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Ausgabe:

1985

Spalte:

27-28

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Achtemeier, Paul J.

Titel/Untertitel:

The inspiration of scripture 1985

Rezensent:

Räisänen, Heikki

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 1

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johanneischer Texte aufgeboten wird, um Jesus im Gegenüber zu den
Ängsten der Menschen und in seiner persönlichen Angst und Hoffnung
angesichts des eigenen Todes zu zeigen. Aber auch hier begegnet
im Zentrum eine Meditation über Jesu Zölibat und über sein Verhältnis
zu den sexuellen Sünden an Hand von Lk 7.36-50; Jon 8.1-1 I.

Es wäre zu billig, hier ausschließlich die Apologie einer sexual-
ethischen Gegenreform zu sehen, die in Johannes Paul II. ihren entschiedensten
Sprecher hat; das Werk ist nicht römisch, sondern
französisch. Um den Vf. recht zu werten, muß man weniger bei
Lagrange und Loisy zu Hause sein als in dem alten renouveau catho-
lique und bei den großen französischen katholischen Romanciers
unseres Jahrhunderts - nicht zufällig beginnt das Werk mit einem
Zitat aus Julien Greens Journal. Das Bewußtsein einer doppelten,
nationalen wie konfessionellen Fremdheit, im Bereich der biblischen
Theologie schon weithin überwunden geglaubt, stellt sich angesichts
dieses Textes mit voller Schärfe ein. Frankreichs Uhren gehen nicht
nur anders: es fällt auch dem. der von jenseits des Rheins kommt,
noch immer schwer, sich an den fremdartigen Klang des Glockenschlags
von Sacre-Cceur zu gewöhnen.

Halle (Saale) Wollgang Wiefel

Achtenteier, Paul J.: The Inspiration of Scriptlire. Problems and
Proposais. Philadelphia. PA: Westminster Press 1980. 188 S. 8" =
Biblical Perspectiveson Current Issues. Kart. S 8.95.

Der bekannte Neutestamentier am Union Theological Seminary in
Virginia geht in diesem allgemeinverständlich geschriebenen Buch
von der Uberzeugung aus. daß eine neu formulierte und begründete
Auffassung der Bibelinspiration der Kirche lebensnotwendig ist. Vf.
hält den Begriff der Inspiration für unaufgebbar; doch eine neue
Fassung der Inspirations-..Lehre'" sei lallig. und sie müsse der faktischen
Beschaffenheit der Bibel, wie sie von der kritischen Forschung
entdeckt worden ist, gerecht werden. Hinter den meisten biblischen
Büchern steckt ein langer Überlieferungs- und Interpretationsprozeß.
Eben deshalb sind alte, auf dem ..prophetischen" Modell (ein Einzelner
wird von Gott zu einer bestimmten Aufgabe inspiriert) aufgebaute
Inspirationsauffassungen inadäquat, denn sie (einerlei ob ..konservativ
" oder ..liberal") behandeln die biblischen Bücher als Produkte von
wie auch immer inspirierten ..Autoren". In den beiden ersten Kapiteln
des Buches werden die mit einer solchen Auffassung zusammenhängenden
Probleme gut analysiert. Der konservativen Inspirationslehre
und Auslegungsmethodik wird eine lange kritische Besprechung
gewidmet; darin linden sich treffende Beobachtungen, die zum großen
Teil auf James Barr, Fundamentalism (London; SCM Press 1977),
zurückgehen. Im dritten Kapitel wird die Dynamik der biblischen
Traditionsbildung schön beschrieben; zumal der nichttheologische
Leser und der beginnende Student werden diesen Teil hilfreich linden
.

Im Schlußteil des Buches wird der Versuch gemacht, eine angemessenere
Inspirationsauffassung, die nicht auf dem prophetischen
Modell ruht, zu entwickeln. Die Inspiration wird in der Interaktion
von drei Schlüssellaktoren in der glaubenden Gemeinde lokalisiert:
Tradition, Situation und "respondent" (Traditionsträger. -Sammler
und Interpret). "Inspiration" sei etwas, was den ganzen Prozeß von
den ersten Anlangen der Traditionsbildung bis zur letzten Redaktion
des geschriebenen Textes charakterisiert. "What makes thosc tradi-
tions inspired is . . . their witness to the ongoing presence of God with
a Community that looks to a decisive act ofthat God as its constitutive
origin. The extent to which traditions carry out their task of represen-
ting to the Community the activity it must pursue and the shape it
must assume in the light of the originating act of God is the extent to
which they are inspired."(125)

So lobenswert das Anliegen ist. eine Inspirationslehrc müsse unser
heutiges Wissen um die Entstehung der biblischen Bücher ernst

nehmen, erscheinen die bei diesem Versuch entstehenden Probleme
fast unüberwindbar. Ich nenne nur drei Punkte.

