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Ausgabe:

1985

Spalte:

534-535

Kategorie:

Kirchengeschichte: Territorialkirchengeschichte

Titel/Untertitel:

Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte. Bd. 4: Orthodoxie und Pietismus 1985

Rezensent:

Haendler, Gert

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Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 7

534

gegenwärtigen Zuspruch im wirkmächtigen Wort des Apostels. Findeis
hat das Tempusgefälle zwischen 2Kor 5,18a. 19a einerseits und 20
andererseits, das auf die Differenz zweier heilsgeschichtlicher Situationen
hinweisen will, nicht zur Kenntnis genommen bzw. durch den
Hinweis nivelliert, daß „die christologisch bestimmte Argumentation
im weiteren Kontext... vor allem den Erhöhten und sein Wirken ...
im Blick hatte" (180).

Mit dieser Einebnung dürften auch die Schwierigkeiten zusammenhängen
, die Vf. mit der apostolatstheologischen Aussage von
2Kor 5.20 hat. Er wendet sich mit Nachdruck gegen eine Auslegung
des hyper Christon presbeucin im Sinne einer „Christus-Repräsentation
" durch den Apostel, derer unterstellt, daß sie auf eine zumindest
funktionale Identifikation von Christus, dem Sendenden, und Paulus,
dem Gesandten, wenn nicht gar auf eine Gleichstellung der Apostel
mit Christus hinauslaufen müsse (2030- Es überzeugt aber keineswegs
, wenn er den rechtlichen Charakter der Aussage und ihren Zusammenhang
mit Vorstellungen des frühjüdischen Botenrechtes mit
dem Hinweis darauf bestreitet, daß sie „in einen religiösen bzw. theologischen
Rahmen hineingestellt" sei (200) - als ob theologisches und
religiöses Reden unverbindliches, alle gedanklichen Konturen verwischendes
Reden sei; ganz abgesehen davon, daß der Blick auf die
übrigen Aussagen des Paulus, in denen er seinen Apostolat in rechtlicher
Verbindlichkeit mit der Sendung durch den Auferstandenen
und dem gegenwärtigen Vollzug des Evangeliums auf die Kirche hin
zusammenschaut, solche Relativierung verbieten sollte.

Was den rezeptionskritischen Aspekt anlangt, so betont Findeis zu
Recht den Zusammenhang zwischen der Versöhnungsaussage von
2 Kor 5 und dem Wunsch des Paulus nach Versöhnung mit der korinthischen
Gemeinde, wobei er aus der kaum zur Diskussion gestellten
Voraussetzung, 2Kor6,14-7,2 sei ein 2Kor 10-13 zeitlich vorausliegendes
Brieffragment, folgert, daß die Versöhnungsabsicht des
Paulus zunächst gescheitert sei, weil die Korinther nicht bereit waren,
sich sein Verständnis seiner apostolischen Sendung zu eigen zu
machen. Findeis hebt diesen an sich relativ einfachen Sachverhalt auf
die Höhe moderner kommunikations-theoretischer Terminologie,
ohne ihn dadurch durchsichtiger zu machen: „Die Einbeziehung des
diesen Brief übergreifenden Kommunikationsverlaufs erweist die Diskrepanz
zwischen der Zielsetzung in der Intention des Paulus und dem
faktisch erzielten Effekt auf der Seite der Briefempfänger. Das Rezeptionsverhalten
scheint überwiegend negativ gewesen zu sein ... Die
Paulus selbst und seine Beziehung zur Gemeinde Korinths belastende
abweisende Einstellung mit den sie stützenden (apostolatstheologischen
Auffassungen wurden nicht abgebaut, positive Einstellungen
nicht in einem für die unmittelbar folgende Entwicklung bedeutsamen
Umfang aufgebaut." (247)

Die wesentlich knapper behandelten Aussagen Röm5,10f und
11,15 sieht Vf. als „in der Nachgeschichte des in 2Kor 5,18ff formulierten
Versöhnungsgedankens" stehend (328). Indem Paulus hier
seinen eigenen früheren Gedanken rezipiert und ihn ohne den Zwang
einer auf Versöhnung drängenden Konfliktsituation entfaltet, erweist
er Bedeutung und Konstanz dieses Gedankens. Die Ausrichtung auf
Apostolat und Gemeinde tritt hier zurück. Stärker betont wird demgegenüber
der Zukunftsaspekt: Nach Rom 5,10 eröffnet die empfangene
Versöhnung die Hoffnung auf die in der Zukunft gewährte Vollendung
durch die Rettung „im Leben Christi". Mit Rom 11,15 wird
im Zusammenhang mit der Israel-Perspektive eine universale Dimension
eröffnet: an der zukünftigen Versöhnung der Heidenvölker wird
auch Israel aufgrund seiner Annahme durch Gott partizipieren. Diese
Hoffnungsperspektive bleibt jedoch gebunden an die am Kreuz
geschehene Versöhnung und ihr Gegenwärtigwerden durch das Wirken
des Erhöhten (333).

