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Ausgabe:

1985

Spalte:

546-548

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Ohlig, Karl-Heinz

Titel/Untertitel:

Die Welt ist Gottes Schöpfung 1985

Rezensent:

Jenssen, Hans-Hinrich

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Theologische Literaturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 7

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dem Mittelmäßigen" (S. 38). Diese Beschreibungen lassen sich denn
auch in religiöser Form wiedergeben; dann erscheint das Böse als „der
falsche Daseinsentwurf' (S. 44), „das Sinnwidrige" (S. 35), „das Gottwidrige
" (S. 32), der „Unglaube" als „die Weigerung, von dem (sie!)
Gott zu glauben, daß er göttlich ist,... das Gute in Person" (S. 178).
Man kann sich vorstellen, was demgegenüber das „Gute" ist: „das
Liebenswürdige" (S. 20), „das Liebenswerte, das Wünschenswerte
unter den Alternativen der Einstellung und des Handelns" (S. 110).
Darüber hinaus bedeute gut sein „immer eine Beziehung, eine Beziehung
zu Personen oder personähnlichen Wesen wie Katzen und
Teddybären" (S. 197). All diese Behauptungen werden nicht miteinander
verrechnet; spielerisch purzeln sie daher, was für den systematischen
Theologen ärgerlich ist, für anderweitige Leser aber durchaus
amüsant sein mag. Eher grundsätzlich gemeinte Urteile wie die Vermutung
der Wurzel des Bösen „in der Unwilligkeit, jene Grenzen des
Begehrens anzuerkennen, die sich aus den rechten und berechtigten
Interessen anderer ergeben" (S. 87, vgl. S. 23), schlagen nicht wirklich
durch.

Was hat der Autor bei diesem Ansatz über die Bewältigung des
Bösen zu sagen? Es lasse sich mindern durch Mißbilligung des eigenen
bösen Tuns, durch Reue und Vergebung, durch „Entschärfung der
Versuchungen" (S. 580- Viel Böses geschehe „ohne Not", man
könnte es „leicht einsparen" (S. 161). Es gelte zudem, das Liebenswerte
zu entdecken und immer häufiger der „Versuchung zum
Guten" (S. l87fT) zu erliegen. „Der Appetit kommt beim Essen hier
wie beim Bösen. Motive zum Guten wollen freilich gesammelt werden
wie Briefmarken und andere Kostbarkeiten. Auch dieser Sammeleifer
ist ein Vergnügen; es kann zur Sammelleidenschaft werden"
(S. 188).

Hinter alledem steht eine optimistische Anthropologie, die dem
Menschen ein gerüttelt Maß an Entscheidungsfreiheit zugesteht. Der
Mensch habe zwar eine „Unrechtsneigung im Erkennen und Streben,
wie der Kompaß eine Mißweisung hat" (S. 113), unter „allem Un-
rechtsdrall" aber „liegt die Begabung jedes Menschen zur Güte und
zum Guten" (S. 125). Auf einem Klavier gebe es keine falschen
Tasten und keine bösen Saiten, schlecht sei das Spiel (117)! Die reformatorische
Anthropologie kommt dabei notwendig als Irrläufer zu
stehen, während Thomas von Aquin immer wieder wohlwollende
Zitation erfährt.

Inmitten des vielen und oft flapsig vorgetragenen Materials fehlt es
nicht an interessanten Beobachtungen und erwägenswerten Tips. Das
..Tunnelprinzip", wenn man nämlich „mutig in die tiefste Finsternis
hineingeht" (S. 1401), mag sich mit Luthers „pecca fortiter" berühren.
Die Aufbietung eines elementaren „moral sense" gegen die „Vergiftung
des Unbewußten durch das Überich" (S. 164ff) hat etwas Befreiendes
. Aber auch hinsichtlich der verschiedenen tiefenpsychologischen
Ansätze bleibt die Position des Autors unklar. Zu Freuds
Beurteilung des Bösen wird einiges angedeutet, C. G. Jung wird in
einer Anmerkung abgehandelt, A. Janov der „Persilscheinpsycholo-
gie" bezichtigt (S. 87).

Ich habe mit dem Beitrag von A. Görres eine merkwürdige Erfahrung
gemacht. Theologisch gesehen, hat er mich geärgert: Muß das
Böse, wenn es nicht radikal von Gott her, nämlich als Sünde und als
Schuld verstanden wird, nicht notwendig als Bagatelle erscheinen?
Bleibt solche Bagatellisicrung dann nicht ebenso notwendig hinter der
Realität des Bösen - Auschwitz, Vietnam! -' zurück? Ist die christliche
, insbesondere die reformatorische Anthropologie, hier nicht der
Wirklichkeit näher und daher der Bewältigung dieser Wirklichkeit
dienlicher? Andererseits hat mich der Essay von A. Görres zuversichtlich
gestimmt: Tatsächlich - es läßt sich allerlei Gutes tun, wenn
es auch vor Gott letztlich fragwürdig bleiben wird; innerhalb der
Grenze, daß all unser Tun von Sünde geprägt ist, gibt es offenbar einen
Raum, in dem man sich so verhalten kann, daß es für das Leben entweder
hinderlich oder förderlich ist. Im Blick auf das letzte Urteil Gottes
mag dies zwar oberflächlich erscheinen. Artikuliert sich aber die
klassische reformatorischc Anthropologie so grundsätzlich, daß sie für

die Wahrnehmung der „Oberfläche" selbst keine Tiefenschärfe mehr
zu entwickeln vermag?

