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Ausgabe:

1985

Spalte:

31-32

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schenker, Adrian

Titel/Untertitel:

Der Mächtige im Schmelzofen des Mitleids 1985

Rezensent:

Conrad, Joachim

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 1

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In diesen Vorträgen begegnet man in H. W. WollT nicht nur dem
tiefgegründeten Exegeten und Wissenschaftler, sondern dem engagierten
Prediger des biblischen Wortes, der nüchterne exegetisch-wissenschaftliche
Arbeit an den alttestamentlichen Texten letztlieh in den
Dienst der Verkündigung gestellt wissen möchte. Was das Verhältnis
des Alten Testaments zum Neuen anbetrifft, so zeigt sich, daß es
offenbar leichter ist. in der praktischen Verkündigung Analogien,
Bedingtheiten und Zusammenhänge aufzuzeigen als in einer wissenschaftlich
abgesicherten Oermition.

Leipzig Siegfried Wagner

Schenker, Adrian: Der Mächtige im Schmelzofen des Mitleids. Eine
Interpretation von 2Sam 24. Freiburg/Schweiz: Universitätsverlag;
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1982. 84 S. gr. 8" = Orbis
Biblicus et Orientalis, 42.

In der vorliegenden kleinen, aber gehaltvollen Studie soll der Nachweis
erbracht werden, daß das Kapitel 2Sam 24 eine literarische Einheit
ist. Unterschiedliche überlieferungsgeschichtliche Vorstufen
werden zwar nicht geleugnet, aber für das Verständnis des jetzigen
Textes als nicht wesentlich erachtet und bleiben deshalb unberücksichtigt
. Im folgenden können nur die wichtigsten Einsichten des Vf.
im Hauptteil der Studie (S. 1-39) skizziert werden. Danach gliedert
sich das Kapitel in vier Segmente. Im ersten (V. 1-9) wird Davids
Schuld aufgewiesen. Sie besteht nicht schon darin, daß er eine Volkszählung
durchführen läßt - dies geschieht ja auf Grund eines göttlichen
Befehls (V. lb) -. sondern darin, daß er es versäumt, vorher
Sühne zu schallen, wie das nach Ex 30,1 1-16 vorgesehen ist. Das
zweite Segment (V. 10-14) enthält ein erstes Schuldbekenntnis
Davids (V. 10). Diesem zufolge ist er jedoch noch nicht gewillt, für
seine Schuld persönlich einzustehen. Von den drei in V. 13 genannten
Möglichkeilen schließt er deshalb die des Verfolgtwerdens durch
Feinde aus, so daß nun zwangsläufig das ganze Volk die Strafe erleiden
muß. Er baut damit freilich zugleich auf Jahwes Erbarmen (V. 14).
Ihm überläßt er auch die Entscheidung zwischen der Bestrafung durch
Hungersnot und durch Pest (keine Übernahme der Septuagintalesart
in V. 14f!). Im dritten Segment (V. 15-17) erfolgt ein zweites Schuldbekenntnis
(V. 17). das eine Sinnesänderung Davids markiert. Er ist
nun bereit, selbst für seine Schuld einzustehen, um ein Ende der sich
vollziehenden Katastrophe zu bewirken. Unabhängig davon empfindet
auch Jahwe Reue und beschließt ein vorzeitiges Ende der letzteren
(V. 16). Damit erfüllt sich die schon vorher (V. 14) von David gehegte
Hoffnung auf ein göttliches Erbarmen (keine Umstellung von V. 16
und V. 17!). Im vierten Segment (V. 18-25) wird der kultische Akt der
Sühnung geschildert. Mit diesem Akt wird „das in VV. 16-17 im
Inneren JHWHs und Davids Entschiedene" nach außen realisiert
(II). Er ist die sichtbar-anschauliche Seite von Jahwes Erbarmen.
V. 16 und V. 18-25 sind somit keine Dubletten, die in Spannung
zueinander stünden und literarkritisch zu trennen wären. Durch
Landkauf und Altarbau wird darüber hinaus verdeutlicht, daß der
kultische Akt den Beginn des Jerusalemcr Tempelkultes markiert, der
somit die bleibende Bereitschaft Jahwes zu Erbarmen gegenüber Israel
versinnbildlicht. Das eigentliche Anliegen der Geschichte aber
besteht darin, deutlieh zu machen, daß nicht der, der auf eigene Macht
vertraut und sieh seiner Schuld zu entziehen sucht, indem er die Strafe
auf das Volk abwälzt, der wahre König ist, sondern nur der, der die
Schuld auf sich nimmt und von Mitleid mit seinem Volk getragen ist
und deshalb auch befähigt ist, den Akt der Versöhnung mit Gott zu
vollziehen. „Die Erzählung ist ein Fürstenspiegel", sie soll zeigen.
..was den König zum König macht" (28). Entstanden ist sie in der
frühnachextlischen Zeit. In zwei gesonderten Abschnitten (39-58)
behandelt der Vf. die spätere Auslegung in Idir 21, in der Sep-
tuaginta, bei Josephus und bei jüdischen Gelehrten des Mittelalters.
Darauf kann hier nicht eingegangen werden. Den Abschluß bilden ein
Anmerkungsteil (59-79) und ein Literaturverzeichnis (80-84).

