zum anderen in der Aufarbeitung und kritischen Durchleuchtung der
Forschungsgeschichte. Noch wichtiger ist aber wohl die konsequente
Durchführung der Analyse des Briefes unter der Frage nach dem
erschließbaren situativen Kontext eines jeden Abschnitts, die m. E.
fast durchweg (bis auf 2,19-30) einleuchtend ist und hinter die die
Auslegung des Phil jedenfalls methodisch nicht mehr wird zurückfallen
dürfen. Die Folgerung, die M. aus seiner Analyse zieht: Festhalten
an der literarischen Einheitlichkeit des Phil unter Verneinung der
situativen Ganzheitlichkeit, wird beim gegenwärtigen Forschungstrend
manchen Anklang finden. Der Rez. muß freilich bekennen, daß
ihn dieser Ausweg aus dem Problem des Phil gar nicht überzeugt, da
M. zwar die Bedenken gegen die Einheitlichkeit der Situation in
Philippi deutlich herausstellt, aber die Iiterarkritischen Anstöße im
engeren Sinne unterbewertet, ja eigentlich gar nicht recht würdigt.
Warum sagt Paulus in 3,2 nicht wenigstens einen Satz über neue
Nachrichten, die er bekommen hat? Wie ist der zweite Stimmungsumschwung
(nach Schluß des erregten Abschnitts 3,2ff) zu erklären?
(Psychologisch als „Ruhe nach dem Sturm"?) Warum dankt Paulus
den Philippern nicht sogleich im Anschluß an das Proömium (in dem
er ja Gott dankt!) für das empfangene Geld, wenn doch die Geldsendung
der ursprüngliche Auslöser des Briefes ist? Weitere Fragen
ergeben sich aus der Konstruktion, die M. vorlegt, neu; doch läßt sich
all das hier nicht ausdiskutieren. Dem Rez. scheint gerade auf Grund
der Arbeit von M. (freilich indem man die Erkenntnis der situationel-
len Nichteinheitlichkeit mit den literarischen Bedenken kombiniert)
die inzwischen „altmodisch" gewordene Lösung des Problems, die
mit sekundärer Kompilation mehrerer Briefe rechnet, vorerst noch
immer die einleuchtendste Annahme zu bleiben.

Naumburg (Saale) Nikolaus Walter

Kirchengeschichte: Alte Kirche

Greschat. Martin [Hrsg.]: Alte Kirche I. Stuttgart-Berlin-Köln-
Mainz: Kohlhammer 1984. 304 S„ 8 Taf. gr. 8° = Gestalten der
Kirchengeschichte, 1. Lw. DM 89,-.

-: Alte Kirche II. Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz: Kohlhammer 1984.
304 S., 17 Taf. gr. 8° = Gestalten der Kirchengeschichte, 2. Lw.
DM 89,-.

Die Reihe „Gestalten der Kirchengeschichte" schreitet zügig voran
(ThLZ107, 1982 Sp. 753-757; 108, 1983 Sp. 751 f; 109, 1984
Sp. 5200- Die jetzt vorgelegten 26 Beiträge sind sowohl für Fachleute
wie auch für ein breiteres Publikum nützlich. Quellen und Literatur
werden aufgeführt, so daß - gerade auch Studenten - Möglichkeiten
zur weiteren Arbeit eröffnet werden. Eine Ausnahme ist der Artikel
über Ambrosius, der zwar im Text viele Schriften auswertet, aber
leider keine Editionen nennt. Von 91 Briefen ist die Rede (11,122).
aber nicht davon, daß die Zählung dieser Briefe durch die neue Wiener
Edition umgestellt wurde. Beim Konzil von Aquileja381 wird auf
Migne, PL 16 verwiesen (II, 108), obwohl die Gesta dieses Konzils in
neuen Editionen sowohl der Sources Chretiennes wie auch der Wiener
Kirchenväterausgabe vorliegen. Der Beitrag über Tertullian wurde
übernommen aus Campenhausens Buch „Lateinische Kirchenväter",
eine indirekte Ehrung für den Heidelberger Emeritus; Bibliographische
Angaben brachte A. M. Ritter auf den neuesten Stand. Ein
weiterer Emeritus ist zu nennen. Fits van der Meer schrieb den Artikel
„Makrina. Porträt einer Familie" (II, 37-48). Makrina hieß die
Großmutter und die Schwester des Gregor von Nyssa; der Beitrag
bringt besonders ausführliche Quellenzitate. Ebenso verfuhr jener