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Ausgabe:

1985

Spalte:

528-529

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Käsemann, Ernst

Titel/Untertitel:

Kirchliche Konflikte 1985

Rezensent:

Haufe, Günter

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527

Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 7

528

Derrett, J. Duncan M.: Studies in the New Testament. Vol. 3:
Midrash, Haggadah, and the Character of the Community. Leiden:
Brill 1982.XIL248 S.gr. 8'. Lwhfl 110.-.

Der dritte Band bringt um weitere Anmerkungen ergänzte Aufsätze
Derretts aus den Jahren 1978 bis 1980 (über die ersten zwei Bände und
über die Person des Verfassers s. ThLZ 104, 1979 Sp. 905-906). Es
handelt sich wieder um Beiträge, die immer eine Fülle von Angaben
aus den antiken religiösen und juristischen Texten bringen und die
Zusammenhänge zwischen Altem und Neuem Testament zeigen mit
deutlicher Absicht, die Rolle der Religionsgeschichte in der neutesta-
mentlichen Exegese zu stärken.

Im ersten Aufsatz ( HLANTAP 'AAIE1Z, S. 1 -30) über Mk 1,16 u.
Mt 13,47-49 entfaltet D. aufgrund der erwähnten Stellen und vor
allem aufgrund von Joh 21 und Ez 47,8ff ein Bild der Mission, deren
meiste Dimensionen und strategische Züge in Metaphern aus dem
Bereich des Fischfangs verschlüsselt sind. Auch Lk 11,5-8 (The
Friend at Midnight, S. 31-41) hat nach D. eine symbolische Ebene,
die auf die Zeit der Auferstehung (die Verben iytipmv und dviaxävai)
und auf das Brot des ewigen Lebens (vgl. Jes 26,190 hinweist.

Lk 15,3-10 (Fresh Light on the Lost Sheep and the Lost Coin,
S. 59-84) hängt nach D. aufgrund von Dtn 21,22-22,3 innerlich mit
dem Paschamahl zusammen. Der gemeinsame Nenner ist die Rettung
des Verlorenen. Der „Verfluchte" (Dtn 21,220 ist in der christlichen
Deutung mit dem Retter identisch. Das Thema wird bis in die christliche
Ikonographie verfolgt. - Bedeutend ist die Studie über Judas
Iskarioth (The Iscariot, m''sirä, and the Redemption, S. 161-183, vgl.
die weitere Studie "Haggadah and the Account of the Passion",
S. 184-192), wonach der Verrat des Judas ein Akt der Dahingabe
eines Opfers an den Feind war, ähnlich wie Gott selbst die Juden oder
seinen leidenden Knecht (Jes 53) in die Hände der Feinde ausgeliefert
hat. Besonders ein Unschuldiger kann die Sünden anderer Menschen
sühnen und sie sogar retten, wie es Joseph gemacht hat, den seine
Brüdernach Ägypten verkauft haben. In diesem Zusammenhang sieht
D. die Funktion des Judas.

Zuletzt möchte ich noch auf die Studie "Where two or three are
convened in my name ..." (S. 230-233) aufmerksam machen. D.
übersetzt die Verse Mt 18,19-20 etwa so: „Ich sage euch wieder:
Wenn zwei von euch zur Einigung kommen in ihren Ansprüchen, die
sie erheben, wird es von dem himmlischen Vater bestätigt werden,
denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich
mitten unter ihnen." Die Stelle bezieht sich demnach auf die friedliche
Lösung eines Streits, in dem die beiden Seiten ursprünglich verschiedene
Ansprüche erhoben haben (w npäyfta ahemüai) und deren
Anwälte schließlich doch eine friedliche Lösung finden. Diese Versöhnung
wird Gott ratifizieren. Das yiveadai als „bestätigen, ratifizieren
" ist zwar nicht üblich, aber als Ganzes ist diese Deutung des
Doppelspruchs recht anziehend. Leider vermissen wir hier eine form-
und redaktionsgeschichtliche Überlegung. Die beiden Verse sind
offensichtlich erst in einer vorsynoptischen Sammlung zusammengekommen
. Der erste hat sich ursprünglich auf die notwendige Übereinstimmung
der Gebetswünsche innerhalb der betenden Gemeinschaft
bezogen (betont wird nicht die Zahl der Betenden, sondern ihre
Einigung), während in dem zweiten Vers (18,20) die an den Tempel
nicht gebundene Gegenwart Jesu jeder, auch der geringsten christlichen
Gruppe zugesprochen ist (vgl. Mt 28,20b). „Matthäus" hat
beide diese Sprüche auf die Kirchenzucht bezogen. Im Lichte dieser
alternativen, etwa den Konsensus widerspiegelnden Auffassung zeigt
sich Derretts Deutung dieser Verse, die übrigens durch sprachliche
Unebenheiten belastet ist, weniger überzeugend. Dies ist nur ein Beispiel
, das die Grenzen der exegetischen Methode Derretts andeuten
kann. Ihre Vorteile habe ich in der Besprechung der ersten zwei Bände
hervorgehoben.

