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Ausgabe:

1985

Spalte:

629-631

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Lovin, Robin W.

Titel/Untertitel:

Christian faith and public choices 1985

Rezensent:

Honecker, Martin

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Theologische Literaturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 8

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Pen in der BRD dar: "Gay liberation front" bietet zur Subkultur alternative
Gruppen. Einzelberatung und Öffentlichkeitsinformation an;
..Homosexuelle und Kirche" (HuK) will erreichen, „daß die Menschenrechte
in der Kirche auch für Homosexuelle gelten müssen"
(181). Als Schwierigkeiten werden benannt: Der winzigen Zahl aktiver
Homosexueller steht die überwiegende Mehrheit heimlicher
Homosexueller skeptisch oder ablehnend gegenüber. Die Fluktuation
m den Gruppen ist sehr hoch. Diskriminierungen gibt es nach wie vor
auch in der Kirche.

11. Lebenberatungfiir homosexuell liebende Mensehen (185-202):
Der Sexualberater Rolf Gindorf gibt Auskunft über die Arbeit des
Düsseldorfer „Instituts für Lebens- und Sexualberatung". Qualifizierte
Berater versuchen die Hilferufe aufzunehmen und mit den
Klienten zu bearbeiten. Hauptprobleme sind Selbstannahme
angesichts der Diskriminierung und Selbst-Diskriminierung, Kontaktschwierigkeiten
, Perspektiv-Armut, Partnerlosigkeit und Beziehungsstörungen
(auch mit Eltern und Geschwistern).

Ein persönliches Nachwort Wiedemanns, eine Predigt, Adressen
von Beratungsstellen und Gruppen in der BRD und Berlin-West,
schließlich ein Literaturverzeichnis stehen am Schluß des Buches.

Hans Georg Wiedemann und seine Gesprächspartner haben mir
geholfen - zu besserem Verstehen, zur Wahrnehmung meiner eigenen
Unsicherheit und zur Scham über meine unbedachten Vorurteile. So
stieg während der Lektüre meine Betroffenheit.

Wittenberg - Lutherstadt , Hansjürgen Schulz

Lovin, Robin W.: Christian Faith and Public Choices. The Social
Ethics Barth, Brunner. and Bonhoeffer. Philadelphia: Fortress Press
1984. VII, 183 S. 8*. Kart.S 10.95.

In 7 Kapiteln erörtert Lovin die Frage, inwieweit christliche Ethik
(Sozialethik) allgemeine Verbindlichkeit beansprucht und also öffentliches
Verhalten (public choices) betrifft. Dabei geht es ihm um die
Vermittlung sozialethischer Fragestellungen von drei Theologen, welche
die deutsche evangelische Sicht prägten, an englischsprachige, vor
allem amerikanische Leser. Die Auswahl gerade dieser drei Autoren
'st weithin dadurch bedingt, daß ihre Werke ins Englische übersetzt
sind. Namen wie Paul Althaus, Werner Eiert, Emanuel Hirsch sucht
man im Text und im Namensindex vergeblich. Gogartens Gesetz- und
Autoritätsverständnis 1930 bis 1934 ist ebenfalls nicht erwähnt.
Ebenso fehlt eine Reflexion auf die Zwei reichelehre und deren Intention
. Kap. 1 "Christian faith and public choices" (S. 1-17) gibt eine
Einführung in die Problemstellung: Wie verhält sich rationale ethische
Argumentation zum Verständnis von Glaube als Gehorsam
gegenüber dem Wort der Offenbarung? Ist christliche Ethik überhaupt
verallgcmeinerungsfähig? Die dialektische Theologie hebt sich in dieser
Hinsicht bewußt von der liberalen Theologie ab (S. 7ff). Erwähnt
wird ferner als zeitlicher Vergleich für die 20er Jahre Paul Tillichs
religiöser Sozialismus (S. 8ff), und ein Vergleich des "Theological
Realism" (S. I3ff) von Brunner und Bonhoeffer mit Reinhold Nie-
buhr und John Bennett (S. 14). Kap. 2 "Karl Barth: The ethics of obe-
dience" (S. 18-44) schildert den Aufbruch der dialektischen Theologie
, ausgehend von Karl Barths Römerbrief. Auffallend ist, daß
weder Barths Tambacher Vortrag „Der Christ in der Gesellschaft"
(1919) noch seine Auseinandersetzung mit Paul Althaus „Grundfragen
der christlichen Sozialethik" (1922, neu abgedruckt in: J. Molt-
mann, Anfänge der dialektischen Theologie, Teil I, TB 17 I, 1962,
S. 152 ff) in diesem thematisch der Sozialethik gewidmeten Buch
genannt sind. Barths Theologie der Krise wäre ferner vom Denken in
den Kategorien der Entscheidung in den 20 Jahren her zu deuten. Lovin
bezeichnet Barths ethischen Ansatz mit Hilfe heutiger Schemata
als "act-deontology" (S. 27). Er erwähnt dann den Übergang von der
Dialektik zur Analogie (S. 3011). streift dabei seltsamerweise Max
Scheler (S. 36). Die aktuelle deutsche Diskussion um die Barthinterpretation
ist dagegen nicht im Blick, z. B. Eberhard Jüngcl, Friedrich-

