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Ausgabe:

1985

Spalte:

445-446

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Reventlow, Henning

Titel/Untertitel:

Hauptprobleme der alttestamentlichen Theologie im 20. Jahrhundert 1985

Rezensent:

Smend, Rudolf

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445

Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 6

446

Reventlow, Henning Graf: Hauptprobleme der alttestamentlichen
Theologie im 20. Jahrhundert. Darmstadt: Wissenschaftliche
Buchgesellschaft 1982. VII. 203 S. 8'= Erträge der Forschung, 173.
Kart. DM 43.-.

Die Disziplin der ..Theologie des Alten Testaments" gilt seit
langem als Ziel und Höhepunkt der alttestamentlichen Wissenschaft,
soweit sie von Theologen betrieben wird. Sie ist aber auch eine
schwierige und umstrittene Disziplin. Denn sie kann ja nur in engem
Zusammenhang mit der Exegese, der Einleitung in das Alte Testament
und der Geschichte des alten Israel betrieben werden, und offen
oder versteckt wirken sich in ihr aufs stärkste die theologischen Auffassungen
derer aus, die sie betreiben. So verwundert es nicht, daß
Auseinandersetzungen um Grundfragen dieser Disziplin gelegentlich
auch dort Interesse und sogar Beteiligung finden, wo man der alttestamentlichen
Wissenschaft sonst ferner steht. Hauptbeispiel dafür ist die
durch W. Baumgärtel in dieser Zeitschrift (86, 1961 Sp. 801-816.
895-908) vehement eingeleitete Diskussion um den Ansatz der Theologie
des Alten Testaments von G. v. Rad (I 1957, II 1960), des bekanntesten
Werkes der Disziplin in unserem Jahrhundert. Diese Dis-
kus*ion war bald kaum noch überschaubar, und sie offenbarte auch
abgesehen davon bei vielen auch lautstark Beteiligten eine erstaunliche
Unkenntnis der Disziplin, in der ja nicht alle Themen zum
ersten Mal verhandelt wurden. So entstand bei vielen das Bedürfnis
nach umfassender Orientierung. Diesem Bedürfnis hat durch einen
kurzen Überblick der von W. Zimmerli verfaßte alttestamentliche
Teil des Artikels „Biblische Theologie" in der Theologischen Rcal-
enzyklopädie (TREVI, 1980, 426-455) abzuhelfen unternommen,
und neuerdings bietet das von J. H. Hayes bearbeitete Werk von
F. Prussner. Old Testament Theology. Its History and Development
(Atlanta 1985) besonders für die ältere Zeit viel wertvolles Material.
Gegenüber beiden Arbeiten und noch anderen, die sich heranziehen
ließen, hat die hier anzuzeigende Schrift des Grafen Reventlow ihren
besonderen Wert und wird ihn gewiß behalten. Einmal durch eine
sehr umfassende Bibliographie, die eine Unmenge von teilweise an
ganz entlegenen Orten erschienener Literatur wenigstens nach Namen
und Titeln erschließt. Sodann durch die Gliederung nach Hauptproblemen
, die dem Leserdas fleißig Gesammelte übersichtlich vorführt.
Schließlich ist auch die Darstellung selbst geschickt abgefaßt und
trotz oft arg langer Einklammerungen (z. B. S. 158f. 169. 172) angenehm
lesbar: gut ausgewählte Zitate geben ihr Authentizität, das
eigene Urteil des Verfassers drängt sich nicht vor, wird aber auch nicht
unterdrückt.

Das erste der fünf Kapitel behandelt ..Vorgeschichte und Neuaufbruch
seit dem 1. Weltkrieg", wobei nach den Anfängen der Disziplin
seit J. Ph. Gabler und ihrer älteren Geschichte die Bewegungen der
zwanziger und dreißiger Jahre herausgestellt werden: die ..pneumatische
Exegese", die dialektische Theologie und der ..ideologische
Kampf gegen das Alte Testament und seine Folgen", unter welcher
Uberschrift von P. de Lagarde über H. St. Chamberlain, Friedrich
Delitzsch. A. Harnack, E. Hirsch und R. Bultmann bis zu F. Baumgärtel
eine ziemlich bunte Reihe von Geistern figuriert. Kapitel II gilt
sodann dem Problem einer systematischen Darstellung, wie sie in den
zwanziger Jahren nach den geschichtlich verfahrenden Dastellungcn
der vorangegangenen Zeit neu erwogen und seit den dreißiger Jahren
von mehreren Autoren durchgeführt wurde, bis dann G. v. Rad dieses
Verfahren auf neue Weise wieder grundsätzlich in Frage stellte. Für
den Streit um v. Rads Position lieferte der Begriff der Geschichte das
wichtigste Stichwort, und so ist es verständlich, daß den damit gegebenen
Problemen das dritte Kapitel gewidmet ist. Seinen Inhalt bezeichnen
gut die Zwischenüberschriften: Die Position G. v. Rads, „Tatsächliche
" Geschichte oder geglaubte Geschichte, Geschichte und
Offenbarung. Das Problem der Heilsgeschichte, Ist das Alte Testament
ein Geschichtsbuch? In Kapitel IV folgt eine Übersicht über die
Meinungen zur Frage einer „Mitte" des Alten Testaments, deren Vorhandensein
v. Rad bekanntlich geleugnet hat, und schließlich bespricht
Kapitel V unter der Überschrift „Der Wclthorizont alttesta-

mentlicher Theologie" nacheinander die Probleme, die mit den Begriffen
Schöpfung. Mythos und Weisheit gegeben sind. Die Kapitel II
und IV sind mit großem Abstand kürzer als die übrigen, hängen aber
mit diesen sachlich so eng zusammen, daß man nicht von einem Ungleichgewicht
sprechen kann.

