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Ausgabe:

1985

Spalte:

622-624

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Reinhold, Karl Leonhard

Titel/Untertitel:

Korrespondenz 1773-1788. Bd. 1 1985

Rezensent:

Barton, Peter F.

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Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 8

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die als eine geheime Devise in der gebildeten Welt bekannt gewesen
und berühmt geworden ist. Indem die Schrift Gruets dies Motto sich
als Titel zu eigen machte, weckte sie die Neugierde der Zweifler und
Verächter - so mancher, der mit teurem Geld sich einen Druck oder
eine Abschrift besorgte (S. 25 erwähnt den Prinzen Eugen), mag es
enttäuscht beiseitegelegt haben.

Es ist eigentlich nur in dem mit Kap. 20 einsetzenden Abschnitt,
daß das Thema aufgenommen wird. Hier fallen die Stichworte (pia)
fraus (20.21.29), impostura (21.22.25), impostor (23.26) - die übliche
Ubersetzung des letzteren durch ,Betrüger' ist nicht ganz hinreichend.
Bezeichnend ist, daß der Vorwurf sein eigentliches acumen in
Kap. 23, in der Warnung vor der Glaubwürdigkeit einer reformandi
Potestas, also doch wohl der Tätigkeit Calvins findet. Er, so wird man
Sehalten zu glauben, ist der eigentlich gefährliche impostor. Die Bezeichnung
der drei anderen Betrüger soll, so wenig sie nebensächlich
ist, darauf vorbereiten.

Vergleicht man im einzelnen, so zeigt sich deutlich, daß die Charakterisierung
des Christentums gemäßigter ist als diejenige des Judentums
und des Islams. Nur alii, d. h. die Jünger, werden beschuldigt,
während Jesus gar nicht beschrieben wird. Die Formulierung über das
Christentum verrät Einflüsse des Testimonium Flavianum, wie des
Vf. Bild von den Anfängen des Christentums überhaupt von Celsus
beeinflußt ist1. Die unveröffentlichte und nur durch die Zusammenfassung
Calvins bekannte (vgl. Gericke S. 52f.I1.5) Schrift Gruets
macht dies noch deutlicher.

Das Wort von den drei Betrügern wird mit einigem Recht Fried-
nch II., dem deutschen Kaiser, zugeschrieben2. In einfacherer Form,
nur auf einen Religionsstifter gemünzt, findet es sich bei Celsus: der
von diesem zitierte Jude'erklärt an herausragender Stelle am Ende des
ersten Buchs die Taten Jesu als solche eines gottverhaßten und bösen
Betrügers(1.71: vgl. 11.49: yöifz und änawojv). Es ist also die ältere Religion
, die der jüngeren dies Etikett anheftet. Derselbe Vorgang wiederholte
sich, als das Christentum mit dem Islam zu tun hatte4. Jesus
und Moses wurden dagegen nicht von den islamischen Polemikern
mit diesem Stigma versehen. Das Wort von den drei Betrügern hat
natürlich seinen Ausgangspunkt in der Abneigung, dem Haß gegen
tone Religion. Da die Bezeichnung Jesu als eines Betrügers die Übersetzung
der jüdischen Anklage Jesu als eines mesith ist, muß in dieser
Gleichsetzung der Anfang der Brandmarkung gesehen werden. Die
Ausweitung auf drei Gestalten - sie ist die geistige Leistung in dem
dem deutschen Kaiser zugeschriebenen Wort - bedeutet eine Übertragung
von der rechtlichen Ebene auf diejenige der distanzierten Beobachtung
. Ob Friedrich IL direkt durch das Judentum5 oder auf dem
Umweg über die mittelalterliche Aufklärung die Anregung zu seinem
Ausspruch erhalten hat. bleibt eine offene Frage. In dieser seines
rechtlichen Gehalts entkleideten Form hat das Wort nicht nur in der
^'Mirochenen Schrift, sondern weithin in der Aufklärung seine Bedeutung
gehabt6.

Dank gebührt dem Herausgeber für die von ihm geleistete entsagungsvolle
Arbeit. Anerkennung verdient aber auch die nachahmenswerte
Großzügigkeit, mit der der Verlag ein solches Werk in sein Programm
aufgenommen hat.

Münster (Wcstf.) Ernst Bammel

' Den vom Vf. angeführten Parallelen sind hinzuzufügen: horresco reliquia
Proferre (20; vgl. c. Cels. II. 13: noXiä £/wv Uyeiv... napa>.e.imt>), bonae
foemiculac (18) hat eine entfernte Beziehung zu der ymij napounpot; (c.
Cels. II. 50).

Das Material bei K. J. Heinisch. Kaiser Friedrich IL in Briefen und Berichten
seiner Zeit, Darmstadt 1968, S. 206 ff.

Celsus selbst macht nur dem Moses äypoixoi dndmi zum Vorwurf(I.23).

H. Reuter. Geschichte der religiösen Aufklärung im Mittelalter I. Berlin
1875. S. 299.

Diescrwägt Reuter 11.299.
* S. neuerdings H. B. Nisbeth. Spinoza und die Kontroverse De Tribus
lmpostoribus(Wolfenbüttclcr Studien zur Aufklärung XII).