Wilhelm Marquardt (er ist einmal in der Literatur erwähnt) oder
Trutz Rendtorff (radikale Autonomie Gottes). Ebenso fehlt ein Bezug
von Barths ethischem Ansatz zu seinem Kirchenverständnis
(K. Barth, „Quousque tandem . . .?", 1930; „Die Not der evangelischen
Kirche", 1931). Kap. 3 "Emil Brunner: Critical Cooperation"
(S. 45-75) orientiert sich vor allem an Brunners Hauptwerk „Das Gebot
und die Ordnungen" (1932), das 1947 unter dem Titel "The
Divine Imperative" englisch veröffentlicht wurde. Brunners Lehre
von den Ordnungen wird wegen ihres Realismus, verglichen mit
Barth, positiv gewertet und als Fortschritt betrachtet, wegen ihres
konservativen, statischen Grundzuges - Erhaltung der Schöpfung,
nicht Veränderung - kritisiert, gemessen an der heutigen Theologie
der Befreiung (S. 54) und der feministischen Theologie (S. 60). Emil
Brunner wird mit Hilfe des Begriffs der normativen Ethik als "act-
teleologist" eingeordnet (S. 61). Ein Exkurs gilt der Barth-Brunner-
Debatte um die natürliche Theologie (S.62-68). Ein Ausblick des
Kapitels wendet sich dem Wiener Kreis zu (S. 68ff). Kap. 4 "Reason
and resistance" (S. 76-100) stellt in einer Zwischenüberlegung einen
Bezug zur katholischen Naturrechtstradition, seit Thomas von Aquin
und Leo XIII., her und zur Legitimation eines Widerstandsrechts aus
dem Naturrecht. Dabei zeigt sich das Problem des Rechtsstaats und
der Menschenrechte, das Emil Brunner 1943 in seinem Buch „Gerechtigkeit
" unter Rückgriff auf Aristoteles aufnahm und dessen
Naturrechtsverständnis hier weithin mit Zustimmung behandelt wird
(S. 90ff). Kap. 5 "Achurch for dangerous times" (S. 101-125) befaßt
sich mit dem Aufbau der Bekennenden Kirche 1933 und 1934. Die
Vorgänge des Jahres 1933 werden recht oberflächlich skizziert
(S. 104ff). Im Mittelpunkt steht ein breites Referat der Barmer Theologischen
Erklärung (S. 107ff). Die Dahlemer Synode und die hier
aufgebrochene Kontroverse um den Weg der Bekennenden Kirche ist
nicht erwähnt. Ein Anhang streift Barths Neuansatz 1938 in „Rechtfertigung
und Recht" (S. 112ft), während „Evangelium und Gesetz"
nicht berücksichtigt wird. Erkannt ist zwar bei Barth die Berufung auf
ein prophetisches Amt (S. 119); die weitreichenden ekklesiologischen
und theologischen Konsequenzen (und Probleme), die heute im deutschen
Sprachraum vornehmlich unter dem Stichwort „Politische
Theologie", „Politischer Gottesdienst". „Politische Predigt" erörtert
werden, sind nicht im Blick.

Auch das Kapitel 6 "Dietrich Bonhoeffer: Responsibility and resto-
ration" (S. 126-158) beachtet die deutschsprachige Bonhoefferfor-
schung nicht und meditiert, oder besser: betrachtet phänomenologisch
anhand der englischen Übersetzungen Begriffe wie Mandat,
Erbe und Verfall, Verantwortung, Schuld, das Natürliche. Den Hintergrund
bildet Bonhoeffers Biographie und sein Engagement im
Widerstand. Die Verknüpfung von Christologie und Ethik und die
Debatte um nicht-religiöse Interpretation und Säkularisierung treten
fast ganz zurück. Dadurch reduziert sich Bonhoeffers Beitrag auf eine
Herausforderung zum Wagnis der Verantwortung ("venture of
responsibility"). Das letzte Kapitel 7 "Faith for a new path"
(S. 159-178) faßt den Ertrag zusammen: Barth, der philosophische,
methodische Überlegungen ablehnt (S. 164). bindet die Ethik an die
Kirche als "the obedient Community" (S. 161 ff). Brunner respektiert
das Natürliche und die Schöpfung (S. 168) und sucht eine kritische
Zusammenarbeit ("critical Cooperation") mit der Welt. Auch Bonhoeffer
nimmt das Natürliche wahr und führt so auf den Weg eines
„neuen christlichen Realismus" (S. 172ff), der die Kluft zwischen
säkularer Welt und Glaubensgemeinschaft zu überbrücken sucht.
Barth, Brunner, Bonhoeffer stellen folglich Stadien auf dem Weg einer
evangelischen Sozialethik dar, von denen die eine Konzeption zur
anderen führt und die Reihenfolge implizit eine Wertung enthält. Heute
ist nach Lovin Sozialethik, die lediglich Anwendung theologischer Erkenntnisse
sein will, nicht mehr möglich, sondern gefordert ist humanwissenschaftliche
Analyse und die Zusammenarbeit mit soziologischen,
wirtschaftswissenschaftlichen und politologischen Überlegungen.

Lovins Buch ist sicherlich für englische Leser als erste Einführung
und Information nützlich und informativ. Dem deutschen Rezensen-