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Ausgabe:

1985

Spalte:

613-614

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Strobel, August

Titel/Untertitel:

Texte zur Geschichte des frühchristlichen Osterkalenders 1985

Rezensent:

Schäferdiek, Knut

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Seite 1

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613

Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 8

614

Strobel, August: Texte zur Geschichte des frühchristlichen Osterka-
lenders. Münster/W.: Aschendorff 1984. VI, 169 S. gr. &' = Liturgiewissenschaftliche
Quellen und Forschungen, 64. Kart. DM 48,-.

Die vorliegende Sammlung bietet eine Auswahl erläuterter Quellentexte
zur Geschichte des Osterkalenders unter der Zielstellung, zumeist
als Fälschung geltendes Quellenmaterial kalendergeschichtlich
zu erschließen. Sie ist eine Ergänzung zu St.s 1977 erschienener Monographie
über „Ursprung und Geschichte des frühchristlichen Osterkalenders
" (vgl. ThLZ 106, 1981 Sp. 102-104). In deutscher Übersetzung
- bei diesen Texten kein einfaches Unterfangen - werden zugänglich
gemacht: l. der sog. Liber Anatolii de ratione paschali
(CPL 2303); 2. Ps.-Cyprian, De pascha computus (CPL 2276); 3. Die
unter dem Namen des Hieronymus überlieferte Schrift De solemnita-
t'bus paschae (CPL 2278); 4. das sog. Konzil von Caesarea
(CPL 2307); 5. Brief 33 des Ambrosius; 6. der auch Martin von Braga
zugeschriebene Tractatus Athanasii (CPL 2302); 7. die sog. Disputa-
tio Morini (CPL 2306; hier wäre unter den Textzeugen noch die HS
Tours 334 aus dem 9. Jh. zu nennen, abgedruckt bei Alfred Cordolia-
m, Les computistes insulaires et les ecrits pseudo-alexandrins: Biblio-
theque de l'Ecole des Charles 106, 1945/6, 5-34, hier 30-34); 8. zwei
Viktor von Rom unterschobene Briefe zur Osterfrage (JK t 75 und
t 76); 9. ein unter dem Namen des Ananias von Shirak (7. Jh.) stehender
armenischer Ostertraktat.

St. geht es darum, in der Auseinandersetzung mit der bisherigen
Forschung den geschichtlichen Ort dieser Texte neu zu bestimmen als
Voraussetzung ihrer Auswertung für das von ihm entworfene Gesamtbild
der Entfaltung der christlichen Osterrechnung. Daß dies nicht
überall überzeugend gelingt, zeigt gerade das Beispiel an, dem er eine
besonders eingehende Erörterung widmet, der Liber Anatolii. St. vertritt
die partielle Echtheit dieser Schrift, muß dafür aber ihre literarische
Einheit bestreiten, da c. 9ff sich sachlich nicht zu der Echtheitsannahme
fiigen. Inc. I -8 aber liege zumindest ein Auszug aus der verlorenen
Osterschrift des Anatolius vor. Nicht gestellt wird die Frage,
warum denn dieser vermeintliche Auszug in c. 2 unterbrochen wird,
um ein nun unbestreitbar echtes Stück aus Anatolius nach einer ganz
anderen Quelle, nämlich aus Euseb/Rufin einzubringen. Die dabei
unterlaufende Retusche des rufinschen Textes durch Änderung des
Aquinoktaldatums vom 22. auf den 25. März hält St. nicht für ein ursprüngliches
Element der Aufnahme dieses Stückes durch den Liber
Anatolii. Sie wird jedoch nicht nur in dessen vermeintlich sekundärem
Schlußteil vorausgesetzt; auch c. 6 erklärt sich unter ihrer Voraussetzung
weit zwangloser und schlüssiger als unter der des ursprünglichen
Datums. Am ehesten stellt sich die Schrift eben doch als
einheitliches Ganzes dar, das unter Rückgriff auf Rurin von dem einzigen
überlieferten Anatoliusfragment Gebrauch macht für einen literarisch
vielleicht nicht ungeschickten, komputistisch aber überaus
stümperhaften Versuch, einerseits die Geltung des dabei jedoch mißverstandenen
19jährigen Zyklus und andererseits seine Vereinbarkeit
mit den im Zeitalter Columbans und Bedas als traditionell irisch geltenden
Paschalregeln zu verfechten. Dazu wird in c. 11 ein allerdings
wegen willkürlicher Schaltjahrsansetzung von vornherein unsinniger
und in seinem 11. und 19. Jahr tatsächlich mit den vorausgesetzten
Paschalregeln doch nicht zu vereinbarender Zyklus aufgestellt. Er beruht
ganz offensichtlich auf der in c. 9 gegebenen Lunationstabelle
mit 29tägiger Märzlunation und deren Fortschreibung. (Zwar sind dafür
im überlieferten Text die Mondaltersangaben Tür das Äquinoktium
im 1.. 4. und 12. Jahr um 1 zu hoch: doch das dürfte sekundäre
..Schönheitskorrektur" sein, um einen unter den gegebenen Voraussetzungen
für den 25. März fälschlich angenommenen durchgängigen
jährlichen Mondalterszuwachs von 11 Tagen zu gewinnen; darauf
weist auch das nicht entsprechend „verbesserte" Mondaltcr für das
Osterdatum im ersten Jahr, das auf den systemimmanent zutreffenden
Ansatz von XXV statt XXVI für das Äquinoktium führt). Demgegenüber
nimmt St. jedoch aus der älteren Forschung eine konstruktiv aufwendige
, überscharfsinnige These auf, nach der es sich bei diesem

