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Ausgabe:

1985

Spalte:

540-541

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Gabrielis Biel Collectorium circa quattuor libros sententiarum / Biel, Gabriel ; 3 ; Liber tertius 1985

Rezensent:

Thümmel, Hans Georg

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Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 7

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beitung übernommen und in diesem Zusammenhang zwei Kapitel
„fast ausschließlich" selbst konzipiert (Das Mariendogma, Die
Kirche). Auch hier haben wir von der Zeit der Aufklärung bis in die
letzten lehramtlichen Äußerungen Johannes Pauls II. eine äußerst
hilfreiche Übersicht, die gerade nicht nur offizielle Stellungnahmen
des Lehramtes, sondern auch die kritischen Strömungen in der
römisch-katholischen Kirche, also Äußerungen des Liberalismus, des
Modernismus, des Laizismus und der gegenwartstheologischen „Vielfalt
" (405) berücksichtigt.

Die objektiven Schwierigkeiten bei der Einhaltung von Sach- und
Zeitbezügen sind am Tage, aber zuweilen wirkt das Nachholen von
Sachverhalten, die im chronologischen Zusammenhang woanders
hingehören, störend. Als Beispiel sei hierauf die Kurzerwähnung der
großen wirkungsträchtigen Konzilsverlautbarung zur Ekklesiologie
im „Pastor aeternus" (Vatikanum I, 1870) hingewiesen (401, zuvor
anmerkungsweise nur 321), die man doch gern als cantus firmus im
Zusammenhang der Darstellung des Vatikanum I (319-323) gefunden
hätte. Hier erscheint - bei aller Wertschätzung für darstellerisch
bedingte Sachkontinuitätsabsichten sei dies gesagt - ein wichtiger
Text von 1870 erst nach der dem gleichen Thema gewidmeten Dogmatischen
Konstitution „Lumen gentium" aus dem Jahre 1964 im
Rahmen des Vatikanum II.

Der vierte und letzte Teil des Handbuches ist von R. Slenczka
verfaßt und erscheint unter der Überschrift: „Dogma und Kircheneinheit
" (425-603). In einem großartigen Wurf gibt der Verfasser einen
Einblick in die Geschichte der ökumenischen Bewegung, in ihre Entwicklung
, ihre Probleme, ihren augenblicklichen Gesprächsstand.
Die internationale Forschung ist in einer sorgfältig aufgelisteten
Bibliographie zur Stelle. Slenczka kann ja auf eine ganze Reihe eigener
Arbeiten zur Sache verweisen. Wer hier mitdenken oder gar mitarbeiten
will, muß wohl den englischsprachigen Texten folgen können,
die der Verfasser denn auch kräftig zitiert.

Slenczka beschreibt die ökumenische Bewegung keinesfalls als Siegesallee
. Nicht alles lief konstruktiv oder im Guten zusammen. Der
Weg zur Einheit der Kirche hatte seine Durststrecken, die auch strukturbedingt
waren. Neue ungewohnte Arbeitsstile („Konferenztheologie
", 438) werden ebenso anvisiert wie neue Inhalte bzw. Akzente
ökumenischen Denkens etwa auf der ersten Welt konferenz für Praktisches
Christentum in Stockholm 1925. deren Schilderung der Verfasser
mit der Überschrift: „Ein ,Nicäa der Ethik'" versieht. 325. also
1 600 Jahre davor, fand das dogmenträchtige nieänische Konzil
statt.

Der Verfasser wendet sich zitierend, kommentierend den großen
ökumenischen Konferenzen der letzten Jahrzehnte zu bis hin zu Van-
couver 1983. Er reflektiert den Ertrag der ökumenischen Bewegung,
und er versucht, die theologische Aufgabe zu bestimmen. Im Rückblick
auf die christologisch zentrierten Sätze wichtiger Kirchenversammlungen
formuliert er abschließend und hier deutlich mit den
oben angeführten Sätzen des Herausgebers übereinstimmend: „In der
unmittelbaren Begegnung von Christen auch getrennter Kirchen und
Richtungen stehen sie (d. h. die christologischen Aussagen) aber für
die Gemeinschaft im Hören auf das Wort der Heiligen Schrift, im Gebet
und nicht zuletzt in Umkehr und Vergebung, durch die die Gemeinschaft
mit Christus und unter Christen täglich neu wird. Daß an
dieser Stelle nicht ein frommes Beiwerk, sondern die Mitte der ökumenischen
Bewegung liegt, bedingt den Wesensunterschied zwischen
dem politischen Potential einer internationalen Organisation und der
geistlichen Wirklichkeit der einen, heiligen, katholischen und apostolischen
Kirche." (603)

Am Schluß des Werkes findet man Register für Begriffe und
Namen: das endgültige Abkürzungsverzeichnis ist lose beigefügt.
Jeder Bearbeiter, daraufsei nochmals dankbar hingewiesen, begleitet
seinen Darstellungstext mit einer Fülle von bibliographischen Titeln,
so daß alle drei Bände schon deshalb eine Fundgrube bilden.