Die anderen Beiträge in dem dritten Band sind: James and John as
Co-rescuers from Peril (Lk 5,10): Legend and Event: The Gerasene
Demoniac: an Inquest into History and Liturgical Projection; Nisi

dominus aedifieaverit domum: Towers and Wars (Lk XIV 28-32);
Trees Walking, Prophecy and Christology; "Domine, tu mihi lavas
pedes?" (Studio su Giovanni 13,1-30); History and the Two Swords;
The Two Malefactors; Mt. 23:8-10 a Midrash on Is. 54:13 and
Jer. 31:33-34.
Corrigendum: S. 54Anm. 1 Koch statt Coch.

Prag Petr Pokomy

Käsemann, Ernst: Kirchliche Konflikte. Band 1. Göttingen: Vanden-
hoeck & Ruprecht 1982. 246 S. gr. 8°. Kart. DM 28,-.

„Jedenfalls möchte ich gleichsam als Testament für Freund und
Gegner hinterlassen, wie ich Kirche im Lauf der Jahresehen lernte . ..
Vielleicht gewinnen andere dabei Mut, Geduld, Trost" (8). Es ist
schon bewegend, anhand der hier vereinigten 15 Vorträge und Meditationen
aus den Jahren 1967 bis 1981 noch einmal der leidenschaftlichen
Stimme eines Mannes zu begegnen, der wie kaum ein anderer
Exeget wissenschaftliche und aktuelle Bibelauslegung in unseren
Tagen verbunden hat. Die einzelnen Texte sind fast durchweg schon
anderswo publiziert worden, ergeben*aber nun durch ihre Zusammenstellung
ein scharf profiliertes Gesamtbild des Theologen Ernst Käsemann
, das sich dank seiner Eigenwilligkeit in keine Konfession und
Schule ohne weiteres einordnen läßt. Die Mehrzahl der Vorträge ist
vor kirchlichen Gremien gehalten worden und spiegelt das Bemühen
des Redners, etablierte Kirche in die radikale Nachfolge ihres Herrn
zu rufen. Polemik und Provokation bilden daher wichtige Stilmittel.
Schon im Vorwort heißt es zugespitzt: „Dabei ist mir immer bewußter
geworden, daß die Bibel ein subversives Buch ist, mindestens an den
heute unter uns geltenden Normen gemessen."

Die vorliegende Sammlung ist um so begrüßenswerter, als sie sehr
deutlich die kirchlich-theologische Position markiert, die K. in jenen
späten Jahren erreicht, da sein Herz - nach Abschluß des Römerbriefkommentars
- sich „aus mancherlei Gründen von der Wissenschaft
abgewandt hat" (244). Diese Position ist das Ergebnis einer persönlichen
Entwicklung, die auf oft überraschende Weise die zeitgenössische
Theologie- und Kirchengeschichte reflektiert. Man kann dem
Autor nur danken, daß er in den beiden bisher ungedruckten Beiträgen
, in dem einleitenden Aufsatz „Aspekte der Kirche" und in dem
abschließend wiedergegebenen Vortrag anläßlich der Fünfzigjahrfeier
seiner Promotion 1981 in Marburg („Was ich als deutscher Theologe
in fünfzig Jahren verlernte") ausdrücklich über seine eigene Entwicklung
berichtet. Die jüngere Generation sollte gerade diese beiden Beiträge
sorgfältig studieren. Sie zeigen, wie sehr Theologie- und Zeitgeschichte
miteinander verflochten sind. Am ausführlichsten äußert
sich K. über seine Auseinandersetzung mit dem Lehrer Rudolf Bultmann
. In ihr sei ihm F. Chr. Baur mit seiner Frage nach dem Sinn der
Universalgeschichte zunehmend „der eigentliche Ahnherr" geworden
(238). Da Bultmanns Entmythologisierung faktisch auf eine Enthisto-
risierung als Zeugnis seines idealistischen Erbes hinauslief (239),
mußte es zum Bruch kommen. Nicht mehr das Selbstverständnis des
Glaubenden als Ruf zur Menschwerdung des Menschen ist für K. der
Skopus der Predigt, sondern „die weltweite Herrschaft des Gekreuzigten
" (240). Indem K. entschlossen das idealistisch-individualistische
Erbe seines Lehrers hinter sich läßt, wird ihm nächst dem Kirchenkampf
die Entdeckung der Ökumene zum entscheidenden Anstoß:
„Heute erscheint mir die ökumenische Bewegung als das wichtigste
Ereignis und als das eigentliche Kennzeichen unseres Jahrhunderts
christlicher Geschichte" (240). Konkret bedeutet das für K. die Entdeckung
der „politischen Dimension" weltbezogener Theologie
(242), die ihrerseits die Christenheit in dem weltweiten Klassenkampf
auf die Seite der Revolutionäre verweist (31). Zur Predigt des Evangeliums
und zum Gebrauch der Sakramente muß als drittes Merkmal
der Kirche heute „die Präsenz der Armen" treten (30.243). Immerhin
weiß K. auch um „die gegenwärtige Krise der ökumenischen Bewe-