1. Die oben zitierte Definition des ..Ausmaßes" der Inspiration,
das einer bestimmten Tradition zuzuschreiben ist. kann zu überraschenden
und unerwünschten Resultaten führen. So hängt die Vernichtung
ganzer kanaanitischer Siedlungen bis zu den Säuglingen
(Jos 10.28-32. S. 66 als eine crux der konservativen Inspirationslehre
angeführt) sicherlich mit dem Bekenntnis zur dauernden Anwesenheit
Gottes in der Gemeinde zusammen, und der Blick ist dabei auch auf
das entscheidende Handeln dieses Gottes in der Vergangenheit gerichtet
, so daß dieser Tradition ein sehr hoher Grad an „Inspiriertheit"
zugemessen weiden müßte. Die Schwierigkeiten der alten Inspirationslehren
sind also keineswegs erledigt. Es fällt übrigens auf, daß
wirklich wunde Punkte aller Inspirationslehren wie die unerfüllte
Zukunftserwartung Jesu gar nicht behandelt werden.

2. Vf. meint, seine Sicht stimme mit der der neutestamentlichen
Schriften selbst überein. Bei großer Wertschätzung des AT weisen
etwa Jesus und Paulus doch "an almost sovereign disregard of the
actual lettcr ofthat Scripture" auf; der Wert des AT liege eigentlich
nur in seinem Christuszeugnis. Auch wollen die ntl. Autoren ihre
eigenen Schriften als gleich autoritatives Christuszeugnis verstanden
wissen (I 12-1 13). Hier wird offenbar der Unterschied zwischen der
all. Schrift und den urchristlichen Schriften (im Bewußtsein neutesta-
mentlichcr Autoren) verw ischt. Obwohl viele ntl. Autoren faktisch
das AT recht frei behandeln, ist es fraglich, ob es sich um eine bewußte
Nichtbeachtung handelt. Sogar an einer inhaltlich extrem radikalen
Stelle wie Mk 7.15-19 wird verschwiegen, daß atl. Gebole implizit
betroffen werden (im Kontext wird nur von den Uberlieferungen der
Ältesten gesprochen), und das ist bezeichnend. Das AT stand auf einer
anderen Ebene als die neuen Schriften - eben weil jenes als ..inspiriert
" galt, und zwar nach dem prophetischen Modell.

3. Das eigentliche Problem besteht jedoch darin, daß es nicht gelingen
will, die Inspiration, wie Vf. es definiert, auf die kanonischen
Bücher zu beschränken. "Witness to the ongoing presence of God" als
Kriterium macht logisch nahezu alles (oder mindestens vieles) ..inspiriert
", was in der Kirche produziert wurde und wird. Vf. weist selber
daraufhin, daß zwischen dem ..inspirierten" Prozeß der biblischen
Traditionsbildung und der Verkündigungslage in der Kirche eine enge
Kontinuität besteht; die Tradition muß immer wieder in neuen Situationen
durch verantwortliche Interpreten angewandt werden. Ist dann
auch die heutige Predigt ..inspiriert"? Bei Achtemeier (144) lallt tatsächlich
einmal die Wendung "the inspiration of the sermon". Es
heißt freilich, sie sei der Inspiration der Schrift untergeordnet. Das
scheint jedoch ein theologisches Postulat zu sein, das logisch keineswegs
aus den Ausführungen des Vf. folgt. Daß die biblischen (atl.)
Traditionen nicht nur in christlichen Kirchen verantwortlich neu
interpretiert wurden und werden, sei nur angemerkt. Man hätte auch
erwarten können, daß in einem Buch, dem so iel an der „Einzigartigkeit
" der Bibel (13 u. ö.) liegt, irgendwie das Problem zur Sprache
gekommen wäre, ob die Bildung und Interpretation von Traditionen
auch außerhalb des jüdisch-christlichen Bereichs als ..inspiriert"
gelten darf, insofern es auch dort um die dauernde Präsenz einer Gottheit
in der Gemeinschaft geht (und wenn nicht, warum?).

Das Buch bietet eine Fülle von wichtigen Anregungen. Entgegen
der Intention seines Verlässeis verstärkt es jedoch eher den Eindruck,
daß man von Inspiration nur noch reden kann, indem man dem alten
Wort künstlich neue Bedeutungen unterschiebt - weil der alte Terminus
doch wohl organisch mit dem aufgegebenen prophetischen
Modell zusammengehört. Aber als eine verständige und feinfühlige
Einführung in die Bedeutung der kritischen Exegese von einem kirchlichen
Standpunkt aus kann das Buch wertvolle Dienste leisten.

Helsinki Heikki Raisä'nen