Reinhold, Karl Leonhard: Korrespondenz 1773-1788. Bd. 1. Hrsg.
von R. Lauth, E. Heller u. K. Hiller. Stuttgart: Frommann; Wien:
Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1983.
XXI, 448 S., 1 Porträt gr. 8*.

Es gibt Gestalten, in denen sich die Geistes-, Kultur- und Philosophiegeschichte
des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts
wie in einem Brennglas brach und konzentrierte, so vielfältig
und vielschichtig waren die oft abrupten geistigen, politischen und
philosophischen Neuansätze: Neben dem Burgenländer Ignatius
Aurelius Feßler ist hier vor allem der Wiener Karl Leonhard Rein-
hold (1757-1825) zu nennen. Der Sohn eines k. k. Hofkriegsbuchhal-
terei-Ingrossisten am Wiener Arsenal besuchte das Jesuitengymnasium
, wurde als Fünfzehnjähriger Novize der Societas Jesu und
kann in dem letzten Jahre vor der Aufhebung des Ordens als typischer
Repräsentant des österreichischen Barockkatholizismus angesehen
werden, wurde dann Mitglied des Barnabitenkollegiums, Priester und
Lehrer der Philosophie (1778). Die in den ersten Jahren der Alleinregierung
Josephs IL so einflußreiche Wiener Freimaurerei, zumal die
Loge „Zur wahren Eintracht" faszinierte ihn, brachte ihn in Kontakt
mit Aloys Blumauer und Illuminatenkreisen, auf die 1783 in der
Frage des geplanten Abtausches Bayerns ja noch große Hoffnungen
gesetzt wurden. Reinhold floh noch im gleichen Jahre auf abenteuerliche
Weise aus den Erblanden nach Leipzig, wurde 1784 in Weimar
Mitarbeiter Christoph Martin Wielands bei der Herausgabe des
„Teutschen Merkur", im Jahre darauf dessen Schwiegersohn, war
führender Mitarbeiter Bodes in dem in Sachsen wie Niedersachsen
auch nach 1784 höchst aktiven Illuminatenorden (und ab 1793 dessen
Nachfolger bei der Umstrukturierung des Ordens in den „Bund des
Einverständnisses"). Seit seinen von Zeitgenossen als sensationell
empfundenen „Briefen über die Kantische Philosophie" (1786IT) und
seit seiner Ernennung zum Philosophieprofessor zu Jena (1787) war er
eine Schlüsselfigur für die nun verstärkt einsetzende Kant-Rezeption
und Kant-Kritik. Seine Entwicklung vom Supranaturalisten über
Deismus, Atheismus, Theismus, Skeptizismus zum eigenständigen
Kantianer scheint 1788. als Kants „Kritik der praktischen Vernunft"
erscheint, abgeschlossen, das Ansehen Reinholds- nicht zuletzt aufgrund
seiner intensiv gepflegten maurerischen Kontakte und seines
extensiv angelegten Briefwechsels - erreicht seinen Höhepunkt. Seine
Übersiedlung nach Kiel (1794) und sein Übergang zum Deutschen
Idealismus, bei dem er freilich nicht stehen blieb und in dem er bisweilen
die ungute Funktion eines „Reibebaums" spielte, seine philosophischen
Neuansätze rückten ihn dann etwas aus dem Mittelpunkte
des Interesses, auch wenn er immer noch - nicht zuletzt durch seine
vielfältigen Kontakte-überaus bedeutsam blieb.

Die hier gebotene Edition kann als vorbildlich gewertet werden -
auch Stücke des verlorenen Briefwechsels, die erschlossen werden
können, sind berücksichtigt (S. 193 u. ö.). Daß die internationale Zusammenarbeit
(S. XIVs.) so intensiv gepflegt werden konnte, ist der
Edition sichtlich zugute gekommen. Umfangreiche Anmerkungen
erschließen den generös ausgestatteten Briefband. Die Korrespondenz
Reinholds, die v. a. im Goethe- und Schiller-Archiv zu Weimar aufbewahrt
ist, war zum größten Teil bisher noch nicht publiziert - doch
wurden Reinhards Briefwechsel mit Baggesen und Bardiii, Robert
Keils „Wiener Freunde 1784-1808" bzw. „Wieland und Reinhold"
(1883 bzw. 1885) sowie die überaus korrekturbedürftige Biographic
des Sohnes Ernst Reinhold (Jena 1825) kritisch verwertet.

Diese schöne Edition umfaßt u. a. Briefe von und an Alxinger.
Bertuch, Blumauer, Born, Göschen. Kant, Leon, Nicolai, Schiller.
Schütz, Sonnenfels, Voigt, Wieland. Vollständige Register und Anhänge
(über Reinholds Familie, 381 ff, seinen Werdegang bei den
Barnabiten bzw. in der Loge „Zur wahren Eintracht", 386IT bzw.
394f, sowie eine Übersicht über die Veröffentlichungen, nachgelassenen
Schrillen und Rezensionen Reinholds, 396-418) runden diese
Briefedition ab. die in die Zeit 1773-1788 einen besonders instruktiven
Einblick ermöglicht. Wie kontrastiert etwa der Brief des Sohnes
- Pflichtlektürc für jeden, der sich mit der Aufhebung der Societas