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Ausgabe:

1985

Spalte:

607-609

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Klassiker der Theologie 1985

Rezensent:

Koch, Ernst

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607

Theologische Literaturzeitung 1 10. Jahrgang 1985 Nr. 8

608

(262 fT). Sie sind z. T. scharf zugespitzt; Klaiber ist nicht nur ein guter
Exeget, sondern offensichtlich zugleich auch in der Kirche verwurzelt
und engagiert. Beides kommt diesen Thesen zugute.

Das Buch hat Format. Ich halte es für einen glänzenden Versuch,
paulinische Ekklesiologie aus ihrer Isoliertheit zu befreien und im
Lichte des Ganzen der paulinischen Botschaft zu bedenken. Es ist so
dicht und inhaltsreich, daß keine Rezension seine Lektüre auch nur
irgendwie ersetzen kann. Zugleich aber werden seine Grenzen notgedrungen
deutlich. Ich kann sie vielleicht mit der Lektüreerfahrung andeuten
, daß mich der erste „indikativische" Hauptteil des Buches weit
mehr gefesselt hat als der zweite, vom „Imperativ" her entworfene,
und dies, obwohl doch hier die Grundthese Klaibers, daß die Rechtfertigung
in der Kirche sich verwirklichen will, erst eigentlich zum
Tragen kommt. Woran mag dieser Lektüreeindruck liegen? M. E. hat
er mit einer notwendigen Grenze des Ansatzes des Verfassers zu tun.
Er hat eine systematische Darstellungsweise gewählt und deshalb z. B.
auf eine historische Darstellung der Entwicklung und des Weges pau-
linischer Ekklesiologie im konkreten Ringen um seine Gemeinden
verzichtet. Er hat somit darauf verzichtet, darzustellen, welcher Geschichte
der paulinische Gestaltungswille von Gemeinde in der konkreten
einmaligen geschichtlichen Situation unterworfen wurde. Er
hat weitgehend auf soziologische Überlegungen verzichtet und somit
auch nicht herausstellen können, welchen soziologischen Gesetzmäßigkeiten
der paulinische Gestaltungswille der Gemeinde unterworfen
war. Das alles formuliere ich nicht als Kritik; denn mehr als das,
was Klaiber geleistet hat, war in einem einzigen Buche von dieser
Gründlichkeit nicht zu leisten. Wohl aber formuliere ich dies als Hinweis
, in welcher Weise Klaibers Ansatz dialektisch ergänzt werden
müßte, damit ein wirkliches Gesamtbild entsteht, das die Konkretheit
der paulinischen Rechtfertigungslehre in der wirklichen Kirche vermittelt
. Und vielleicht kann ein solcher Hinweis nicht nur bewußt
machen, warum der zweite Hauptteil des Buches relativ abstrakt wirkte
, sondern zugleich auch andeuten, daß m. E. bei Paulus die von der
Rechtfertigungslehre her entworfenen „Gestaltungsprinzipien" der
Gemeinde in einem relativ hohen Maße in der konkreten und sozialen
Wirklichkeit wirksam geworden sind. Darin zeigt sich die Fruchtbarkeit
des von Klaiber gewählten systematisch-theologischen Ansatzes
im Falle des Paulus und zugleich ein Stück der Größe des Paulus
selbst.

Die Eulogie dieses Buches mag mit einem Blick auf die Niederungen seines
wissenschaftlichen Apparates enden, der nicht ein Stoßseufzer über dieses
Buch, sondern über die Situation unserer Disziplin sein soll. Klaiber verarbeitet
in seinen Anmerkungen auf sorgfältige Art und Weise weit über tausend Titel.
Die Anmerkungen zeigen, daß er sie wirklich verarbeitet. Wenn einer dies tut
und zugleich den Anmerkungsapparat nicht absurd aufblühen will, ist er zu
äußerster Dichte genötigt. Klaibers Anmerkungsleil ist noch dichter geschrie-'
ben als sein Buch. Das Resultat aller Dichte ist. daß seine Anmerkungen dem.
der nicht ohnehin weiß, was in den angeführten Büchern und Aufsätzen steht,
völlig unverständlich bleiben. Anmerkungen hatten einst den Sinn und die Aufgabe
wissenschaftlicher Kommunikation. Nunmehr werden sie zum Ausdruck
der Unkommunikabilität unserer Disziplin. Daß dies nicht Walter Klaibers
Fehler ist, dürfte sich von selbst verstehen.

Laupen/Bern Ulrich-Luz

Kirchengeschichte: Allgemeines

Fries, Heinrich, u. Georg Kretschmar [Hrsg.]: Klassiker der Theologie
. 1: Von Irenäus bis Martin Luther. II: Von Richard Simon bis
Dietrich BonhoefTer. München: Beck 1981/83. 462 S. m. 23 Por-
trätabb. u. 486 S. m. 20 Porträtabb. gr. 8'. Lw. je DM 48,-.

Biographische Sammelwerke, die kompendienhaften Charakter
haben, sind beliebt geworden und gehören wohl zu den Zeichen gegenwärtiger
Situation. Das gilt nicht nur für die Theologie einschließlich
der Kirchengeschichte. Die Herausgeber der beiden vorliegenden

Bände sehen in diesem Phänomen einen Ausdruck für das neu erwachte
Verständnis für Geschichte. Möglicherweise erschließt sich in
der Tat die Geschichte vielen Zeitgenossen am ehesten noch über unverwechselbare
Biographien. Das wiederum mag in der Nachfrage
nach individueller Erfahrung mitbegründet sein, die nach Authentizität
von normativen und wegweisenden Auskünften sucht. - An den
beiden Bänden haben 39 Autoren mitgearbeitet, die 45 Theologen
vorstellen.

