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Ausgabe:

1985

Spalte:

591-592

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Duke, James O.

Titel/Untertitel:

Horace Bushnell on the vitality of biblical language 1985

Rezensent:

Reventlow, Henning

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591

Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 8

592

Carson, D. A. [Ed.]: Biblical Interpretation and the Church. Text and
Context. Exeter: Paternoster Press 1984. 240 S. 8'. Kart. £6.95.

Die Arbeit, die der Band dokumentiert, ist getragen durch die
"Faith and Life" Studiengruppe der World Evangelical Fellowship.
Die primäre Aufgabe der Gruppe besteht darin, hermeneutische Fragen
zu erkunden, die für die Gegenwartsaufgaben der weltweiten Mission
von Belang sind. Sie ist angegangen durch hermeneutisch orientierte
Untersuchungen zum Kirchenverständnis, die entweder am
Neuen Testament oder an Aspekten gegenwärtiger ekklesiologischer
Entwürfe orientiert sind. Die einzelnen Beiträge, die von Autoren aus
Europa, Nord- und Lateinamerika, Afrika und Australien stammen,
sind selbständig erarbeitet und dann in der Gruppe diskutiert worden.
Das Unternehmen ist beachtlich durch den Versuch, sehr verschieden
sozial-kulturell bestimmte Ansätze zu vereinen; der sachliche Gewinn
wird am größten sein für die Gruppe selbst, die so zusammengearbeitet
hat und diese Arbeit fortsetzen will.

Inhalt: D. A. Carson, A Sketchofthe Factors DeterminingCurrent Herme-
neutical Debate in Cross-Cultural Contexts, 11-29. - R. T. France, The
Church and the Kingdom of God: Some Hermeneutical Issues, 30-44. - G.
M a i e r, The Church in the Gospel of Matthew: Hermeneutical Analysis of the
Current Debate, 45-63. -E. P. Clowney, Interpreting the Biblical Models of
the Church: A Hermeneutical Deepening of Ecclesiology, 64-109. - P. T.
O' Br i en. Principalities and Powers: Opponents of the Church, 110-150. - T.
Tienou, The Church in African Theology: Description and Analysis of Hermeneutical
Presuppositions, 151-165. - E. A. Nunez, The Church in the
Liberation Theology of Gutierrez: Description and Hermeneutical Analysis,
166-194. - R. P. Shedd, Social Justice: Underlying Hermeneutical Issues,
195-233.

T. H.

Bibelwissenschaft

Duke, James O.: Horace Bushneil. On the Vitality of Biblical
Language. Chico, CA: Scholars Press 1984. VII, 129 S. 8- = SBL.
Biblical Scholarship in North America. Kart. $ 13.50.

Aus Anlaß ihres hundertjährigen Bestehens (1880-1980) hat die
amerikanische Society of Biblical Literature eine Reihe von Untersuchungen
über Pioniere der Bibelforschung in Nordamerika herausgebracht
, zu denen auch dieses schmale Bändchen gehört. Bei der Lektüre
wird einem bewußt, wie unvollkommen in Europa gewöhnlich
die Kenntnisse über forschungsgeschichtliche Entwicklungen jenseits
des Atlantik sind. Nun ist Horace Bushnell (1802-1876) kaum wegen
seines Bibelverständnisses bekannt geworden; er gilt als ein Hauptvertreter
des Liberalismus des 19, Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten
. Er war nie Universitätstheologe, sondern (kongregationalisti-
scher) Pfarrer (in Hartford, Conn.; nach seinem Rücktritt freier Prediger
), hat aber durch sein Schrifttum, seine (später gedruckten)
Predigten und seine Schüler einen großen Einfluß ausgeübt. Sein Wirken
fällt auch noch ganz in die Periode, bevor die historisch-kritische
Forschung von Europa her auch an amerikanischen Universitäten
Einzug hielt.

Mit seiner spezifischen Bibelhermeneutik hat Bushnell sicher am
wenigsten Erfolg gehabt. Sie wurde nach dem Aufkommen der historisch
-kritischen Methode auch in den USA durch das vorwiegende
Interesse der Forschung an der Historie und der (literarkritisch zu
ermittelnden) Entstehungsgeschichte der biblischen Texte verdrängt.
Trotzdem verdient sie, angesichts der heutigen Diskussion um einen
„nachkritischen" Zugang zur Bibel, der Vergessenheit entrissen zu
werden.

