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Ausgabe:

1985

Spalte:

451-452

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schweizer, Eduard

Titel/Untertitel:

Neues Testament und Christologie im Werden 1985

Rezensent:

Lohse, Eduard

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 6

452

Die Aufsätze des zweiten Teils behandeln vergleichsweise marginale
Themen der paulinischen Theologie. Unveröffentlicht war: .Der
1. Korintherbrief als Frage an die Kirchen heute" (127-147). Blank
ringt auf der Suche nach Koinonia anhand des 1 Kor mit dem unterschiedlichen
Kirchenverständnis im evangelischen und im katholischen
Raum: Hier die Betonung der Institution, dort die Betonung
des Ereignisses. Dabei klingt eine Problematik bereits an, die Blank im
nächsten Aufsatz (aus Una Sancta, 1968) zum Thema macht: .Eucharistie
und Kirchengemeinschaft' (148-168). Wiederum bildet der
1 Kor - 11,17 ff und 10.l6f- Ausgangspunkt und Grundlage der Reflexionen
auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft, auf dem die römische
Kirche „das Beispiel einer großzügigen Revision geben" sollte
(166).

Mehr nach .innen', aber mit derselben Intention, spricht der 1971
erstmals veröffentlichte Aufsatz .Zum Begriff des Opfers nach
Rom 12,1-2' (169-191). Er schlägt zugleich eine Brücke zum ersten
Teil der vorliegenden Aufsatzsammlung: „Die Rechtfertigung des
Sünders allein aus Glauben besteht nun eben gerade darin, diese göttliche
Vorleistung, dieses Opfer, das Gott selbst in Christus für uns dargebracht
hat, als gegeben hinzunehmen und es durch keine andere
Leistung ersetzen zu wollen .. . Auch in der Eucharistie steht die göttliche
Gabe vor jeder menschlichen Leistung" (1900.

.Erwägungen zum Schriftverständnis des Paulus' (192-215) runden
das schöne Büchlein ab und führen gleichzeitig zum Ausgangsthema
zurück, indem Blank zeigt, daß und wie das paulinische Schriftverständnis
, der rabbinischen Methode verpflichtet, doch entscheidend
„von einem hermeneutischen Vorentscheid getragen ist, der sich nicht
ohne weiteres mehr selbst rechtfertigen kann" (214), nämlich vom
Ende der Tora durch das Kommen des Messias.

Berlin Waller Schmithals

Schweizer, Eduard: Neues Testament und Christologie im Werden.

Aufsätze. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1982. 210 S. 8".
Kart. DM 44.-.

Zu den bereits vorliegenden Bänden gesammelter Aufsätze fügt
E. Schweizer einen weiteren hinzu, der seiner Thematik nach deutlich
umgrenzt ist. Die Beiträge sind einerseits der Theologie der Synoptiker
, insbesondere des Lukasevangeliums, andererseits der des Kolos-
serbriefes gewidmet. Zu diesen Büchern hat der Vf. wichtige Kommentare
verfaßt. Da dort wegen der notwendigen Begrenzung des
Umfangs einzelne Probleme nur kurz abgehandelt werden konnten,
wird es gerade den Benutzern der Kommentare willkommen sein, eingehendere
Darlegungen zu Spezialproblemen und eine ausführliche
Begründung der Entscheidungen zu erhalten, die der Ausleger jeweils
getroffen hat. Mehrere der hier dargebotenen Abhandlungen sind
bereits an anderem Ort - in Festschriften oder Zeitschriften -
erschienen, andere wurden erstmals veröffentlicht.

Was den Autbau von Lukas 1 und 2 angeht, so wird hervorgehoben,
„daß es Täufertraditionen gab, die diesen noch als Vorläufer des endzeitlichen
Kommens Gottes sahen, ohne mit einer anderen messia-
nischen Gestalt zu rechnen, und daneben verschiedene Jesusgeschichten
" (S. 27). Schon vor Lukas aber sind die beiden Überlieferungsgruppen
miteinander verknüpft worden, dabei ist eine besondere Hervorhebung
Marias erfolgt (S. 28). Übernommene Quellen hat Lk weithin
in seinen Stil umgeprägt (S. 33). so daß der Versuch, Quellenscheidungen
vorzunehmen, auf besondere Schwierigkeiten stößt. Unluka-
nischer Stil kann jedoch als Hinweis auf Quellen gewertet werden
(S. 35ff). Wichtige Einsichten vermag ein Vergleich mit der von Lk
benutzten Markusvorlage zu vermitteln. Denn es läßt sich nicht übersehen
, „daß Lk grundsätzliche Treue zur Mk-Tradition, die sich oft in
fast wörtlicher Wiedergabe niederschlägt, mit stilistisch freier Nacherzählung
und sachlich bedingten Streichungen oder Neuformulierungen
verbinden kann" (S. 530- Ob der Evangelist neben Mk und Q
noch eine Sonderquclie benutzt hat, läßt sich nicht sicher beweisen.

wenngleich mit guten Gründen zu vermuten ist, daß ihm eine solche
Vorlage bekannt gewesen sein wird(S. 84f).