Darstellung finden: Bd. I: Irenäus (N. Brox), Origenes (G. Kretschmar).
Athanasius (P. Stockmeier). Ephraem der Syrer (J. Martikainen), Gregor von
Nazianz (W.-D. Hauschild), Gregor von Nyssa (G. May), Augustinus (H. Fries).
Cyrill von Alexandrien (A, de Halleux). Humbert a Silva Candida (K.-H. Kandier
). Anselm von Canterbury (R. Heinzmann). Bernhard von Clairvaux (U.
Köpf). Bonaventura (W. Dettlolf), Thomas von Aquin (U. Kühn). Johannes
Duns Scotus (W. Dettlolf), Wilhelm von Ockham (J. K. Schlageter), Gregorios
Palamas (D. Wendcbourg), Thomas de Vio Cajetan (U. Horst), Martin Luther
(J. Brosseder), Philipp Mclanchthon (R. Stupperich). Jean Calvin (A. Ganoczy).
Robert Bellarmin (G. Galcota), Richard Hooker (G. Gaßmann). Petrus Mogilas
(P. Hauptmann). Bd. II: Richard Simon (H. Graf Reventlow), Nikolaus Ludwig
Graf von Zinzcndorf (D. Meyer), Johann Salomo Semler (Ph. Schäfer), Johann
Michael Sailer (G. Schwaiger), Friedrich Schlcicrmacher (H. Pciter). Ferdinand
Christian ßaur (F. W. Graf), Johann Adam Möhler (H. Wagner). Ignaz von Döl-
linger (G. Schwaiger), John Henry Newman (H. Fries), Wilhelm Löhe (F. W.
Kantzenbach), Soren Kierkegaard (J. Siek), Albrecht B. Ritsehl (K. H. Neufeld).
Alfred Loisy (P. Neuner), Ernst Troeltsch (K. E. Apfelbacher). Sergej N. Bulga-
kov (H.-J. Ruppert), Pierre Teilhard de Chardin (A. Gläßer). Rudolf Bultmann
(H. Fries), Romano Guardini (W. DettlolT), Karl Barth (T. Rendtorlf). Paul Tillich
(E. Rolinck), Aiyadurai Jcsudascn Appasamy (H. Bürkle), Dietrich BonhoefTer
(G. Kretschmar).

Im großen Ganzen folgen die dargebotenen Theologenporträts dem
Aufriß Leben - Werk - Wirkung. Hier und da ist ein Abschnitt über
die Bedeutung des jeweils Dargestellten eingefügt. Die Einzelbeiträge
umfassen zwischen 12 und 31 Druckseiten. Hinzu kommen noch sehr
nützliche Bibliographien zu jedem der behandelten Theologen, in die
auch Quellen aufgenommen sind, sowie u. U. ein Anmerkungsanhang
.

Erfreulich ist, daß die Darstellungen immer wieder auf dem letzten
erreichten Stand der Forschung beruhen, was besonders dort der Fall
ist, wo der Autor selbst mit seinen Arbeiten diesen Forschungsstand
repräsentiert (vgl. etwa den Beitrag von J. Martikainen über
Ephraem den Syrer, I 62-75). Das Ziel der Herausgeber ist erreicht
worden: eine allgemeinverständliche Darstellung auf hohem Niveau.
Es ist selbstverständlich, daß sich in den Porträts die Handschrift der
Autoren zeigt. Das ist naturgemäß besonders bei Gestalten der Fall,
deren Leben bis in die Gegenwart hineinreicht. Die einerseits abgewogenen
, andererseits pointierten Charakterisierungen von Karl Barth
durch T. Rcndtorff(II 343-345) sind ein Beispiel dafür.

Die Herausgeber der beiden Bände haben sich auf Einwände gegen
die Auswahl gefaßt gemacht. Man kann hier in der Tat Fragen stellen.
Einerseits ist es erfreulieh, daß der christliche Osten eine so breite Berücksichtigung
gefunden hat, obwohl sich auch in diesem Bereich
sachliche Lücken bemerkbar machen (z. B. Johannes von Damaskos).
Andererseits ist zu fragen, ob Humbert a Silva Candida neben Anselm
von Canterbury und Bernhard von Clairvaux geeignet ist, den
Neuaufbruch der Theologie im 11./12. Jahrhundert hinreichend zu
vertreten - falls man überhaupt eine solche eher theologiegeschichtliche
Frage an ein solches Werk stellen darf. Hier hätte man sich eher
einen Viktoriner gewünscht. Wird man der Auswahl auch nicht nachsagen
dürfen, daß sie vor unbequemen Namen zurückgescheut wäre,
so bleibt doch die Frage, ob sich nicht auch unter den Theologen des
sog. linken Flügels der Reformation Klassiker der Theologie finden
(im Blick auf seine Wirkungsgeschichte wäre hier etwa an Caspar von
Schwenckfeld zu denken, es sei denn, man wollte ihn eher in die
„Klassiker der Frömmigkeit" einordnen). Merkwürdigerweise fehlt
völlig die lutherische und reformierte Orthodoxie.

Dennoch sollen solche Fragen nicht als Vorwürfe gestellt werden -
der Entwurf und das Zustandekommen eines solchen Werkes ist mit
Sicherheit nur unter Kompromissen möglich. Sie werden zum guten