Diedeuteropaulinischen Aussagen Kol 1,20; Eph 2,14-18 sieht Vf.
als Ergebnisse komplizierter, vielschichtiger Rezeptionsprozesse: In
ihnen trifft sich die paulinische Versöhnungstheologie vermittelnde
Tradition der Paulusschulc mit einer ihrerseits aus dem hellenistischen
Judentum stammenden Sprachtradition des hellenistischen

Judenchristentums. Der letzteren gehört der Hymnus Kol 1,15-20
an, den der Kol-Verfasser im Sinne des paulinischen Versöhnungsverständnisses
korrigiert. „Daran knüpft Eph in der weiteren Kommentierung
der im Kol vorliegenden Tradition und Redaktion an, wobei
er eigenständig Ansätze aus Kol, pl. Tradition und Vorstellungselementen
des hellenistischen Judenchristentums und dadurch auch
des hellenistischen Judentums verarbeitet." (540) Kol verstärkt gegenüber
2Kor und Rom den kreuzestheologischen Bezug und damit die
christologische Verankerung des Versöhnungsgeschehens, läßt jedoch
die theo-logische Komponente zurücktreten, ohne sie ganz preiszugeben
. Auf dem Hintergrund einer stark präsentisch-eschato-
logischen Ausrichtung und in Neuinterpretation der vorgegebenen
hymnischen Gemeindetradition versteht er die Versöhnung als ein
sich auf die himmlischen und irdischen Bereiche des Kosmos erstrek-
kendös Geschehen, das gegenwärtig durch die Verkündigung des Christusgeheimnisses
durchgesetzt wird (431). Stark akzentuiert wird
dabei der ekklesiologische Bezug, und zwar im Sinn einer universalen
Soma-Kephale-Ekklesiologie. Der wichtigste Unterschied von Eph
gegenüber Kol besteht darin, daß die kosmologische Dimension durch
die Ekklesiologisierung aufgehoben wird: Die Versöhnung wird hier
zentriert auf die universale Soma-Kirche aus Juden- und Heidenchristen
, die durch den Kreuzestod Jesu gestiftet worden ist.

Findeis hat eine gedankenreiche Arbeit vorgelegt, die eine Fülle von
bedenkenswerten Beobachtungen vor dem Leser ausbreitet. Wenn
trotzdem kein überzeugendes Ganzes daraus geworden ist. so dürfte
dies nicht nur an dem zu weit gesteckten Anspruch, die Thematik in
allen ihren systematischen Implikationen zu erfassen, liegen, sondern
auch in einem Hang zur sprachlichen und sachlichen Verkomplizierung
der Interpretation, der zu einer Umständlichkeit der Darstellung
führt, der gegenüber sich die Erträge unkonturiert ausnehmen. So
bleibt auch die systematische Schlußfolgerung (551-554) gegenüber
der Lesererwartung einer prägnanten Stellungnahme zur dogmatischen
Versöhnungstradition weit zurück. Hätte der Verfasser sein
Buch auf die Hälfte des Umfangs reduziert und hätte er den Mut
gehabt, die Hauptlinien unter Verzicht auf alles überflüssige Beiwerk
klar auszuziehen, so hätte eine lesbare und forderliche exegetische
Untersuchung daraus werden können.

Erlangen Jürgen RolofT

Territorialkirchengeschichte

Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte. Herausgegeben vom
Verein für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte, Bd. 4:
Orthodoxie und Pietismus. Unter Mitarbeit von Jendris Alwast,
Erwin Freytag, Walter Göbell, Lorenz Hein, Erich Hoffmann, Hartmut
Lehmann und Manfred Jakubowski-Tiessen. Neumünster:
Wachholtz 1984. 348 S. gr. 8- Kart. DM 48,-.

Eine Voraussetzung zum Verständnis der Vorgänge ist die Zersplitterung
jenes Gebietes, die S. 72 auf einer Karte dargestellt wird; durch
Schraffierungen werden 9 Gebiete unterschieden: Dänemark, Königlicher
Anteil, Herzoglicher Anteil, gemeinsam regiert, Sonderburger
Linien, Grafschaft Rantzau. Herrschaft Pinneberg mit Altona, Bistum
Lübeck, Hansestädte. Jendris Alwast schildert das landesherrliche
Kirchenregiment zu Gottorf 1544-1721, d.h. den „Herzoglichen
Anteil". Paul von Eitzen, ein Schüler Melanchthons. amtierte
1562-1598 als Generalsuperintendent noch in der „Stellung eines
Bischofs von Schleswig". Sein Nachfolger war der „Generalpropst"
Jakob Fabricius (1593-1640) in der Stellung eines „in fürstlichen
Diensten stehenden Oberbeamten für das kirchliche Ressort" (28).
Trotz des kirchenrechtlichen Unterschiedes bestand Kontinuität in
der Zielsetzung. Von Eitzen lehnte die Konkordienformel ab als
unnötig „für die von Lehrirrtümern freien Kirchenwesen im Norden"
(20). 1689 kam mit Caspar Hermann Sandhagen „der erste Pietist in