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Ausgabe:

1985

Spalte:

524-525

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Kobelski, Paul J.

Titel/Untertitel:

Melchizedek and Melchiresa 1985

Rezensent:

Bernhardt, Karl-Heinz

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Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 7

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Text entlang geht und die sich aus ihnen ergebenen Probleme reflektiert
" (S. 17). Diese selbstgestellte Aufgabe hat er in einer auch für
einen weiteren Leserkreis instruktiven Weise erfüllt.

Der eigentlichen Untersuchung vorangestellt ist eine knappe
Beschreibung des geschichtlichen Umfeldes und eine biographischhistorische
Einordnung der beiden Gesprächspartner: des Talmudkommentators
, Exegeten und heimlichen Kabbalisten' Moses ben
Nachman und des von der missionarisch-polemischen Dominikanertradition4
getragenen ehemaligen Juden Pablo Christiani (S. 1-22).

Das Religionsgespräch hatte den Charakter einer Zwangsdisputation
. Hinter ihr stand nicht nur der Bekehrungseifer des Ordenstheologen
, sondern noch mehr das politische Interesse des Königs, der den
Vorsitz führte, dafür den Palast zur Verfügung gestellt hatte und in
den Hergang eingriff (S. 118-121). Auch der Disputationsgegenstand
war festgelegt. Entsprechend dem Koordinatensystem der christlichen
Dogmatik sollte sie sich auf die Frage konzentrieren, ob der Messias
(schon) gekommen sei und ob ihm göttliche Natur eigne (S. 34). Dabei
versuchte der auf Grund seiner Vergangenheit durchaus sachkundige
christliche Disputationspartner den Nachweis, daß auch nach der
rabbinischen Traditionsliteratur (Talmud und Midrasch) der Messias
bereits geboren sei, die Juden also nicht auf einen künftigen Messias
zu warten, sondern den gekommenen (und das ist für ihn natürlich
Jesus)anzunehmen haben.

Die Entgegnungen des Nachmanides erscheinen ebenso überraschend
wie spitzfindig. Auf der gleichsam unteren Ebene der Einzelinterpretationen
meint er, zwischen der Geburt und dem Kommen
(= öffentlichen Auftreten) des Messias unterscheiden zu können; er
hilft sich sogar mit der Möglichkeit eines sehr langen, noch jetzt
andauernden Lebens in Verborgenheit, streitet sich um die Datierung
von haggadischen Aussagen. Die messianische Stelle b. Sanh. 98a
vom Messias an den Toren Roms zwischen den Kranken (S. 112-117)
stellt für ihn eine Verlegenheit dar. Auf einer grundsätzlicheren Ebene
tritt er den christlichen Argumenten durch eine hermeneutische Relativierung
entgegen: er differenziert nach Rang und Verbindlichkeit,
zwischen der an höchster Stelle stehenden Tora, dem (halachischen)
Talmud, den er als Auslegung der 613 Gebote des Mosesgesetzes zu
verstehen sucht und dem (haggadischen) Midrasch, dem keine direkte
Verbindlichkeit zukommt (S. 127-128). Als hilfreich erweist sich
auch die bis ins Frühjudentum zurückreichende doppelte Zukunftsperspektive
: die des innerweltlichen messianischen Zeitalters und die
des überweltlichen Gan Eden (S. 219ff).

An einem Punkte muß Nachmanides ganz unnachgiebig sein:
einen - von seinen Feinden - getöteten Messias kann er nicht zugeben.
Jes 53, von Fra Pablo ihm entgegengehalten, deutet er auf das Volk
Israel. In diesem Zusammenhang ist - vom Vf. unbemerkt -
E. Fascher auf die Disputation von Barcelona gestoßen, als er der
jüdischen und christlichen Auslegungsgeschichte von Jes 53 nachging
.5 Natürlich findet sich bei Nachmanides auch das traditionelle
jüdische Argument, daß mit dem von den Christen behaupteten Kommen
des Messias keine messianische Wcltveränderung eingetreten
sei.

Die von den Christen aufgeworfene Frage nach der Göttlichkeit des
Messias tritt demgegenüber zurück. Der Jude insistiert auf der davidischen
Herkunft des Messias, die er gegen Jungfrauengeburt (soll
heißen: Geisterzeugtsein) ausspielt und läßt auch Ps 110,1 nicht
gelten, worin er einen Dialog zwischen dem Messias ben David und
David sieht (S. 240-259). Überblickt man freilich die Vielzahl der
exegetischen Einzelkontroversen, die hier nicht referiert werden, dann
kommt die Position des jüdischen Disputationspartners meist dem
Literalsinn näher, während auf christlicher Seite oft genug gewaltsame
Umdeutungen erfolgen.