Bushnells Hermeneutik war gegen den zu seiner Zeit vorherrschenden
Rationalismus gerichtet, der auch in orthodox-puritanischen
Kreisen in Form des rationalen Supranaturalismus die Bibel als dogmatisches
Lehrbuch behandelte und in der Abwehr rationalistischer
Bibelkritik ihre „übernatürlichen Wahrheiten" verteidigte. Demgegenüber
faßte Bushnell „Offenbarung" als eine lebendige Erfahrung
Gottes, als seine durch das Gefühl, durch Liebe, Glaube im Innern des
Herzens erfaßte Gegenwart auf; Einflüsse der romantischen Bewegung
, insbesondere Schleiermachers, werden hier spürbar (Kap. II:
"The Rhetoric of Revelation", 13-21). Von daher interessierten ihn
auch nicht die äußeren Beweise für die „Echtheit" der biblischen
Schriften oder ihre historischen Hintergründe. Statt dessen war seine
zentrale Frage: Was bedeutet es, daß die Bibel Gottes Offenbarung ist?
(18) Von dem Modell der Offenbarung als "dialogical communi-
cation" (19) her beschäftigte sich Bushnell zentral mit der Sprache der
Bibel, genauer ihren sprachlichen Symbolen, die äußere Zeichen einer
inneren Wahrheit sind. Dies bedingt vor allem einen ästhetischen Zugang
zur Bibel, er behandelt: "The Bible as Poetry" (Kap. III, 23-32).
Die Analogie zwischen äußeren Dingen und durch diese als Symbole
für innere Dinge des Geistes und der Seele (27) ermöglichte den biblischen
Verfassern, ihre Erfahrungen der religiösen Wahrheit und des
göttlichen Wesens in poetischer Sprache auszudrücken. Auch Paulus
ist nicht als spekulativer Denker, sondern als sich in poetischer Sprache
artikulierender Zeuge lebendiger Gemeinschaft mit Christus zu
verstehen (29, vgl. 87). Die Frage nach den Verfassern und auch nach
der Historizität der berichteten Ereignisse (die Bushneil gewöhnlich
akzeptierte) ist demgegenüber unwichtig. Die Vielfalt biblischer Aussagen
fügt sich, auch in Widersprüchen, zu einer Wahrheit: dem
lebendigen Zeugnis des Wesens Gottes zusammen.

Infolgedessen wurde auch die Interpretation der Bibel (Kap. IV:
"The Ascent into Meaning", 33-42) von Bushneil als eine ästhetische
Aufgabe verstanden. Entscheidend ist es, die Sprache der Bibel in
ihrer symbolischen Ausdruckskraft zu erfassen - wie jedes andere
sprachliche Kunstwerk. Dabei spielt der Text den aktiven Part: Verstehen
ist Empfangen in der Begegnung. Hierin, und im Erfordernis
der Sympathie mit dem Autor, dessen innere Erfahrungen reproduziert
werden müssen, erkennt man typisch romantische Hermeneutik
(Schleiermacher). Wichtig ist, daß Wahrheit nicht von ihren Symbolen
getrennt werden kann (39). Der letzte, unverzichtbare hermeneutische
Schritt ist jedoch der Übergang zu einer aktuellen Bedeutung
des Rezipierten im Kontext der Gegenwart ("the ascent into
meaning"). Zusätzlich zu der normalen Sympathie ist für das Verstehen
der Bibel der Einfluß des Heiligen Geistes erforderlich, da die
Wahrheit Gottes nur so erfaßt werden kann.

In all dem hatte Bushnell ein apologetisches Interesse: Durch den
Rückgriff auf natürliche Analogien wollte er gegenüber rationalistischer
Verengung den Zugang zur Bibel wieder öffnen und das religiöse
Bewußtsein zu dem Ort machen, wo sich biblische Wahrheit erweist
(Kap. V: "The Authority and Use of the Bible", 43-50). Als herme-
neutisches Thema ist diese Frage auch heute noch nicht erledigt, trotz
aller Zeitgebundenheit der im 19. Jahrhundert vorgeschlagenen
Lösungen.

In den folgenden Kapiteln geht es um das Verständnis von Sünde
(Kap. VI, 51-59), um die Person Jesu (Kap. VII, 61-67) - wo
Bushnell eine Charakterzeichnung des Gottmenschen versucht. 62 -,
um Gottes Heilswerk (Kap. VIII, 69-76). Hier erscheint Bushnell als
„orthodoxer Liberaler", der etwa die traditionelle Sünden- und Versöhnungslehre
in neuen Formen verstehbar zu machen bestrebt ist.
Das letzte Kapitel (Kap. IX: "From Exegesis to Homiletics", 77-87)
zeigt Beispiele dafür, wie Bushnell in seinen Predigten Einzclverse,
wie Rom 3,25f, in exzessiver Deutung ihrer Bildhaftigkeit auslegte.
Insbesondere das antidogmatische Paulus-Verständnis (s. o.) wird hier
deutlich.

Den Abschluß bilden Bibliographien der Schriften Bushnells. sowie
von zeitgenössischer und neuerer Sekundärliteratur.

Für hermeneutisch Interessierte ist die Lektüre der Arbeit, auch
wenn Bushneil in der Geschichte der Hermeneutik nur eine Nebenfigur
darstellt, nicht ohne Reiz. Es ist gelungen, die Hauptzüge seiner
Position recht anschaulich darzustellen.

Bochum Henning Graf Reventlow