Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1985

Spalte:

456-458

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Zöllner, Walter

Titel/Untertitel:

Die juengeren Papsturkunden des Staatsarchivs Magdeburg 1985

Rezensent:

Blaschke, Karlheinz

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

455

Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 6

456

Aufgrund eigensüchtiger Motive war es auch dann konformistisch,
wenn eine grundsatzlich mögliche, gelegentlich auch durchgeführte
Zensur nicht öffentlich wirksam wurde. Was in Berlin verehrt wurde
als "dcvotion to Wissenschaft", das wurde in Oxford wegen
"'irresponsible lcadership" der Zensur unterworfen (S. 148).

Mit dem Erscheinen von Julius Wellhausens „Geschichte Israels"
(1878, englisch 1885) deutet sich eine Wende an. Zwar scheint sich der
durch die Cambridger Theologen mühsam überbrückte Riß zwischen
wissenschaftlicher Kritik und Kirche erneut zu öffnen, jedoch finden
sich die Kirchen ,,in überraschender Schnelligkeit" dazu bereit, die
Kritik zu akzeptieren. In der anschließenden Dekade setzt sich -
meint der Verfasser - die kritische Sicht der Bibel zunehmend im
Grundsätzlichen durch, ohne daß dies wie in den USA Kirchenspaltungen
hervorrief. So sei es in den ,,positiven" Leben Jesu der vikto-
rianischen Epoche begründet, daß ihre Leser trotz der Kritik am
Glauben festhielten (S. 1520-

Das erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts zeigt eine „Spaltung"
in zwei Richtungen (Kap. 5, S. 165-210): Neben der wissenschaftlichen
, spezialisierten Bibelexegese steht die erbauliche Leben-Jesu-
Literatur. Die historische Bibelwissenschaft findet Anerkennung in
der Encyclopacdia Biblica, in der etwa Paul Schmiedel den Artikel
über die neutestamentlichen Evangelien verfaßt. Harnack, Ritsehl,
Loisy werden als Vertreter der kontinentalen Forschung gewürdigt.
Besonders die Geschichte der Leben-Jesu-Forschung von Albert
Schweitzer ('1906. englisch 1910) und die übrigen Werke desselben
Autors mit der eschatologischen Deutung der Person Jesu und der Absage
an die These, das Markusevangelium sei eine zuverlässige
Grundlage fürdie historische oder psychologische Rekonstruktion des
Lebens Jesu, lösen ein weites Echo aus. Von hier aus ändert sich die
Beurteilung des Lebens Jesu in der britischen Auslegung: "The Jesus
of historical scicncc was looking less and less likc the Christ of the
Gospels and the church" (S. 182). Hinzu kommen die Veränderungen
der britischen Buchproduktion. Die Industrialisierung hat zur Folge,
daß die klassische Literatur zum Konkurrenten der religiösen wird, so
daß der religiöse Buchmarkt prozentual stark zurückgeht (S. 189).
Andererseits lebt die orthodoxe Leben-Jesu-Litcratur wieder auf; die
positiven Leben Jesu schließen sich nur zurückhaltend der gemäßigten
historischen Kritik an (S. 194ff). -

Indem der Verfasser die oft übersehene Lcben-Jcsu-Literatur der
viktorianischen Zeit eingehend ins Licht zieht, hat er für das Verständnis
des Verhältnisses von britischer und deutscher exegetischer
Wissenschaft einen wesentlichen Beitrag geleistet. Zwar wird keine
Entwicklung der britischen Lebcn-Jesu-Schreibung vorgeführt, vielmehr
scheinen sich die unterschiedlichen Konzeptionen auf je neuer
Ebene eher zu wiederholen, aber es wird doch der bedeutende Stellenwert
sichtbar gemacht, den die konservative erbauliche Auslegung in
der britischen Exegese besitzt. Für die viktorianischc Ära wird etwas
von der "splendid isolation" des insularen Bewußtseins wahrnehmbar
, das sich nur zögernd kontinentalen Anregungen öffnet und seinerseits
auf dem Kontinent nicht wirklich zur Kenntnis genommen
wurde. Pals informationsreiches Werk ist geeignet, dazu beizutragen,
daß die bis heute vorhandenen Gräben erkannt und - hoffentlich auch
- überbrückt werden.

Güttingen Georg Strecker

Kirchengeschichte: Mittelalter

Deutsches Archiv zur Erforschung des Mittelalters. Namens der
Monumenta Germaniae Historica hrsg. von Horst Fuhrmann und
Hans Martin Schallcr. 79. Jahrgang. Köln-Wien: Böhlau 1983.

