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Ausgabe:

1985

Spalte:

603-605

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schmithals, Walter

Titel/Untertitel:

Die Apostelgeschichte des Lukas 1985

Rezensent:

Schille, Gottfried

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603

Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 8

604

Analysis and the Greek New Testament: The Bible Translator 24,
101-118) vorgestellt hatte. Es ist von E. A. Nida inspiriert und wird
auch hier im ständigen Bezug auf ihn vorgeführt. Sein übersetzungslinguistisches
Prinzip der „dynamischen Äquivalenz" wird hier präzis
als Wiedergabe der semantischen Tiefenstruktur definiert und so auch
Kap. 9 vorgeführt (Semantics is more than the Meaning of Words
67-89) und damit davor geschützt, zu einem bloßen Schlagwort mißbraucht
zu werden, das jedes wilde und oberflächliche Paraphrasieren
scheinrechtfertigen könnte. Die acht einleitenden Kap. (1-66) sind
vorbereitender Art und schärfen mit reichen Beispielbelegen aus dem
NT wesentliche Grundprinzipien ein: Semantische Analyse kann nie
mit Wort-Ausdrücken beginnen; „Wörter" haben nicht eine Bedeutung
, sondern bekommen sie erst. Bestimmend darf weder die Etymologie
(Kap. 4) noch etwa die Fiktion einer „Grund-Bedeutung"
(Kap. 5) sein. Man kann höchstens gemeinsam semantische Komponenten
bei demselben (wie bei verschiedenen) Ausdrücken feststellen.
Auch die zugeordnete Klassifikation einer „abgeleiteten Bedeutung"
ist darum ebenso fragwürdig. Der tatsächliche Unterschied zwischen
beiden betrifft wirklich nur die statistische Häufigkeit der Verwendung
, so daß diese klassifikatorische Unterscheidung rein intuitiv ist
und auf Vertrautheitsgefühlen beruht. Für die Analyse ist sie insofern
unbrauchbar. Weil ein Wort als Signifikant nie eine Bedeutung „hat",
ist die geläufige Frage: „Was meint das Wort NN im NT?" eine irreführende
Frage. Sie beruht auf falschen Voraussetzungen und führt zu
falschen Antworten. Bedeutung hat ein Ausdruck immer nur in einem
Kontext; isoliert davon hat er nur mögliche Bedeutungen (Kap. 6).
Das Schwergewicht des Arbeitsbuches liegt im abschließenden
10. Kap. (91-158: Semantics is more than Meaning of Sentences).
Hier wird das operationale Verfahren der Segmentierung in das
„Kolon" als der kleinsten relevanten Einheit und in „Paragraphen"
als der zusammengesetzten Einheit mit Kolon-Struktur beschrieben
und an acht epistolischen Beispielen eingeübt. Auf die Wichtigkeit der
antiken Rhetorik wird gelegentlich verwiesen. Das semiotische
Grundaxiom der Existenz eines Kodes wird nicht ausdrücklich
thematisiert. Damit hängt auch zusammen, daß auf solche Phänomene
wie die Metonymie in den paulinischen Briefen und deren entscheidende
Bedeutung gegen eine wortsemantische Entwicklung einer
paulinischen Theologie nicht verwiesen wird. Das NT wird öfter zu
biblizistisch als eine Ganzheit veranschlagt, die sie aber eben als
semiotisches System nicht ist (z. B. "Biblical concepts"), was sich im
einzelnen auch darin auswirkt, daß etwa Eph als paulinisch veranschlagt
wird (1 l,76ff). Als Übungsbuch zur Einführung mag die vorliegende
Darstellung ihren propädeutischen Gebrauchswert sicher
erweisen.

Eppstein Wolfgang Schenk

Schmithals, Walter: Die Apostelgeschichte des Lukas. Zürich:
Theologischer Verlag 1982. 247 S., 1 Faltktegr. 8' = Zürcher Bibelkommentare
, NT 3,2. Kart, sfr 33.50.

Schmithals hat 1963 in seiner Habilitationsschrift „Paulus und Jakobus
" in erfrischender Weise festgefahrene Wege der Acta-For-
schung aufzulockern begonnen. So geht man an die jetzt vorgelegte
Acta-Auslegung mit besonderen Erwartungen heran. Tatsächlich
leistet diese dann wenigstens den einen Dienst, die seinerzeit anklingenden
Akkorde wie ein volles Geläut ertönen zu lassen. Erstaunlich,
wieviel Arbeitskraft ein Gelehrter in die Aufgabe zu investieren vermag
, sich durch Jahrzehnte die Treue zu halten!

