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Ausgabe:

1985

Spalte:

472-473

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Philippi, Paul

Titel/Untertitel:

Diaconica 1985

Rezensent:

Wagner, Heinz

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Seite 1, Seite 2

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471

Theologische Literaturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 6

472

ist in diesem Rahmen als Versuch einer konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung
nachdrücklich zu begrüßen. Es handelt sich um
die veränderte Form einer zunächst in den USA erschienenen Arbeit
. Viele Beispiele stammen aus dem englischen Sprachraum, ein
Umstand, der den Blick des deutschen Lesers nur weiten kann.

Der theologische Ansatz, biblische Aussagen auch im Lichte
moderner Grenzerfahrungen zu sehen, ist zweifellos nicht unumstritten
, aber mindestens ebenso legitim wie die Deutung und
Interpretation biblischer Texte mit historisch-kritischen Methoden
und Einsichten. Traditionelle Einwände sind dem Vf. bewußt. ,,Wir
könnten Nachforschungen durch die Behauptung unterbinden, daß
ein Anheben des Vorhangs Gotteslästerung sei und daß Gott uns
auf die Finger klopfen würde, wenn wir solches versuchten. Aber ich
glaube nicht, daß eine solche Drohung unsere Fragen wirklich zum
Schweigen bringen würde, und ich bezweifle, daß Gott uns zürnt,
wenn wir unsere Vernunft dazu gebrauchen, das Wissen über die
Cieheimnisse von Leben und Tod zu vermehren" (S. 9f).

Kapitel I „Bibel und Unsterblichkeit" gibt auf dem Hintergrund
des griechischen Unsterblichkeitsgedankens einen Abriß über die
Frage der Unsterblichkeit im AT und NT, der sich an heute weit verbreitete
exegetische Auffassungen anschließt. ,.Es gibt nichts in
uns, das automatisch den körperlichen Tod überleben würde"
(S. 33). Wenn es keine „natürliche" Unsterblichkeit gibt, wie sind
dann aber all die Phänomene und Grenzerfahrungen zu erklären,
die in den Kapiteln II—V anhand von interessanten Beispielen
geschildert werden? Um es vorwegzunehmen, hier bleibt der Vf.
aus der Sicht des Rezensenten eine überzeugend klare systematisch
-theologische Antwort, welche auch das nachtodliche Schicksal
der NichtChristen einschließt, schuldig.

In Kapitel II werden zunächst die von dem amerikanischen Psychiater
R. A. Moody veröffentlichten „Fast-tot-Erlebnisse" vorgestellt
und die Untersuchungen von Totenbett-Erlebnissen durch
K. Osis und E. Haraldsson mit einbezogen. Ihre Ergebnisse beweisen
kein Weiterleben nach dem Tode, lassen es aber als wahrscheinlich
erscheinen.

Weiter werden, wieder an eindrucksvollen Beispielen, Phänomene
wie Hellsehen. Telepathie und Präkognition mit eingeschlossen
, es wird die Frage nach der Macht des Geistes gestellt (Materialisationen
, Poltergeister. Hypnose, Glaubensheilung) sowie das
Problem der wechselseitigen Abhängigkeit von Geist und Körper
erörtert.

Schließlich wendet sich der Vf. der in jüngster Zeit zunehmend
auch von Theologen diskutierten Frage der Reinkarnation zu, zeigt
ihre weit in die Antike zurückreichenden westlichen Traditionen
auf. um, gestützt auf die Untersuchungen von I. Stevenson, „Fälle,
die eine frühere Existenz nahelegen." vorzustellen (S. 91). Eindeutige
Antworten sieht der Vf. bei aller Nachdenklichkeit über das
Berichtete auch hier nicht gegeben.

Er wendet sich in Kapitel V dem Problem des Fegefeuers und der
Frage des Wachstums der Persönlichkeit über den Tod hinaus zu,
um dann einen „nochmalige(n) Blick auf das biblische Verständnis
der Unsterblichkeit" zu werfen (S. 1 10). Zu den Ergebnissen gehört:
„Es gibt kein Vakuum nach dem Tod" (S. 119). Das Problem
der Unsterblichkeit versucht der Vf. durch „ein neues Verständnis
der menschlichen Psyche" (S. 122) zu erklären, das freilich, auf den
Menschen an sich angewendet, gar nicht so neu ist. „Wie in allem von
Gott eingegebenem Leben ist in uns eine unverdiente gottgegebene
Qualität, die der Zerstörung widersteht. Indem wir an Gottes lebengebender
Kraft teilhaben, ist dieses Etwas, ob wir es Psyche, Geist
oder Seele nennen, natürlich nicht auf Raum und Zeit begrenzt. In
Ausnahmezuständen kann es sich sogar in diesem Leben zeitweilig
von unserem Körper trennen, dem es gewöhnlich zugehört, um die
Grenzen von Raum und Zeit zu verlassen ... Da alles jenseits von
Raum und Zeit verstandesmäßiger Prüfung unzugänglich ist, beweisen
auch Fast-tot-Erfahrungen und andere ähnliche paranormale
Ereignisse nicht die Wirklichkeit dessen, worauf sie hinweisen. Aber

sie können überzeugend darauf deuten und tun dies auch in den
Augen vieler" (S. 124).