Der Herausgeber und alle Verfasser haben sich in hohem Maße um
das Transparentwerden und die Zusammenfassung theologie- und

kirchengeschichtlicher Forschung verdient gemacht. Sie tragen Tür
viele Leser dazu bei. in der Fülle und bisweilen auch Disparatheit der
Einzelforschungsergebnisse den Blick für das Ganze und - was noch
wichtiger sein könnte - die Kriterien für das Ganze nicht zu verlieren.
Insofern darf allen Beteiligten, nicht zuletzt wohl auch dem Verlag
(611), zur Vollendung dieses bedeutenden opus herzlich gratuliert
werden!

Berlin Joachim Rogge

Biel, Gabriel: Collectorium circa quattuor libros Sententiarum,

Auspiciis H. Rückert. collaborantibus V. Sievers et R. Steiger
ediderunt W. Werbeck et U. Hofmann. III: Liber tertius, XX,
704 S., II: Liber secundus, XVI, 716 S., Tübingen: Mohr 1979/84.
gr. 8°. Lw. DM 398,-; 368,-.

Mit dem Erscheinen des 3. und 2. Bandes der neuen Ausgabe von
Biels Sentenzenkommentar liegt nun der Text des Werkes vollständig
vor (zu Band 1 und 4 s. ThLZ 103, 1978 Sp. 520-523). Grundlage für
die Textausgabe ist weiterhin der Erstdruck Tübingen 1501. Herangezogen
sind außerdem die Ausgaben Basel 1508 und Lyon 1514.
sofern sie Varianten von einiger Bedeutung bieten. Wichtiger sind
zwei Handschriften. Die eine befindet sich in der Gießener UB
(ms 734) und enthält das 2. und 3. Buch des Collectorium. Buch II ist
laut Subscriptio 1488, Buch Ml 1489 geschrieben. Da sich in Buch II
dist. 2q. 1 (S. 97) das Datum des 21. 10. 1486, in Buch III dist. 4
(S. 1 16) die Jahreszahl 1488 findet, ist die Handschrift bald nach der
Ausarbeitung des Werkes geschrieben. Ob Biel selbst der Schreiber
war, ist umstritten. Die Schrift spricht dafür, die Zahl der Fehler
dagegen. Die Handschrift stellt eine Vorstufe der Drucklässung des
Werkes dar. Für Buch II liegt eine weitere Handschrift vor, Stadtbibliothek
Trier, ms 943/914. Sie ist nach der Gießener und vor dem
Erstdruck, also zwischen 1488 und 1501, geschrieben und hängt eng
mit der Gießener Handschrift zusammen, bietet aber doch einige Stellen
, die dem Erstdruck näher stehen. Beide Handschriften erlauben
oft, den Text der frühen Drucke zu korrigieren.

Zwar kündigt Biel in der Praefatio (11 S. 3) an, auch für die drei
letzten Bücher der Sentenzen Auszüge aus Ockham zu bringen, freilich
dort, wo dieser sich nicht äußert, andere ihm gleichgesinnte Autoren
zu Worte kommen zu lassen. Jedoch folgt Biel nur am Anfang von
Buch II noch dem Leitfaden Ockhams. Mit dist. 3 löst er sich völlig
von ihm und nimmt nur noch gelegentlich auf ihn Bezug, wobei häufiger
die Quodlibeta als der Senlenzenkommentar zitiert werden. Biel
geht hier also seine eigenen Wege, und diese sind vor allem an Augustin
und Bonaventura orientiert. Scotus und Thomas kommen hinzu.
Häufig bezieht sich Biel auf Gregor von Rimini. Nur in Buch I ist also
Biel direkt von Ockham abhängig. Daran wird auch das andere Interesse
deutlich: Ockhams Probleme liegen in der Ontologie. der
Erkenntnis- und Willenslehre. Biels Fragestellung ist stärker theologisch
.

Buch II behandelt die Schöpfung, doch liegt schon beim Lombarden
das Schwergewicht auf der Angelologie und (im Zusammenhang mit
dem Sündenfall) auf der Frage nach Sünde und Gnade. Biel hat dies
noch verstärkt, und auch in der Angelologie herrscht (wegen des Falls
der bösen Engel) dieses Thema vor. Buch III handelt von der Erlösung
des gefallenen Menschen durch Christus, und zwar beinhaltet die erste
Hälfte die Christologic, wobei die Inkarnation überwiegt. Die zweite
Hälfte handelt von Glaube und Liebe. Tugend und Sünde.

Sünde und Gnade, Glaube und Liebe, Buße und Genugtuung sind
also das Gencralthema Biels, das schon im 1. Buch anklingt, dann
aber in den drei folgenden breit ausgeführt wird. Damit ist gewiß das
eigentliche Thema des Zeitalters überhaupt bezeichnet. Da Biel die
Probleme ohne Rückgriff auf Ockham beantwortet, bleibt die Frage,
ob es wirklich ockhamistische Theologie ist, die er bietet. Die Neuausgabe
des Collectorium macht deutlich, daß Biel einer der bedeutendsten
Lehrer seiner Zeit war. Das Collectorium ist ein großartiges Werk