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Ausgabe:

1985

Spalte:

39-40

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schmidt, Daryl D.

Titel/Untertitel:

Hellenistic Greek grammar and Noam Chomsky 1985

Rezensent:

Schenk, Wolfgang

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deren grundsätzliche Gleichwertigkeit er ungeachtet ihrer sozialen
Ungleichheit behauptete und metempirisch legitimierte" (S. 193). Im
Blick auf den ethischen Ansatz des Paulus läßt sich eine Grundtendenz
festhalten: „Die Normen des Paulus hatten meist die
Tendenz, die konjunktiven sozialen Beziehungen zu fördern und die
disjunktiven abzubauen" (S. 198), nicht zuletzt bedingt durch das
„Autostereotyp" des Paulus, das „Sein in Christus", das für alle
ethischen Entscheidungen grundlegend war (vgl. S. 195) und gleichsam
einen Raum der Liebe darstellt. Die völlige Dcvianz dieses
Autostereotyps (S. 202) brachte eine Devianz im Bereich der idealen
Bewertung von Frauen und Sklaven mit sich, und diese wiederum
legte den Grund für einen sozialen Wandel, allerdings ohne strukturelle
Folgen; der Vf. nennt diese Haltung des Paulus (und der
Christengemeinden) „Rebellion" (S. 203). Die immer wieder feststellbare
Differenz zwischen idealer und realer Bewertung erklärt der Vf.
mit dem Überlagerungstheorem: Die Bewertungen, „die Paulus in
seiner primären Situation als Jude internalisiert hatte", wurden durch
die Bewertungen, „die er als Christ internalisiert hatte, nicht ausgelöscht
, sondern überlagert" (S. 208). Dieses Überlagerungstheorem
gibt den Blick frei Tür eine angemessene Würdigung des Paulus in
Sachen sozialer Wandel, und es Führt die exegetische Diskussion an
den Ort, wo Paulus nicht mehr in die Alternative „Unterdrückung der
Frau/Sklavenhalter" - „Emanzipation der Frau/Sklavenaufstand"
gezwängt werden muß, in eine Alternative, die weder soziologisch
noch historisch sinnvoll ist.

Zürich Hans Weder

Schmidt, Daryl Dean: Hellenistic Greek Gram mar and Noam
Chomsky: Nominalizing Transformations. Chico, CA: Scholars
Press 1981. X. 115 S. 8' = SBL. DissertationSeries62. Kart.S 12.-.

Nachdem jeder Fortschritt linguistischer Theoricbildung auch'Auswirkungen
auf Grammatiken des hellenistischen Griechisch hatte
(gegen die rein empiristische Phase die cartesianisch-rationalistische:
Winer; danach die historisch-vergleichende Richtung: Blaß-
Debrunner, Moulton-Howard-Turncr, Robertson), gibt es seit Beginn
dieses Jahrhunderts einen bemerkenswerten Stillstand (L. Rydbeck,
What happened to NT Greek Grammar after A. Debrunner?, NTS
21, 1975, 424-427). Von der reinen Fakten-Deskription (auch wenn
sie historisch-vergleichend dargestellt sind) muß der Schritt zum Aufweis
ihrer logischen Struktur gewagt werden, damit überhaupt eine erklärungsadäquate
Theorie entsteht. R. Funk (A Beginning Intcr-
mediate Grammar of Hellenistic Greek, 1973) wandte wenigstens
Grundeinsichten der taxonomischen Schule auf dieses Feld an - und
dies sogar, ohne die Hilfe einer entsprechenden Applikation auf das
klassische Griechisch zu haben (S. 3-13).

Da Chomsky nicht schon Entdeckungszusammenhänge als Begründungszusammenhänge
mißversteht, geht seine Theorie über Beobach-
tungs- und Beschreibungsadäquatheit hinaus und begründete eine
erklärungsadäquate Theorie als Universalgrammatik, die die Anlage
zur Spracherlernung jedes Menschen in den Blick nimmt und damit
die universale Kompetenz, die jedem einzelnen Sprachsystem zugrunde
liegt. Von seiner „Standard-Theorie" (in den Aspects of the
Theory of Syntax, 1965, = dt. 1970 Sammlung Akademie-Verlag
Sprache 6) über die "Extended Standard Theory" (Studies on Seman-
tics in Generative Grammar, 1972, in Antwort auf die „Generative
Semantik") führte der Weg über weitere Modifikationen hin zu einer
"Theory of Complcmentation" (P. M. Culicover - Th. Wasow - A.
Akmajian [ed.], Formal Syntax, 1977), die ihn unter maßgeblicher
Beteiligung der Arbeit seiner Schüler in Übereinstimmung mit der
Position der „Lexikalisten" brachte, beispielsweise Nominal-Kon-
struktionen als Transformationen von Sätzen anzusehen (S. 15-40).