In den hier nachgezeichneten groben Linien erweist sich der Nach-
manides-Bericht nach dem Vergleich mit dem christlichen Protokoll
trotz des Charakters als Propagandatraktat auch im Detail als zuverlässig
. Nur in einigen Einzelheiten erscheint der historische Quellenwert
gemindert, wo die Argumente des Gegners falsch oder entstellt

wiedergegeben werden oder die Reihenfolge des Hergangs verändert
worden ist. Die schwerwiegendsten Abweichungen des christlichen
Protokolls könnten dagegen auf den formierenden Einfluß der traditionsreichen
Gattung des adversus Judaeos-Dialogs zurückgehen
(S. 296-300).

So zwiespältig wie der Verlaufist auch der Ausgang. Der Bericht des
Juden spricht von einem Nachspiel, bei dem der König persönlich,
später dann Ramon de Penafortes sich in Bekehrungspredigten an die
Juden gewandt haben. Nachmanides selbst will in Gnaden entlassen
worden sein. Tatsächlich sind Maßnahmen gegen die Juden eingeleitet
worden, die aber vergleichsweise milde ausfielen: das Anhören
von Bekehrungspredigten, die Tilgung als' blasphemisch geltender
Stellen in den Talmudausgaben, schließlich ein Prozeß gegen Nachmanides
(= Bonastrug), der ihm ein zweijähriges Exil auferlegt.6

Der Leser mag entscheiden, ob für ihn beim Rückblick die Betroffenheit
über die verhängnisvolle Vermischung von Religion und Politik
überwiegt oder die Einsicht in einige Konstanten des christlichjüdischen
Dialogs, die noch heute fortwirken.

Leipzig-Halle (Saale) Wolfgang Wiefel

' Auch in der verbreiteten Darstellung von H. J. Schoeps, Jüdisch-christliches
Religionsgespräch in 19 Jahrhunderten, Berlin 1937, ist ihnen nur ein
kurzer Abschnitt (S. 62-86) gewidmet.

2 Vgl. zuletzt H. Grossinger, Die Disputation des Nachmanides mit Fra
Pablo Christiani Barcelona 1263, Kairos 19, 1977, 257-285. 20. 1978, 1-15.
161-181.

' Die Anspielung auf die „Geheimnisse der Weisen" (§22, S 740 weist in
diese in der Disputation bewußt verschwiegene Richtung. G. Scholem nennt
ihn „die Seele des Kabbalistenkreises" im katalanischen Gerona: Die jüdische
Mystik in ihren Hauptströmungen, Frankfurt a. M. 1957, S. 190.

4 Es spielte auch die Konkurrenz der beiden Bettelorden hinein, wie das Eingreifen
des Franziskaners Frai Pere de Genova zeigt (S. 63-66).

s Jesaja 53 in christlicher und jüdischer Sicht, AuVThR4, Berlin 1958,
33-35.

' N. starb 1270 in Palästina.

Kobelski, PaulJ.: Melchizedek and Melchiresä.Washington: The
Catholic Biblical Association of America 1981. IX, 166 S. 8' = The
Catholic Biblical Quarterly Monograph Series, 10. Kart. $ 4.50.

P. J. Kobelski befaßt sich in der vorliegenden, auf seine Dissertation
(1978) zurückgehenden Studie mit den gegensätzlichen Gestalten des
Melchizedek und des Melchirescha' in den Qumran-Texten. Nach
dem bisher vorliegenden Material treten beide allerdings niemals in
den gleichen Texten auf, wenn man von der keineswegs zwingenden
Konjektur zu 4Q'Amramb, Fragment 3,2, absieht. Doch kann man
wohl mit K. als sicher annehmen, daß beide Gestalten in den Vorstellungen
der Leute von Qumran als Gegenspieler zusammengehören,
was schon die parallele Namensbildung andeutet. Melchirescha' wäre
also mit dem öfter als Antipoden Melchizedeks (= Michael, Fürst des
Lichts) erwähnten Belial (= Fürst der Finsternis) gleichzusetzen. Vornehmlich
geht es dem Vf. um eine Deutung des hinter diesen Personifikationen
stehenden Gegensatzes, um den prägenden Einfluß dualistischer
iranischer Vorstellungen' und besonders um die Wirkungs-
geschichtc in der neutestamentlichen Literatur. Ihren Spuren geht K.
speziell in den neutestamentlichen Aussagen über Menschensohn und
Paraklet sowie über Melchizedek in Hebr 7 nach. Die in großem
Umfange herangezogene Fachliteratur erfährt dabei eine gründliche
und auch kritische Auswertung (Literaturverzeichnis 142-154).

Die als Quellen in Betracht kommenden Qumran-Texte
(1 IQMelch.; 4Q'Amram; 4Q280, 1-2 und 4Q286.I0, 11,1-13) werden
einleitend auf der Grundlage der editio prineeps und z. T. auch
neuer Textphotos im hebräischen bzw. aramäischen Original und in
Übersetzung mitgeteilt. Hinzu tritt jeweils ein Kommentar, der die
Übersetzung unter Hinzuziehüng umfangreichen Belegmaterials aus