Das Buch schließt mit einem von Karl Rahner beigesteuerten Beitrag
, der durch eine übergreifende Gliederung mit den zuvor abgehandelten
Themen verbunden wird. Rahner geht mit keinem Wort auf die
Ergänzungen von Görres ein; es ist nicht zu erkennen, daß er sie überhaupt
zur Kenntnis genommen hat. Er setzt seinerseits mit einigen
phänomenologischen Beobachtungen ein, die darauf hinauslaufen,
daß der heutige Mensch des Bösen nicht mehr so sehr in der einzelnen
Tat als in seiner Grundverfaßtheit ansichtig wird. Die Erfahrung
dieser „anonymen Grundsündigkeit" (S. 215) sollte nach Rahner auf
eine theologisch reflektierte und liturgisch praktizierte Weise mit der
kirchlichen Rede von der Vergebung verbunden werden. Merkwürdig
innerkatholisch befangen wirkt der Hinweis, die „Schwierigkeit der
Unterscheidung" zwischen schwerer Schuld und „läßlichen" Sünden
mache es „sinnvoll, zum sakramentalen Vergebungswort der Kirche
sich hinzuwenden, auch wenn man nur .läßliche Sünden' zu bekennen
" habe (S. 227). Rahners Beitrag könnte gleichwohl als ein Impuls
auch fürdie evangelische Theologie verstanden werden: Die Botschaft
von der Rechtfertigung muß der gegenwärtigen Erfahrung des Bösen,
die eher im Bewußtsein gebrochener Identität und übergreifender
Selbstverstrickung zu suchen ist, auf eine neue und kreative Weise
konfrontiert werden.

Marburg(Lahn) Hans-Martin Barth

Ohlig, Karl-Heinz: Die Welt ist Gottes Schöpfung. Kosmos und
Mensch in Religion, Philosophie und Naturwissenschaften. Mainz:
Grünewald 1984. VII, 163 S.m.zahlr. Abb. 8' = Sachbücher zu Fragen
des christlichen Glaubens. Pp DM 25,-.

Das Thema Schöpfung bzw. auch Glaube und Naturwissenschaften
ist bereits seit längerem wieder auf dem Büchermarkt präsent, und es
gibt eine Reihe ähnlicher Sachbücher, die Informationen aus Religionsgeschichte
, Theologie, Philosophie und Naturwissenschaft im
Hinblick auf den Themenkreis Schöpfung in unterschiedlicher Weise
vermitteln wollen. Leider fehlt einigen von ihnen die wirkliche philosophisch
-theologische Durchdringung der z. T. recht ansprechend
aufbereiteten Informationen. Der Leser bleibt trotz einiger Denkanstöße
, Frageimpulse und Thesen letztlich etwas ratlos. Der große Vorzug
des Buches von Karl-Heinz Ohlig - Professor für Religionswissenschaft
und Geschichte des Christentums an der Universität des Saarlandes
- ist es, daß der Leser von Anfang bis Ende spürt, daß hier nicht
nur in einer vorzüglichen, gut lesbaren Weise wesentliche, sorgfältig
ausgewählte Informationen vermittelt werden, sondern daß dahinter
eine klare und m. E. äußerst hilfreiche Konzeption steht, die es dem
Leser erleichtert, zu einem eigenen Standpunkt zu finden, ohne daß er
übrigens irgendwie „manipuliert" würde. Ganz unzweifelhaft gehört
dieses „Sachbuch" zu einer der besten Darstellungen dieses Themenkreises
. Obwohl das Buch für Laien und nicht speziell für Theologen
geschrieben ist, wäre jedoch jeder Gemeindepfarrer gut beraten, wenn
er ihm eine sorgfaltige Lektüre widmen würde. Er verfügt dann über
eine klare Sicht wesentlicher Entwicklungslinien des Schöpfungsbe-
grifis und müßte vielleicht nur noch ergänzend einige gute populärwissenschaftliche
Darstellungen der modernen Kosmogonie und Entwicklungslehre
lesen, um allen Diskussionen zu dieser aktuellen und
brisanten Thematik zunächst einmal gewachsen zu sein. Die weitere,
gewiß durchaus notwendige Vertiefung wird sich dann von selbst ergeben
.

Nach einer Einführung, die in ansprechender Weise Religion und
Sinnfrage korrespondieren läßt, folgt das 1. Kapitel „Außerbiblischc
Schöpfungsmythen" (7-28). Es ist selbstverständlich, daß es hier nur
um eine recht begrenzte Auswahl gehen kann und auch bezüglich der
Interpretation manche Frage offen bleiben muß. Im Vordergrund
stehen Schöpfungsmythen der frühen Hochkulturen in Mesopotamien
und Ägypten (9-25). Ohlig sieht das Wesen der Mythen nicht so