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Ausgabe:

1985

Spalte:

670-672

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Mengel, Berthold

Titel/Untertitel:

Studien zum Philipperbrief 1985

Rezensent:

Walter, Nikolaus

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669

Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 9

670

und argumentativ verantwortet (S. 61)? Wie läßt sich die Gegenwart
des Heils angesichts einer unverändert heillosen Welt verifizieren?

Der Erste Teil (S. 63-166) untersucht Texte aus dem Römerbrief
unter dem Leitgedanken der Dialektik von Sünde und Gnade.
Zentrale Bedeutung hat Rom 5,12-21 (Kap. 2). In diesem Text geht es
nach Th. nicht nur um einen gegenüberstellenden Vergleich von
Adams- und Christus-Wirkung, sondern um die Evidenz des Christus-
Heiles. Es ist ein „argumentativer Text". So evident das Adams-
Unheil in der Weltwirklichkeit ist, ebenso gewiß ist die Wirklichkeit
des Christus-Heiles, und zwar als schon angebrochenes (weil das
Christusgeschehen der Gegenwart schon vorausliegt) wie auch als
Vergewisserung der Hoffnung auf künftige endgültige Vernichtung des
von Adam „eingebrockten" Todes. In Rom 5,12-21 geht es Paulus
nicht um Geschichtstheologie, sondern um die Verifikation des
-Heilsereignis(ses) an der Wirklichkeit als ganzer" (S. 77). Um das zu
zcigen. geht der Vf. sehr ausgiebig (S. 80-120!) und unter voller Aufarbeitung
der neueren Literatur dem „Argumentationsweg" der
ferikope nach. Rom 5,20b erscheint als Zielaussage: Die Macht der
Sünde, die im Tode Jesu Christi ihren Gipfel erreicht, steht -
gleichfalls im Tode Christi - vorder Übermacht der sie bezwingenden
Gnade. So kann sich die Behauptung vom Anbruch der eschatologi-
schen Fülle in der Zeit geschichtlich ausweisen (S. 124). Im folgenden
3-Kapitel (S. 129-166) stellt der Vf. auch Rom 9-11 unter das
-Axiom von der Übermacht der Gnade" (S. 132), deren Reichtum
sich auch in der ..Verschränkung" der Geschicke Israels und der
Ekklesia bewährt. Stünde Gottes Treue zu seinen Verheißungen für
'srael in Frage, dann stünde auch die Glaubwürdigkeit des Evangeliums
für die Heiden in Frage. So kann um der Treue Gottes willen
Israels Unglaube nicht das letzte Wort sein. Nach Th. rechnet Paulus
m't einem „bleibenden Nebeneinander der beiden Gotteszeugen
,srael und Ekklesia", das nur unter dem Prinzip der Übermacht der
Gnade zusammengedacht werden kann (S. 165 f).

Im Zweiten Teil (S. 167-304) werden Texte aus dem 2. Korinther-
brief untersucht. Hier geht es nun nicht mehr um das Gegenüber von
Sünde und Gnade, sondern um die Dialektik von Leiden (Schwachheit
) und Herrlichkeit. Das Vokabular von der „Überfülle" wird also
in ein anderes Motivfeld eingebracht. In 2Kor 3,7-18 steht der „Herrlichkeit
" des Christusheils der schwächere Glanz des Mose gegenüber
(S. 177-21 1). Wichtiger ist aber 2Kor 4,7-15 (S. 212-239) mit den
Aussagen über die zur eschatologischen Heilsfülle in scheinbarem
Widerspruch stehende Bcdrängthcit und Schwachheit des Apostels.
Unter diesem Aspekt stellt sich die Herrlichkeitsfülle als „verborgene
" dar, von der es eine „unmittelbare, ungebrochene Erfahrung
" nach Paulus nicht geben kann, die vielmehr ihre „offenbare
Kehrseite" im „Übermaß der Leiden in der somatischen Existenz"
des Boten hat (S. 237). - Kürzer muß und kann auf die Kapitel 5-7
'S. 241-304) hingewiesen werden, in denen es um 2Kor 10-13
(-■Maßlosigkeit und Selbstruhm"), 2Kor7,4b („Freude und Trost in
Fülle") und um einschlägige Wandlungen in den Kollektenkapiteln
2 Kor 8-9 („Die unaussprechliche Gottesgabe") geht.