Allein schon deshalb muß der theologische Dialog fortgesetzt
werden. Die vorliegende Publikation ist ein anregender Beitrag, der
keineswegs glatte Lösungen anbietet, auch innere Spannungen und
Unscharfen bei den Schlußfolgerungen aufweist, doch vielfältige
weiterführende Impulse gibt.

Halle (Saale) Helmut Obst

Praktische Theologie: Diakonik

Philippi. Paul: Diaconica. Uber die soziale Dimension kirchlicher
Verantwortung. Hrsg. von J. Albert. Neukirchen: Neukirchener
Verlag 1984. VIII, 262 S. 8 Kart. DM 32,—.

Der Titel des Sammelbandes „Diaconica" legt die Vermutung
nahe, es handele sich um eine zufällige Bündelung von Gelegenheitsarbeiten
, weitgefächert in der Thematik, weitausgezogen im
Adressatenkreis. Es stimmt, die Themen bewegen sich von grundsätzlichen
Überlegungen über „Gemeinde und Amt" (I), über das
„Verhältnis von Koinonia und Diakonie" (II) - mit besonderem
Schwerpunkt der Bruder- und Schwesternschaften -, hin zu ekkle-
siologischen Betrachtungsweisen im Abschnitt „Sammlung und
Sendung" (III), um schließlich einzumünden in die Problematik
„Lehre und Praxis" (IV).

Auch der Adressatenkreis ist weitgespannt. Es werden Fachverbände
, kirchliche Leitungsgremien, Jubilarc etc. angesprochen. Diese
Unterschiede merkt man am Akzent und der Diktion der jeweiligen
Beiträge.

Die (verwirrende) Fülle ordnet sich ziemlich schnell, wenn wir
das Vorwort des Herausgebers, Dr. Albert, heranziehen: „Die hier
vorliegende Auswahl .. . bietet in einer gewissen Weise eine Konkretisierung
seiner (Paul Philippis) „Christozcntrischen Diakonie"
(Stuttgart, 31975). Mit diesem Titel stoßen wir auf das theologische
Engagement des Vf. Es geht ihm um eine biblisch-theologische
Grundlegung und eine systematisch-theologische Einordnung
des diakonischen Handelns. Diakonie ist für ihn: „die Ekklesia
in ihrer Verbindlichkeit gegenüber den kreatürlichen und sozial
Schwachen und Benachteiligten" (205). Immer wieder hebt der
Vf. den ekklesiologischen Grund (nicht nur Hintergrund) der Diakonie
hervor. Man kann bei ihm deshalb von einer ekklesiologisch-
fundierten und -orientierten Diakonie sprechen. „Diakonie ist in
diesem Sinne die hilfreiche Auswirkung eines vom Evangelium
getragenen Zusammenlebens im Bereich menschlicher Lebensprobleme
." (223)

Diese Grundposition wird im Blick auf die Gemeinde entfaltet. Ziel
der Diakonie ist nicht die geleistete Hilfe in Einzelfällen, etwa auch
durch die Vertretungsinstitution IM, Ziel ist die Gemeinde, in der die
dem Evangelium entsprechende Sozialität entwickelt, eingeübt und
begleitet werden muß. Kurzformel: „Diakoniegcmeinde statt
Gemeindediakonic"(40).

Von dieser Zielrichtung her kommt philippi zu zwei Trennungslinien
. Er möchte nicht jede individuelle „Liebestätigkeit" und nicht
jede Nothilfe der IM Diakonie nennen (vgl. 13/14). Die IM charakterisiert
er als „Wegumleitungsstreckc" (153). „Innere Mission
wollte nicht Diakonieersatz, sondern Diakonieanimator, Diakonie-
innovator sein." (153) Philippi will mit J. H. Wichern die Diakoni-
schc Kirche, eine von Grund auf verwandelte Kirche. Folgerichtig
sind für ihn die Bruder- und Schwesternschaften „Modelle lür eine
Gemeinde neuen Typs" (61). Sie werden anderswo „Hebel- und
Durchbruchsgcmeinschaft, Stoßtrupp" genannt (85). Lebens- und
Dienstformen stellen eine vita experimcntalis dar.