755 S. gr. 8-

Alle I 1 Aufsätze des Jahrbuches haben Bedeutung für die Kirchcn-
geschichte. Die Arbeit von August Nitschke „Kinder in Licht und

Feuer - Ein keltischer Sonnenkult im frühen Mittelalter" (1-26)
beruht auf Biographien irischer Heiliger. Wir erfahren von „besonderen
Formen eines Sonnenkultes, von dem man bisher nur wußte,
daß es ihn gegeben haben muß" (26). Heinrich Wanderwitz bietet
„Qucllenkritische Studien zu den bayerischen Besitzlistcn des 8. Jahrhunderts
" (27-84). Es geht um Klösterund Bistümer zur Zeit der Einverleibung
Bayerns in das Reich Karlsd. Gr. 788. Heinz Löwe untersucht
„Die Entstchungszeit der Vita Caroli", die er auf die
Jahre 825/26 präzisiert (85-103). Dieter Geuenich berichtet über
„Die volkssprachliche Überlieferung der Karolingerzeit aus der Sicht
des Historikers" (104-130). Im Reich Karlsd. Gr. gab es viele Volkssprachen
; sie waren im Gottesdienst erlaubt, um den Ungebildeten
das Verständnis zu erleichtern. Aber die eigentliche volkssprachliche
Literatur - Heliand, Muspilli, Otfrid von Weißenburg - begann erst
später, zumal unter Ludwig dem Deutschen. Hermann Heimpcl
schrieb den Aufsatz „Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter
" (131 -206). Im Weihnachtsgottesdienst verlasen Kaiser jenen
Abschnitt aus Lukas 2, der mit dem „Gebot von dem Kaiser Augu-
stus" begann. Sie wollten als Nachfolger des Augustusdie Stellung des
Kaisers in der Hcilsgeschichte dokumentieren. Diese Tradition taucht
auf bei Karl IV. in Basel 1347. fand in Cambrai 1377 eine spannende
Fortsetzung, zeigt sich auf den Konzilien von Konstanz 1414 und
Basel 1433 und ist noch 1529 in Bologna bei Karl V. nachweisbar.
Knut Schäferdieks Arbeit „Der irische Osterzyklus des 6. und
7. Jahrhunderts" (357-378) rekonstruiert eine irische Ostertafel, die
vermutlich „einem breiteren Konsens der irischen Ostcrterminpra-
xis" entsprach (378). Rudolf Pokorny ediert einen Text: „Ein unbekannter
Synodalsermon Arns von Salzburg" (379-394), den er mit
einiger Wahrscheinlichkeit in das Jahr 806 datiert. Timothy Reuter
legt eine neue Quelle vor „Zur Anerkennung Papst Innocenz' II."
(395-416). Es ist ein Brief am Schluß einer Handschrift der Collectio
Tripartita des Ivo von Chartrcs. Unter dem Thema „Heiliger Krieg
und politische Pragmatik: Salahadinus Tyrrannus" geht Hannes
Möh ri ng auf die Geschichtsschreibung des Wilhelm von Tyrus ein;
in ihr sieht er mehr situationsgerechte Pragmatik als Toleranz. Wolfgang
Stürner gibt einen Beitrag zur Interpretation des Prooemiums
der Konstitution von Mclfi 1231: „Rcrum neecssitas und divina pro-
visio" (467-554). Die Auffassung, der Staat sei sowohl göttliche Strafe
für den Sündcnfall wie auch göttliche Vorsorge gegen die Sünde, ist
nicht neu; sie findet sich u. a. bei Auguslin, Gregor I. und Isidor von
Sevilla. Hans Jürgen Rieckenberg untersucht „Die Katechismus-
Tafel des Nikolaus von Kues in der Lamberti-Kirche zu Hildesheim",
die der Kardinal 1451 stiftete. Vermutlich gab es mehrere Tafeln dieser
Art, mit denen Nikolaus „eine größere Zahl von Gläubigen
erreicht, als wir bisher annehmen konnten" (575).

Kirchengcschichtlich relevant sind auch die 3 Miszellcn: Wilfried
Hart mann. Eine kleine Sammlung von Bußtexten aus dem 9. Jahrhundert
(207-213); Raymund Kottje, Ein Diplom Ludwigs des
Deutschen Für das Kloster Kempten als Vorlage für DH IV 282?
(214-215); Paul Gerhard Schmidt. Heinrich III. - Das Bild des
Herrschers in der Literatur seiner Zeit (582-590). Sehr umfangreich
sind die Literaturanzeigen: S. 260-356 und 591-738. Darüberhinaus
berichtet Horst Fuhrmann über den Stand der Monumenta Germaniae
Historica (l-XII). Weitere Berichte informieren über die Pius-
Stiftung für Papsturkunden-Forschung 1981/82 (355-356) sowie
über die Reihe Germania Sacra (735-738).

Rostock Gert l lncndlcr

Zöllner. Walter: Die jüngeren Papsturkunden des Staatsarchivs Magdeburg
. Bestände Halberstadt, Quedlinburg und übrige Gebiete.
Leipzig: St. Benno 1982. 262 S. 8° = Studien zur katholischen
Bistums- und Klostergeschichte, 23.

Es ist ein altes Anliegen der Mittclalterforschung. die über viele
Aufbewahrungsorte verstreuten, für den Unkundigen schwer lesbaren