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Ausgabe:

1985

Spalte:

625-627

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Mieth, Dietmar

Titel/Untertitel:

Ehe als Entwurf 1985

Rezensent:

Winter, Friedrich

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Theologische Literaturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 8

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lung und der Versuch einer Auseinandersetzung mit neuzeitlichem
Rationalismus scheinen ihm darin enthalten zu sein. Merkwürdig ist,
daß der Vf. auf S. 72 für das Dogma von der leiblichen Aufnahme
Mariens in den Himmel beklagt, daß eine klare Theorie der Dogmenentwicklung
fehle, aber auf S. 84 ein neues Modell bei der Verkündigung
des Dogmas der unbefleckten Empfängnis bereits voraussetzt.
Vielleicht hängt das alles mit der Auffassung des Vf. zusammen, daß
die Lehramtsentscheidungen aus ,,charismatisch tragender innerer
Kraft" stammten (womit der Vf. den Gedanken einer ckklcsiologi-
schen Garantie lehramtlichcr Konstanz durch das ungebrochen sich
fortpflanzende Christusmysterium auf höchst undeutliche Weise
variiert).

Fragt man nun nach den Kennzeichen seines eigenen dogmatischen
Ansatzes, so wären wohl Wahrheitsbewährung in der Einheit von
Wort und Tat (S. 12) und das Programm einer „responsorischen Dog-
matik" (S. 151 ff) zu nennen. Beides hängt miteinander zusammen.
Wenn der Vf. gegen H. Albert einwendet, hier gehe es um die reine
Satzwahrheit (S. 112), so bemüht er einen schonen Satz von
V. Congar. daß in der Wahrheit Dinge und Menschen zu dem kämen,
was sie vom lebendigen Gott zu sein gerufen wären. So ist die von der
Dogmatik mitzuverantwortende Wahrheit zuletzt unbeweisbar
(S. 115). Auf der anderen Seite muß sie so deutlich sein, daß sie eine
Ordnung und Hierarchisierung von Dogmen erlaubt (S. 116). Die
responsorische Dogmatik, die u. a. Tillichs Korrelationsmethode aufgreift
und gegenüber der neuscholastischen dogmatischen Tradition
die Hermeneutik vor allem der biblischen Überlieferung ernst
nehmen will, zielt allerdings so lange ins Ungewisse, als die Umrisse
der Wirklichkeit, in die sie hinein redet, nur in Assoziationen benannt
werden. Sie lassen sich vor allem aus dem Abschnitt über die interdisziplinäre
Zusammenarbeit der Dogmatik (S. 177(1) erschließen. Deutlich
w ird. daß der Vf. den aus sich heraus unzureichenden bzw. an der
Barriere der Sinnfrage versagenden Wissenschaften Sinn durch die
Theologie empfiehlt.

Und hier liegt nun auch die Anfrage, ob er mit einer streng reforma-
tonsch ausgerichteten Dogmatik überhaupt etwas anfangen konnte.
Solange sie durch die Verbindung von Kreuzestheologie und Eschato-
fogie den Gedanken eines den Menschen natürlicherweise einsichtigen
letzten Gesamtsinnes dieser Wirklichkeit abwehrt, paßt das nicht
m das Konzept des hier vorgelegten Ansatzes zur Dogmatik. Denn
dieses Konzept lebt doch wohl noch in der Erinnerung der gesamt-
iheologischen, metaphysischen Konstruktion von Struktur und Sinn-
haftigkeit der Welt, selbst wenn mit oft allzu serviler Offenheit zur
modernen Welt hin gespielt wird. Hätte der Vf. den Kriteriumscharakter
der Verbindung von Eschatologie und Kreuzestheologic
berücksichtigt, dann hätte er auch nicht mit Ratzinger schlicht der
evangelischen, vor allem der reformatorischen Tradition, eine Verlallstheorie
der Dogmengeschichte bescheinigt (S. 61 0- Die Problematik
des Kanons im Kanon und eines theologischen, nicht einfach
quantitativ umrissenen Kriteriums der Schriftgemäßheit hätten dann
heraustreten müssen. Solange das eine Dogmatik nicht leisten kann
und will, muß es doch bei einem mehr oder minder verbrämten
Kirchenpositivismus bleiben, aus dem Bestand der Kirche und der
opponierten Kontinuität ihres Lehramtes wird dann Wahrheit hergeleitet
, die in einer evangelischen Dogmatik strictissimc nur durch
das Hören auf das Wort gewährleistet sein kann.