Eine die neuere Linguistik aufarbeitende Exegese hat sich bisher
weitgehend auf struktural-orientierte Textanalysen beschränkt und

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dabei von Chomskys Kategorien lediglich intuitiv heuristische Impulse
bezogen (E. Güttgemanns, Semiotik und Theologie, ZfS 4, 1982,
151-168, 154). Darum ist es verdienstvoll, wenn die unter der Direktion
von W. C. Hobbs arbeitende Projektgruppe für eine generative
Transformationsgrammatik des hellenistischen Griechisch am Center
for Hermeneutical Studies des Graduate Theological Union in Berkeley
sich direkt der Aufgabe einer Applikation der neuen Grammatik-
Theorie stellt. Immerhin ist bei einem Blick über den Zaun zu bemerken
, daß etwa die Forschung im Bereich der lateinischen Syntax dafür
schon länger aufgeschlossen reagiert (G. Jäger, Einführung in die
klassische Philologie, 1975, 83-93). Um so wichtiger ist es, daß mit
der Dissertation von D. D. Schmidt erstmalig einer größeren Öffentlichkeit
Einblick in die fruchtbare Pionierarbeit gegeben wird, die in
Berkeley für eine generative Transformationsgrammatik des hellenistischen
Griechisch geleistet wird.

Im Anschluß an Arbeiten von Chomsky-Schülern (J. Bresnan 1970,
E. Bach 1977) untersucht Kap. 3 Transformational Rules for
Nominalizalions in Hellenistic Greek (S. 41-69): Nominalisierungen
sind Transformationen, die eingebettete (= abhängige) Sätze in
Nominalwendungen transformieren, und damit zeigen, daß sie
nominal (als Subjekt), adnominal (als Apposition) oder adverbial (als
Objekt) funktionieren. Analysiert werden vor allem der nominalisie-
rende Complemcntarisiercr hoti + Indikativ nach kognitiven Verben
und unpersönlichen Wendungen (S. 43ff) sowie nach Redeverben
(S. 51 ff). Bei modalen (voluntativen) Einbettungen wird stattdessen
hina (bzw. hopos) + Konjunktiv verwendet (S. 55-59). Wort- und Satzfragen
werden ebenso in die Untersuchung einbezogen. Bei indirekten
Redesätzen liegt eine analoge nominalisierende Einbettung vor, so
daß sich die bisherige Klage über eine hellenistische Konfusion von
Fragepronomen und Relativpronomen erübrigt, da beide nun als
Komplemcntarisalorcn funktional adäquat beschrieben werden können
. Ebenso sind die eingebetteten Infinitive als analoge Nominalisierungen
ohne einen ausdrücklichen Komplementarisierer (S. 61 IT)
funktionsanalog erklärt.

Die Bedeutung der Ergebnisse dieser Arbeit sind schon offenkundig:
Damit werden einige Hürden, die bei der Segmentierung von Sätzen
eines Textes in der Formanalyse entstehen, endlich genommen. Die
Bestimmung der Sprachverwendung der einzelnen Autoren erfährt
manche Präzisierung (vgl. die präzise Regel für Gebrauch wie Vermeidung
der rezitativen hoti bei Joh S. 52F sowie S. 63 die stilistische
Verwendung der Infinitive bei Lk). Übcrsctzungslinguistische Konsequenzen
kommen beispielhaft in den Blick (S. 88 Anm. 21 für Joh
9,17) und ebenso textkritische Entscheidungshilfen (S. 52, 55). Die
Arbeit ist ein guter Anreger dafür, den hier eröffneten Weg entschlossen
weiter zu verfolgen.

Eppstein Wollgang Schenk

Apokalypse (Themaheft Bibel und Kirche 39, 19X4. Heft 2): Giesen, Heinz:
Christusbotschaft in apokalyptischer Sprache (S. 42-53) - Läpplc, Allred: Das
Geheimnis des Lammes (S. 53-58)-Giesen, Heinz: „Das Buch mit den sieben
Siegeln" (S. 59-65) - Gollinger, Hildegard: Das „Große Zeichen" (S. 66-76)-
l.äpple, Alfred: „Das neue Jerusalem" (S. 75-81).

Cook, Michael J.: Inlerpreting "Pro-Jewish" Passages in Matthew (HUCA
L1V. I983 S. 135-146).

Elliott, J. K.: Old Latin Manuseripts in Printed Editions of the Greek New
Testament (NovTest 26, 1984 S. 225-248).

Frankemolle, Hubert: Juden und Christen nach Paulus. Israel als Volk Gottes
und das Selbstverständnis der christlichen Kirche (ThGL 74,1984 S. 59-80).

Grclot, Pierre: Evangiles et tradition apostolique. Reflexions sur un eertain
«Christ hebreu». Paris: Cerf 1984. 197 S. gr. 8" = Apologique. Kart. ITr 75.-.

Haufe, Ciünther: Eirene im Neuen Testament (CV 27, 1984 S. 7-17).

Kaye, Bruce N.: Lightfoot and Bauron Early Christianily (NovTest 26. 1984
S. 193-224).

Lindemann, Andreas: Literaturbericht zu den Synoptischen Evangelien
1978-1983 (ThR 49, 1984 S. 223-276).

Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 1