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Ausgabe:

1985

Spalte:

522-524

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Mutius, Hans-Georg von

Titel/Untertitel:

Die christlich-jüdische Zwangsdisputation zu Barcelona 1985

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 7

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Bend behandelten aus der zwischentestamentlichen, hellenistisch
geprägten Literatur einen starken Wandel im gesamten Milieu feststellt
, der sich auch auf die Funktion der Schönheit auswirkt, kommt
man stärker textgebunden ebenfalls zu einer Differenzierung. Man
wird dann sagen können, daß sich der Versuch, anhand der Rede vom
schönen Menschen (darauf beschränkt sich die Untersuchung bewußt,
vgl. S. 23) einmal das gesamte Alte Testament zu'durchstreifen und
dann noch seine Nachgeschichte in der seine Stoffe unter veränderten
kulturgeschichtlichen Bedingungen weiterführenden frühjüdischen
Literatur zu untersuchen, durchaus anregende Einblicke vermitteln
kann.

Eine derartige Arbeit muß notwendigerweise in eine große Zahl nur
lose miteinander verbundener Einzeltextuntersuchungen zerfallen.
Dabei ist teilweise die Reihenfolge durch den Kanon bestimmt. Es
gibt aber auch eine Gliederung im großen: der erste Hauptabschnitt
(S. 26-121) handelt von der Begegnung der Geschlechter, der
zweite (S. 122-181) von der menschlichen Schönheit im Königtum,
und diese Einteilung spiegelt sich auch in den beiden Hauptunter-
teilen der anschließenden Ausführungen über das hellenistische
Judentum (S. 186-205.205-215).

Der erste Hauptabschnitt beginnt mit den Texten des Hohenliedes
(S. 26-51), behandelt dann Erzählungen aus der Genesis (S. 52-76)
und schenkt anschließend u. a. den Proverbia besondere Aufmerksamkeit
, wobei allerdings festgestellt wird, daß das Thema der weiblichen
Schönheit in den älteren Sprüchen auffälligerweise keine Rolle
spielt, während sie erst in jüngeren Stücken, massiert in Prov 1-9,
offensichtlich unter veränderten kulturellen Umständen, positiv (in
Beziehung zur Tugend) oder negativ thematisiert wird (vgl. S. 1040-
Eine gewisse Schwierigkeit für den Leser besteht darin, daß eine
eigentliche Zusammenfassung für die beiden Hauptabschnitte fehlt.
Recht versteckt (S. 1050 findet man die Aussage, daß die menschliche
Schönheit nur im Hohenlied, in Gen 24; 29, 1-30 und abgeschwächt
lSam 25, 2-42 auslösendes Moment für das Aufeinander-Zukom-
men der Geschlechter sei, während sie in allen übrigen behandelten
Texten Konfliktmotiv ist.

Ahnlich fehlt auch für den zweiten Hauptabschnitt eine Zusammenfassung
. Beiläufig hört man aber (S. 149) das „Ergebnis, daß
weder die Schönheit Sauls, noch die Davids als individuelle zu verstehen
ist, sondern als Prädikat des Königs, das diesem als Segenträger
und -mittler für sein Volk beigelegt wird". Diese gewissermaßen
„amtliche" Schönheit wird dann auch für Angehörige der königlichen
Familie und des Hofstaats, für fremde Könige und schließlich
den König der eschatologischen Hcilszeit festgestellt. Dabei meint
der Vf. beobachten zu können, daß in den ältesten Texten der Königserhebung
Sauls und Davids, in denen es um ein rettendes Handeln
geht, von ihrer Schönheit nicht die Rede ist, sondern erst in solchen
Texten, die aus einem größeren Abstand heraus den König als Segensträger
sehen (vgl. S. 140f, 148f,212).

Der Schlußteil der Arbeit, der sich mit dem „schönen Menschen"
im hellenistischen Judentum beschäftigt, wird mit einem Exkurs über
das Verständnis der menschlichen Schönheit in der griechischen
Philosophie, dargestellt an Piatons Phaidros, eingeleitet (S. 182-184).
Grundlegend ist hier die Idee der Schönheit, an welche die schöne
Erscheinung nur erinnert; als Idee gehört sie zum Bereich der Wahrheit
und ist letztlich nur der denkenden Erkenntnis zugänglich. Allerdings
wirkt sich die griechische Auffassung im jüdisch-hellenistischen
Schrifttum nur beschränkt aus; vielmehr zeigt sich dieses als
„eine Mischform aus alttestamentlichen und griechischen Elementen
" (S. 216). Für das Motiv der Begegnung der künftigen Ehepartner
und für das Konfliktmotiv wirken die alttestamentlichen Aussagen
fort; für das Motiv der Inbesitznahme spiegeln sich veränderte soziale
Verhältnisse (der Mächtige ist nicht mehr der König, sondern der
Reiche). Neu ist dagegen das Motiv der schönen Retterin (Esther,
Judith. Jael in AntBibl 31), sowie das des schönen Gerechten. Beide
sind erst unter dem Einfluß des Hellenismus entstanden (vgl. die
Zusammenfassung S. 216-218).