Bochum Christofer Frey

Systematische Theologie: Ethik

Mleth, Dietmar: Khe als Kntwurf. Zur Lebensform der Liebe. Mainz:
Grünewald 1984. 126 S.8"

Vf., ein verheirateter katholischer Moraltheologe, will nicht die
bürgerliche Ehe im traditionellen Sinn vorschnell retten, „nicht einfach
die Form festhalten, ohne den Inhalt zu überprüfen" (7). Vielleicht
möchte er „von der Beziehung in der Bindung an Werte träumen
, . . . daß sich Liebe in ihrer Fülle ausschöpfen läßt". Ehe aber
ist nichts anderes als „die Liebe in ihrer Fülle zu entwerfen und auszuschöpfen
, Hoffnung für die Gestalt des anderen zu haben" (8). '

Im letzten Kapitel (VIII. Ehe als Entwurf. 102-124) wird die Ehe
verstanden „als ein Verhältnis zwischen Menschen . . ., das sich entwickelt
und das immer noch im Entstehen begriffen . . . ist" (102). Sie
ist nichts Statisches, sondern immer vom Risiko und von der Offenheit
, der Gefährdung und der Chance getragen. Sie ist nicht tot, auch
wenn andere Formen des Zusammenlebens neben ihr sich heute stärker
herausgebildet haben: Zusammenleben für die Dauer der Zuneigung
. Zusammensein eines Paares in einer größeren Gruppe, Probeehe
, Ehe ohne Trauschein. Auch die Ehe selbst ist nicht mehr homogen
zu beschreiben: Sie realisiert sich auch als offene Ehe, als Ehe auf
Zeit und als Ehe in der Abfolge nach einer Wiederverheiratung. Alle
neuen Versuche betonen zwar je etwas Richtiges für das Zusammenleben
der Geschlechter, jedoch lösen sie auch Bedenken aus. „weil sie
nur einen Teil des Geheimnisses von Liebe und Treue erfassen. Ihre
Mängel regen aber dazu an, die rechte Lebensform zu suchen, auf die
hin diese Entwürfe vielleicht unterwegs sind" (107). Ehe ist immer in
der Krise und darum auch vom Scheitern bedroht, aber soll dennoch
„sein und gelingen" (112). In ihr erfahrt der Mensch immer zugleich
geschlechtliche Begegnung, Zärtlichkeit, fürsorgende Verantwortung
und soziale Fruchtbarkeit. „Wer daher versteht, daß zum eigenen
Glücken das Glücken des Anderen voll hinzugehört, der muß am
Modell der unverbrüchlichen Einehe festhalten" (113). Schon
menschlich gesehen ist die Ehe eine sittliche Instanz, die die Grundübel
der Sexualität, den übersteigerten Kult oder die strenge Unterdrückung
, außer Kraft setzt. Sie ist darum unersetzbar. Zugleich und
darüber hinaus „erscheint die Ehe neu fundiert im Schöpfungswort
und in seiner Erneuerung durch Jesus" (I 15). Damit wird die Ehe zum
Ort der Heiligung, der Freiheit zur Treue, der Liebe Gottes, des Vertrauens
und der indirekten Verehrung Gottes. Die (römisch-katholische
) Kirche tritt besonders seit dem II. Vaticanum positiv für die
Ehe ein. steht aber zugleich noch im Konflikt zu ihr: Sie vertritt „eine
auf den einzelnen Akt bezogene Sexualmoral", hat das „Verständnis
der Ehezweckc . . . immernoch nicht bereinigt" und das „Problem der
Zweitehe für Geschiedene noch zu rigoristisch gelöst" (120). - Ehe
möchte glücken, so daß sie läuft, gelingt und in der Tiefe als Glück
und dann auch immer als Leid erfahren wird.

Auf den ausführlich referierten Schlußteil geht Vf. mit geistlich
tiefen und zeitoffenen Überlegungen zur Ehe in den vorhergehenden
Kapiteln langsam zu. Er möchte nach Grundwerten der Geschlechtlichkeit
unter Vermeidung von enger Repression und allfälliger Permission
suchen, so daß Autonomie und Emanzipation zum Durchbruch
gelangen (I, 9-27).

Sozial-medizinische, ideologische und säkulare Gründe, die nicht
unbekannt sind, werden in gedrängter und klarer Form zusammengetragen
(II, 28-33).

Wichtig ist dann die Grundübcrlegung. daß an Stelle der Ehe als
Grundwert für die Gcschlechtergcmeinschaft der Begriff der „Beziehung
" getreten ist, die sozial unterschiedlich organisiert wird
(III, 38-47). Die im Schlußkapitel kurz genannten Konkurrenzformen
zur Ehe werden ausführlich vorgeführt.

Zwei weitere Kapitel beschreiben pessimistische Einstellungen zu
Liebe und Ehe sowie zu Sexualität und Eros in der Gegenwartsliteratur
(IV, 48-61) und im Film (V, 62-66): Beziehungslosigkeit
durch Einsamkeit und Angst; Unfähigkeit zur Teilnahme am Anderen
; Verflachung der Geschlechterbegcgnung in Kommunikations-
losigkeit; Unterkühlung von Begegnungen, mangelnde Sprach- und
Ausdrucksfähigkeit. Man kann nur noch miteinander über den Verlust
des Glückes in der Liebe klagen, sich als Mann oder als Frau versagen
und allein bleiben. Die Menschen existieren angesichts „eines
hysterischen Individualismus der Freiheit" (66). „Der soziologische
Befund verweist auf einen Plausibilitätsverlust und auf einen Funktionsverlust
von Ehe und Familie" (67).