Versucht man zu dieser Studie Stellung zu nehmen, dann ist
zunächst hervorzuheben, daß die Darlegungen des Vf. zum Mittelteil
des Kapitels (V. 10-17) sehr bemerkenswert sind. Es ist ihm ohne
Zweifel gelungen, den Abschnitt ohne ernsthafte Eingriffe in den z. T.
spannungsreichen hebräischen Text zu interpretieren. Fraglich
erscheint dem Rcz. jedoch, ob es berechtigt ist. Davids Schuld im
ersten Teil (V. 1-9) mit Hilfe von Ex 30,1 1-16 zu erklären. Der Text
enthält keine Andeutungen in dieser Richtung. Das Verhalten Jahwes
in V. 1 soll doch wohl als rational nicht erklärbar dargestellt werden.
Durch diesen Einwand wird allerdings die weitere Interpretation des
Kapitels nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Schwerer wiegt ein
anderer Einwand. Der Vf. ist der Meinung, daß der Mittelteil und der
letzte Teil (V. 18-25) in völligem Einklang miteinander stehen. Ist das
wirklich der Fall? Zwischen beiden Teilen bestellt doch eine deutliche
Spannung, und zwar nicht nur hinsichtlich des Handlungsverlaufs
(vgl. besonders V. 16 einerseits und V. 21b und V. 25b andererseits),
sondern auch hinsichtlich ihres Gewichts für die Darstellung als
ganze. Der Vf. sieht in V. 15-17. also im Mittelteil, die ...Achse des
Geschehens" (9) und damit den Höhepunkt des Kapitels. Bedenkt
man jedoch den Umfang des letzten Teils und seine Stellung innerhalb
des Kapitels, dann kann man auch in ihm den Höhepunkt und die
Hauptaussage der Darstellung linden. D. h„ es linden sich offenbar
zwei Höhepunkte mit zwei gleichgewichtigen Aussagen, nämlich zum
einen die Versöhnung Gottes durch Schuldbekenntnis und Reue
Davids und das Vertrauen auf Gottes Erbarmen, zum anderen die
Versöhnung Gottes durch einen kultischen Akt. Das aber ist doch ein
recht deutliches Anzeichen dafür, daß das Kapitel keine völlig
geschlossene Einheit ist, sondern aus miteinander konkurrierenden
Teilen besteht, die auf verschiedene Schiehlen schließen lassen. Am
wahrscheinlichsten isl daher noch immer die Annahme, daß eine
ältere, in V. 18-25 erkennbare Schicht durch eine jüngere in V. 10-1 7
neu interpretiert worden isl. Der Vf. ist zweifellos im Recht, wenn er
die letztere als „Achse" des jetzt vorliegenden Textes versteht. Das
kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß ein völliger Ausgleich
mit dem Schlußteil nicht erzielt worden ist. Das Kapitel ist also ein
Ergebnis redaktioneller Arbeit, bei der sieh bestimmte Aussagen überlagert
haben. Dieser Tatbestand ist bei seiner Interpretation nicht
außer acht zu lassen. Insofern kann man dem Vf. nicht ganz unbesehen
folgen. Davon abgesehen aber enthält seine Studie viele wertvolle
Einsichten, die bei jeder weiteren Auseinandersetzung mit diesem
schwierigen Text gebührend berücksichtigt werden sollten.

Jena-Leipzig Joachim Conrad

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