Zur Christologie des Markus wird zwischen Tradition und Redaktion
unterschieden. Dabei sind die Wunder Jesu „besonders hervor-
gehoben worden in einer vormarkinischen Schicht der Tradition"
(S. 89). Bei Markus jedoch liegt „der entscheidende Nachdruck auf
dem Leiden des Menschensohns" (S. 102). Somit steht das Markusevangelium
„in scharfem Gegensatz zu jeder Christologie des göttlichen
Menschen" und verkündet eine Theologie des Kreuzes, die
freilich in vielem von Paulus unterschieden ist (S. 103). Zu dem bis
heute strittigen Problem des Menschensohns verteidigt Schweizer
seine schon früher vertretene Sicht, es bleibe „sehr wahrscheinlich,
daß Jesus zum ersten Mal einen nur bildhaft gebrauchten Ausdruck
aufgegriffen und ihm neue Bedeutung gegeben hat" (S. 106) - eine
Annahme, die schwerlich allgemeine Zustimmung finden wird.

In einem instruktiven Überblick über die neuere Forschung zum
Kolosserbrief und einer erneuten Erörterung der Verfasserfrage wird
die im Kommentar vertretene Hypothese erläutert, es könnte dem
Apostel in seiner schweren Gefangenschaft unmöglich gewesen sein,
den Brief eigenhändig abzufassen, so daß sein Mitarbeiter Timotheus
ihn selbständig geschrieben und Paulus nur einen eigenhändigen
Gruß zugefügt habe (S. 132.1610- Dann wäre der Brief etwa gleichzeitig
mit dem Philemonbrief entstanden. Doch auf diese Weise
werden die tatsächlich vorhandenen Unterschiede zur Theologie der
Protopaulinen - u. a. hinsichtlich der Eschatologie, aber auch der
Christologie und Pneumatologie - nicht hinreichend verständlich
gemacht werden können. Sehr wertvoll sind die religionsgeschichtlichen
Ausführungen sowohl zum Hintergrund wie auch zur Argumentation
des Briefes. Mit Recht wird der Ort der bekämpften „Philosophie
" dort gesucht, „wo Judentum und Synkretismus zusammenstoßen
, in dem .Judentum der Unbeschnittenen' (Ignatius Phld 6.1)"
(S. 135). Die Beobachtung, daß der Begriff des Geistes auffallend im
Kol zurücktritt, führt zu der erwägenswerten Vermutung, daß sich
wohl schon allzu viele auf die Gcistlehre des Paulus beriefen und deshalb
die Christologie anstelle der Pneumatologie in den Vordergrund
gerückt werde (S. 1901").

Präzise Befragung der Texte, genaue Erhebung der religionsgeschichtlichen
Voraussetzungen und stets umsichtige Argumentation
zeichnen diese Studien aus. Der vorliegende Band gesammelter Aufsätze
gibt Zeugnis sowohl von der bewundernswerten Energie, mit der
der Vf. seine weit gespannten Arbeiten auf die zentralen Fragen neu-
testamentlicher Theologie zu konzentrieren weiß, wie auch von dem
intensiven Gespräch, das er mit Fachkollcgen und Freunden in aller
Welt führt.

Hannover Eduard Loh SC

Pals, Daniel L.: The Victorian Lives of Jesus. San Antonio. Texas:
Trinity University Press 1982. VIII. 223 S. 8" = Trinity University
Monograph Series in Religion. 7. Lw. $ 20.-.

Die vorliegende Arbeit geht auf eine Dissertation zurück, die unter
der Anleitung von Prof. Martin E. Marty in Chicago angefertigt
wurde. Der Verfasser ist Professor für Kirchcngeschichte im Religion
Departement der Universität von Miami und versteht seine Aufgabe
im wesentlichen als eine historische, die bewußt die deutsche Leben-
Jcsu-Schreibung ergänzen soll; denn diese habe seit A. Schweitzer bis
in die neueste Zeit hinein die britischen .Leben Jesu' „praktisch ignoriert
" (S. 16 Anm. 32). Dabei handelt es sich bei solchen vergessenen
Theologen um Autoren, die zu ihrer Zeit eine breite Leserschalt
gefunden hatten und in ihrer Aussage „völlig verschieden von der
kontinentalen Literatur" waren (S. 10). Indem der Verfasser diese
Literatur aus den Jahren 1860-1910 der Vergessenheit entreißen
möchte, will er zugleich zum Verständnis des Geistes und der religiösen
Eigenart derviktorianischen Zeit beitragen.