Angesichts der Beschlagenheit des Verfassers dürfte, wer Orientierung
sucht, auf seine Rechnung kommen, wobei Rückgriffe über die
eigentlich dargestellte Zeit hinaus wie der Exkurs über die Heilsgeschichte
S. 99ff ihren besonderen Wert haben. Fehlinformationen
sind, soviel ich sehe, selten, so die. E. Sellin sei ein Liberaler gewesen
(S. 381). Unter den nicht so seltenen Schreib-oder Druckfehlern liefert
der Name Hellbarth statt Hellbardt (S. 24. 29) immerhin eine theologische
Positionsbestimmung seines Trägers. Ob man wirklich sagen
kann, mit Beginn des 2. Weltkrieges hätte die dialektische Theologie
„ihren Höhepunkt bereits überschritten" gehabt (S. 30)? Und ist der
Verfasser, wie es S. 109 und 114 für den unbefangenen Leser den Anschein
hat, wirklich der Meinung, die von Löwith dargestellte christliche
Auffassung von Geschichte und Heilsgcschichte sei als solche
auch dessen eigene? Das Mißtrauen des Verfassers selbst richtet sich
in erster Linie gegen allerlei Größen wie Idealismus. Subjektivismus.
Liberalismus und Entwicklungsdenken, die er in der heute überwundenen
, wenngleich mancherorts immer noch nachwirkenden Theologie
und Exegese des 19. Jahrhundertsam Werke sieht (S. 4, 12, 19.27.
39. 44. 133 u. ö.). Als Exeget hält er vor allem das (natürlich aus dem
19. Jahrhundert stammende) „alte personalistische Prophetenverständnis
" und die „Beurteilung der prophetischen Botschaft als
.eschatologisch'" für abwegig (S. 69 f, 95); gelegentlich spricht er auch
sichtlich distanziert von der „durch Noth hervorgerufenen überlieferungsgeschichtlichen
Skepsis" (S. 76). Mir scheint, daß die damit
angedeuteten Fragen für die Theologie des Alten Testaments eine
ziemlich große Bedeutung haben, und ich empfinde es von daher als
die Hauptschwäche der hier angezeigten Schrift, daß man in ihr so
wenig von Exegese erfährt - und daß dieses Wenige dann auch noch
relativiert wird. So wird die Frage nach dem Alter der Credo-Formulierung
in Dtn 26 ausdrücklich außer Betracht gerückt (S. 66). und zu
H. H. Schmids theologiegeschichtlicher Konzeption heißt es: sie
„hängt mit seiner Spätdatierung des Jahwistcn zusammen und wird
deshalb umstritten bleiben" (S. 198). Darüber sollte hinauszukommen
sein. Sonst besteht die Gefahr, daß in dieser Disziplin, die doch
eine historische ist, gerade historisch alles in der Luft hängt.

(iöttingen Rudolf Smend

Smend, Rudolf: Die Entstehung des Alten Testaments. 3.. durchges.
Aufl. Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz: Kohlhammer 1984. 237 S.
gr. 8° = Theologische Wissenschaft. I. Kart. DM 32.-.

Das zu einem Standardwerk der Einleitungswissenschaft gewordene
Werk des bekannten Göttinger Alttestamentlers liegt nunmehr in der
3. Auflage vor. Gegenüber den ersten Auflagen (ThLZ 105. 1980
Sp. 183-185) sind keine größeren Änderungen zu verzeichnen. Der
Satzspiegel ist im wesentlichen gleich geblieben. Die neuere Literatur
ist nachgetragen. Diese Konstanz ist ein Zeichen dafür, wie umsichtig
das Buch gearbeitet ist, das sich nur dann auf Ergebnisse verläßt, wenn
solche wirklich vorliegen, und ansonsten den Stand der Forschung
protokolliert. Zwei Erfahrungen mit dem Werk scheinen mir für seine
Bedeutung charakteristisch zu sein. Die erste betrifft die Arbeit am
Pcntateuch. Die in Teil B. Das Gesetz vorgelegte Pentateuchanalyse
ist von imponierender Geschlossenheit. Sie erhält ihre Überzeugungskraft
nicht zuletzt deshalb, weil sich der Verfasser nicht gescheut hat.
in die Niederungen der Einzclanalysc hinabzusteigen. Mag das auf
Kosten der Lesbarkeit gehen, wird man doch im einzelnen durch neue
Einsichten reich belohnt. Ohnehin ist es ja ein Arbeits- und kein
Lesebuch. Die zweite Erfahrung betrifft die Darstellung. Gegenüber
dem synthetischen Weg einer Rekonstruktion des literarischen
Werdegangs der Schriften des Alten Testaments hat das analytische