Im ganzen wird man sagen können, daß es durchaus gelohnt hat, das
alttestamentliche und hellenistisch-jüdische Schrifttum nach dem
Thema der menschlichen Schönheit zu untersuchen. Es steckt viel
Einzelexegese in dem Buch, das man auch für die behandelten
Abschnitte mit Gewinn heranzieht.

Leider ist es nicht frei von Druckfehlern. Gelegentlich fehlen ganze
Wörter (z. B.: „De Sacra Poesi Hebraeorum", S. 14; „die Sie sich nur
wünschen", S. 214). Doch halten sich diese Mängel in Grenzen.

Bochum HenningGraf Reventlow

1 Es wurde von C. Westermann bereits in seiner Erstlingsarbeit: Biblische
Ästhetik: ZdZ4, 1950, S. 277-289, behandelt und noch einmal in: Das Schöne
im Alten Testament: FS W. Zimmerli. Göttingen 1977, S. 479-497, aufgegriffen
.

2 Dazu C. Westcrmann, Der Segen in der Bibel und im Handeln der Kirche.
München 1968 (= GTB 1402. Gütersloh 1980). Vgl. auch ders.. Theologie des
Allen Testaments in Grundzügen. Göttingen 1978.

' Zitateljei Augustin, S. 16.

' The Scmantics of Biblical Language. Leider hat der Vf. von dieser Arbeit
und der gesamten Diskussion keine Notiz genommen.

5 Das hebräische Denken im Vergleich mit dem griechischen. Göttingen
1952. Leider hat der Vf. nur die 3. Aufl. (1959) benutzt. In der 5. Aufl. (1968) ist
(auf S. 194-231) eine Auseinandersetzung Bomans mit der Kritik von J. Barr
aufgenommen.

Judaica

Mutiiis, Hans-Georg von: Die christlich-jüdische Zwangsdisputation
zu Barcelona. Nach dem hebräischen Protokoll des Moses Nach-
manides. Frankfurt/M.-Bern: Lang, 1982. VIII, 354 S. gr. 8- =
Judentum und Umwelt, 5. Kart, sfr 75.-.

Der aktuelle christlich-jüdische Dialog hat auch das Interesse an
einer Phase der Begegnung und Konfrontation von Christen und
Juden wachgerufen, die bislang nur wenigen Spezialisten der Aufmerksamkeit
wert erschien: an die christlich-jüdischen Disputationen
des hohen Mittelalters.1 In der wohl wichtigsten von ihnen, die vor
König Jakob (Jaime) I. von Aragonien 1263 in Barcelona geführt
wurde, standen sich der Konvertit und Dominikanermönch Fra Pablo
Christiani und der jüdische Talmudgelehrte Moses Nachmanides
(1194-1270) gegenüber.

Das Ereignis ist durch zwei Dokumente bezeugt, durch einen
Bericht des Nachmanides in hebräischer Sprache und durch ein
christliches Protokoll, lateinisch abgefaßt und als amtliches Schriftstück
im Kronarchiv aufbewahrt. Als im 19. Jahrhundert die wissenschaftliche
Quellenforschung auf diesem Gebiet einsetzte, haben sich
zwei hervorragende Gelehrte, der Ordensgenosse des christlichen
Disputationspartners, der auch als Lutherpolemiker bekannte Heinrich
Denifie, und der große jüdische Historiker Heinrich Graetz dieser
Texte angenommen, wobei sie entsprechend ihrer konfessionellen
Position die Zuverlässigkeit der beiden Berichte ganz unterschiedlich
bewerteten. Die durch vereinzelte Beiträge jüdischer aber auch christlicher
Forscher2 fortgesetzte Diskussion hat zu der Einsicht geführt,
daß beide Versionen auf ihren Adressatenkreis zugeschnitten sind und
den tatsächlichen Hergang in einer durch polemisch-propagandistische
Intentionen gebrochenen Weise wiedergeben.

Der Autor der vorliegenden Arbeit, Dozent am Martin-Buber-
Institut der Universität Köln, konzentriert sich auf die hebräische
Version des Nachmanides. Sie ist nicht nur die ausführlichere Wiedergabe
des Disputationsganges, sie stellt auch einen ersten Höhepunkt
jener jüdischen Literatur dar, die (seit dem 12. Jahrhundert) die Bekämpfung
des christlichen Glaubens in der Form des Dialoges unternahm
. Als wichtigstes Desiderat sieht der Vf. „eine durchgängig
detaillierte Analyse der hebräischen Fassung, die Wort für Wort am