Schmithals attackierte einst die eingebürgerten Thesen nicht, um
das damals gültige Geschichtsbild über die Anfänge der Christenheit
wesentlich zu erweitern, sondern um es umzugruppieren. Die antike
Gnosis, als ein Randphänomen der Sektenszene unserer letzten Jahrhunderte
in etwa vergleichbar, ist ein schwer greifbarer pluralistischer
Forschungsgegenstand. Schmithals war darum bemüht, demgegenüber
die seiner Meinung nach „kirchlichen" Autoren und Schriften
als durchaus einheitliche Größe zu erfassen. Nur so lassen sich die vor,

neben und nach Paulus erkennbaren „Irrlehrer" als eine relativ einheitliche
Front interpretieren. Das fordert vom Betrachter allerdings,
daß er sein exegetisches Fragen nicht auf Trennschärfe einrichtet.
Diesem Verfahren bleibt Schmithals in seiner Auslegung der Apostelgeschichte
verpflichtet. Doch handele es sich hierbei den Gegnern um
Hyperpauliner, die aus der (präzisen!) Kenntnis paulinischer Thesen
Schlüsse im vormarcionitischen Sinne (S. 120 ziehen. Um das Ergebnis
als erschlossen zu kennzeichnen, formuliert Schmithals gern im
Irrealis, ohne doch selbst dadurch unsicher zu werden. Lukas habe
zwar nur ein einziges Mal „ausdrücklich von Irrlehren" gesprochen
(S. 189), in der Miletrede Apg 20,18-35. Schmithals kann dafür eine
erdrückende Fülle polemischer Thesen und Bemerkungen des Lukas
aufspüren, mit deren Hilfe dieser sozusagen stillschweigend der Irrlehre
den Boden zu entziehen suche. Fast keine Seite dieser Auslegung
ohne ein- oder mehrmalige plakative Verweise auf Irrlehrer-Polemik!
Im Register (S. 246f) besteht der Löwenanteil des unter „die lukani-
sche Redaktion" Gezählten aus derartigen Hinweisen, wenn man bedenkt
, daß eben nicht nur das Stichwort selbst (I.), sondern auch Wendungen
wie „Kontinuität mit Israel" (2.) oder Zwölfapostelgedanke
(3.) und Paulusbild (4.) faktisch in diesen Zusammenhang gehören.
Mit diesen Aussagen, so Schmithals, entzieht Lukas den Hyperpatili-
nern den Boden für die Behauptung eines allein durch Paulus begründeten
, von Jerusalem und den Aposteln mit Petrus als Spitze getrennten
, heidenchristlichen und vom Geist geleiteten Christentum.

Doch habe sich Lukas nicht auf tatsächliche Kenntnisse stützen
können, nur auf Informationen. Außer einer Wege-Quelle für die
Paulus-Darstellung verwehrt Schmithals sich gegen die Annahme von
Vorlagen. Da eine Auseinandersetzung mit fremden Meinungen in
den Zürcher Bibel kommentaren - diese „verarbeiten wissenschaftliche
Erkenntnisse, ohne wissenschaftlichen Stil zu pflegen", sagt der
Rückklappentcxt - nicht zu erwarten ist (Literaturangaben, Begründungen
und Namensangaben fehlen, Typus: „wie ein Ausleger zu
Recht formulierte" S. 172 zu Apg 18,24ff), gerät die Abweisung z. B.
traditionskritischer Überlegungen thetisch, etwa S. 40 (zu Apg 3:
Heilung am Tempeltor): „Über eine Quellengrundlage läßt sich in unserer
Erzählung nichts ausmachen." Lediglich bei dem vom Corpus
Paulinum her bekannten Detail bestehe ein gewisser Unterschied. Zwar
kenne Lukas die echten Paulusbriefe nicht unmittelbar. Er setze sie aber
als Sammlung... bei den Irrlchrern voraus! Er zitiere sie also „indirekt"
(S. 88 und öfter, ähnlich S. 65 für Stephanus-Nachrichten). Dabei
zitiere Lukas nie mit dem Ziel der Genauigkeit, sondern eher unter dem
Gesichtspunkt, den Irrlehrern die Traditionen zu „entwinden" (S. 65).

Wie kommt Schmithals zu solchen Erkenntnissen? Wir fragen damit
nach der von ihm benutzten philologischen Methode. Gelegentlich
(S. 40 zu Apg 3) kann er sagen: „Die Wundergeschichte ist formgerecht
erzählt." Er kann die Topoi solcher Erzählungen sachgemäß
aufzählen und dies Urteil dadurch festigen. Trotz dieser formkritischen
Nomenklatur arbeitet Schmithals jedoch nicht formgeschichtlich
, sofern Formkritik nach M. Dibelius der methodische Schluß aus
der Form auf die Funktion („Sitz im Leben" begegnet in diesem Buch
etwa dreimal und stets negativ: dergleichen sei im betreffenden Fall
nicht nachweisbar) und nach R. Bultmann die methodische Frage
nach der soziologischen Bedingung ist. Die Form erlaube nicht den
Schluß, also sei die betreffende Geschichte alt. Der Leser soll vielmehr
aus der Formvollendung entnehmen, daß Lukas selbst am Werk ist!
So sei zum Beispiel die Korneliusgeschichte „eine Dublette zu derGe-
schichte vom Hauptmann zu Kapernaum" (S. 104). Kurz, die Beachtung
der Form hat bei Schmithals keine traditionsgeschichtlich-soziologischen
Fragen zur Folge.

Bezeichnenderweise spricht Schmithals durchweg von „Quellen".
Eine besonders breite Quelle sei vor allem als Hintergrund der Paulus-
Darstellung anzunehmen (S. 1220- Das „Wir" sei ein literarisches
Stilmittel (schon in dieser Quelle!) gewesen (S. 148), die Quelle selbst
ein Wegeverzeichnis, und zwarein erweitertes (über M. Dibelius hinaus
). Die Grundlage von Apg 27 (S. 231 ff; Paulus komme danach als
freier Mann nach Rom:S. 199) und weite Teile der Miletrede (S. 191).