Zyklusversuch um eine Umordnung einer aus zwei unterschiedlichen
Teilzyklen bestehenden historischen Jahresreihe handele (eine von St.
nicht notierte Variation dazu bei Cordoliani, a.a.O. 15-21). Dadurch
wird jedoch nur der Blick auf den engen inneren Zusammenhang
der c. 9 und 11 und die Intention und Arbeitsweise des Verfassers
verstellt.

Neben und hinter solchen Detailfragen stellt sich bei St.s Umgang
mit den Texten immer wieder - besonders deutlich vielleicht bei der
Behandlung des fiktiven Berichtes über das von Euseb (V 23,3) erwähnte
Konzil von Caesarea des späten zweiten Jahrhunderts - das
grundsätzliche Problem eines angemessenen Verständnisses für die
Erscheinungen von Pseudepigraphie und Fälschung in Spätantike und
Frühmittelalter und die in ihnen zum Tragen kommende Wahrheitsund
Autoritätsauffassung.

Solche möglichen und nötigen, speziellen oder allgemeinen Anfragen
sollen indessen keinesfalls die dankbare Anerkennung dafür in
den Hintergrund drängen, daß St. mit seinen Übersetzungen und Erläuterungen
einen schwerlich zu überschätzenden Schlüssel für den
Zugang zu dem hier behandelten spröden Quellenmaterial an die
Hand gibt. Sie sollten vielmehr auf die Notwendigkeit einer umfassenderen
Auseinandersetzung mit dem von ihm gezeichneten Gesamtbild
frühchristlicher Kalendergeschichte hinweisen, in dem - unmittelbar
vernehmlich etwa beim Abheben auf eine primäre Anbindung
der christlichen Festtradition an das factum ipsum des Todes Jesu -
durchaus auch ein grundsätzliches theologisches Interesse zu Wort
kommt. Ob eine solche Auseinandersetzung allerdings in absehbarer
Zeit tatsächlich geführt werden wird, mag man bezweifeln, fordert sie
doch, den zu diesem Bilde führenden beschwerlichen, von St. mit profunder
Kenntnis in entsagungsvoller Kleinarbeit durchschrittenen
Weg Schritt um Schritt geduldig nachzuvollziehen.

Bonn Knut Schäferdick

Kirchengeschichte: Mittelalter

Wallace-Hadrill, John Michael: The Frankish Church. Oxford:
Clarendon Press 1983. XII, 463 S. gr. 8° = Oxford History of the
Christian Church. Lw. £ 35.-.

Dieses Standardwerk eines sehr beachtlichen Kenners bewältigt das
Thema „Fränkische Kirche" in 16 Kapiteln, denen eine - ziemlich
knappe - Bibliographie, eine Karte sowie ein Index angefügt sind. Der
Rahmen ist zeitlich-sachlich weit gespannt und reicht vom "Gallo-
Roman Prelude", also Ereignissen und Personen des dritten bis fünften
Jh. (Martin von Tours, Sidonius Apollinaris, Salvian), bis auf Karl
d. Gr. und seine unmittelbaren Nachfolger (Ludwig d. Fromme, Karl
d. Kahle). Da der Vf. aus naheliegenden Gründen oll über sein engeres
Thema in Richtung Politik, aber auch Kultur und Bildung weit hinausgreift
, entsteht ein umfangreiches Panorama der gallisch-fränkischen
und - wegen der ständigen Verzahnung von Ereignissen, Personen
und geistig-kulturellen Strängen - weithin auch der westeuropäischen
Geschichte in der Zeit des frühen Feudalismus, wobei das
römisch-antike Erbe im kirchlichen wie auch profanen Bereich häufig
eingeblendet werden muß.

Nach dem "Prelude" (Kap. 1) folgt der Abschnitt "From Paganism
toChristianity"(Kap. 2), der auch synkretistische Erscheinungen verschiedenster
Observanz zum Inhalt hat. Kap. 3 ("The Contribution of
History") gibt eine ausführliche Darstellung Gregors von Tours, der
gewiß für das 6. Jh. alseine Art ..erratischer Block" gelten kann. Inder
kritischen Auswertung des Vf. kommt jedoch die Tatsache etwas zu
kurz, daß bei Gregor der rote Faden weithin fehlt, ja daß er einer
„Atomisicrung der Geschichte" (S. Hellmann) Vorschub leistete,
indem er einerseits das Fromme und Legendenhafte, andererseits das
Grausam-Groteske fast wahllos in den Vordergrund rückte. Der Vf.
glaubt wohl selbst nicht recht, daß Gregor Chlodwig begründet als