Ein Dritter Teil (= Kap. 8. S. 305-329) bespricht unter der Überschrift
..Reicherwerden in der Liebe" diverse paränetische Texte aus
IThess. Phil und 1 Kor, in denen das Superabundantia-Motiv bzw. die
Wortgruppe perisseuein usw. in der einen oder anderen Weise eine
Rolle spielen. Freilich wird hier wie schon in den vorangehenden
Kapiteln 6 und 7 die etwas zwiespältige Anlage der Arbeit besonders
deutlich. Sie möchte zugleich semantische Untersuchung der Wörter
des Stammes periss- und Untersuchung eines für die paulinische
Theologie wichtigen Themas (von der Gegenwärtigkeit eschatologischen
Heils) sein. Aber beides deckt sich nun einmal nicht, und so
wirkt der Versuch, alle periss-Texte auch thematisch einzuordnen,
zum Teil recht gezwungen. Für IThess 4,1 läßt sich von 3,12 her gewiß
der Motivzusammenhang „Heilsfülle" (als „Indikativ") - „Überströmen
der Liebe" zum Nächsten hin (als „Imperativ") als kon-
textualer Gedanke vertreten. Aber in anderen Texten, z. B. Phil 1,9,
läßt sich ein derartiger Zusammenhang wohl nur durch Überinterpretation
herstellen; der Kontext gibt ihn nicht her. Die heute geläufige
Kritik an einer Überfrachtung von semantisch vielseitigen Vokabeln
durch angeblich traditionsgeschichtlich vorgegebene Konnotationen
(dagegen auch Th„ S. 78) gilt auch gegenüber einer analogen Überfrachtung
durch das Herausstellen eines angeblich festen, spezifisch
gefüllten paulinischen Sprachgebrauchs (vgl. eine Wendung wie:
„Das paulinische perisseuein ist demnach . . .", S. 334). Auch hier
muß die Priorität des (jeweiligen!) Kontcxts gelten.

So ist es kein Zufall, daß das zusammenfassende Kapitel 9
(S. 331-344) nach einem - problematischen - Versuch, die Verwendung
von periss-WÖTtem in paränetischen Texten unter den Leitgedanken
von Indikativ und Imperativ zu stellen, sich fast ausschließlich
auf die in der Sache zentralen Kapitel 2 und 4 (zu Rom 5,12-21
bzw. 2Kor4) bezieht und die „Paradoxie" von Rom 5,20b mit der
Dialektik von 2 Kor 4 so zusammenfaßt: Rom 5,20b blickt auf die
Begründung des Glaubensstandes (in der im Tode Christi erschienenen
Gnade), 2 Kor 4 blickt auf den Lebensvollzug des Glaubenszeugen
(in dessen Schwachheit sich die eschatologischc Herrlichkeit verbirgt);
beide Aspekte sind theozentrisch bestimmt und christologisch
begründet (S. 3370- Die Frage nach dem „Wirklichkcitsgehalt" der
Proklamation der HeiIsgegcnwart wird also mit dem Verweis auf die
in Kreuz und Auferweckung Jesu Christi gegebene Verifikation beantwortet
. Freilich vermißt man bei dieser Fragestellung einen Strukturvergleich
mit der auch in Qumran möglichen Rede von „gegenwärtigem
Heil" (die einschlägige Arbeit von H.W. Kuhn. 1966, wird nicht
einmal erwähnt); aber auch diese Lücke ist offensichtlich wieder
durch den Ansatz der Arbeit bei einer Wortuntersuchung verursacht
.

Solche mit der Konzeption der Arbeit zusammenhängende Kritik
möchte aber nicht den Eindruck schmälern, daß der Vf. eine Arbeit
vorgelegt hat, die zu allen paulinischen /wi.v.v-Stellen mit Gewinn zu
befragen ist und die besonders zu den beiden zentralen Texten, vor
allem aber zu Rom 5,12-21. in einer intensiven Exegese gewichtige
und förderliche Gesichtspunkte herausgestellt hat (die oben keineswegs
vollständig referiert werden konnten), die Beachtung verdienen
.

Naumburg (Saale) Nikolaus Walter

Mengel. Berthold: Studien zum Philipperbrief. Untersuchungen zum
situativen Kontext unter besonderer Berücksichtigung der Frage
nach der Ganzhcitlichkeit oder Einheitlichkeit eines paulinischen
Briefes. Tübingen: Mohr 1982. X, 343 S. gr. 8" = Wissenschaftliche
Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe, 8. Kart.
DM 56,-.

Die anzuzeigende Arbeit, eine von Otto Merk betreute Erlanger
Dissertation von 1979, verbindet drei Aspekte miteinander: einen
methodologischen, einen forschungsgeschichtlichen und einen im
engeren Sinne exegetischen. Das methodische Anliegen legt Mengel
im Teil I (S. 1-30) dar: Die Interpretation von (wirklichen) Briefen
hat stets vom „situativen Kontext" - und zwar dem auf Seiten der
Empfänger - auszugehen. Die Hauptursache für die jeweilige Besonderheit
eines Briefes liegt hier; die Empfängersituation dominiert
gegenüber der persönlichen Kreativität des Schreibenden (S. 17). Ob
das so generell - und ob es speziell für den Phil - gilt, mag man fragen
(für Rom macht auch M. Einschränkungen); aber der Gedanke, daß
ein Brief dem Schreibenden kaum Gelegenheit gibt, alles zu entfalten,
was er zu sagen hat, ist u. a. für die Frage nach der „Entwicklung"
innerhalb der Theologie des Paulus beachtenswert. Doch wird nicht
dies weiter verfolgt, sondern die Frage, welche Schlüsse zu ziehen
sind, wenn sich ein Brief erkennbar nicht von Anfang bis Ende der
gleichen Empfängersituation zuordnen läßt. Hier unterscheidet M.
zwischen (literarischer) „Einheitlichkeit" und (situativer) „Ganzheit-
lichkeit" eines Briefes (S. 21 und oft), und er steuert die These an, daß
der Phil zwar eine literarische Einheit darstellt, d. h. daß er von Paulus
in der uns vorliegenden Textfolge geschrieben ist. daß er aber keine