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Ausgabe:

1985

Spalte:

393-395

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Klages, Günther

Titel/Untertitel:

Martin Luther im Unterricht 1985

Rezensent:

Dienst, Karl

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Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 5

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senschaftlicher Erkenntnisse heute kaum noch Zustimmung erwarten
dürfen. Die Geschichte vom Sklaven, der als Bruder aufgenommen
wird, aber Sklave bleibt (61), aber auch die Passagen über das Untertan-
Sein der Obrigkeit (52-54), müßten angesichts neuerer theologischexegetischer
Erkenntnisse gründlich bedacht werden. Und weicher
Berufsschüler einer Industriestadt wird seinem Religionslehrer noch
Ausführungen abnehmen, die so beginnen: „Das Haupt-sein des
Mannes gegenüber der Frau istchristologisch begründet.. ."(62)?

Sehr informativ und didaktisch gut aufbereitet sind dagegen die
Ausführungen über ..Arbeit und Beruf im geschichtlichen Wandel"
(87-98). die „Epochen der Berufspädagogik" (99-108) und die daraus
heute erwachsenden Aufgaben zur Gestaltung des Religionsunterrichts
(109-153).

Bei der direkt und indirekt geführten Auseinandersetzung mit dem
Selbstverständnis des Ersatzfachs „Ethik-Normen-Werte" geht es
dem Vf. nicht darum, gegen einen vermeintlichen Konkurrenten des
Religionsunterrichts Stellung zu beziehen. Ihn bewegt vielmehr die
inhaltliche Frage, ob ein empirisch-positivistischer Ethik-Unterricht,
der sich als wissenschaftliche Alternative zum Religionsunterricht
versteht, überhaupt sinnvoll ist und sachlich und pädagogisch angesichts
eines in der Struktur der Gesellschaft begründeten Normenpluralismus
verantwortet werden kann.

„Vertritt der Ethik-Unterricht aber über die empirisch-positi-
vistische Wissenschaftsauffassung hinaus inhaltliche Werte und Sinnsetzungen
(und das muß er, wenn er sich selbst ernst nehmen will),
dann ist er nicht mehr weltanschaulich neutral zu verstehen" (152).
Demgegenüber kann der vom Vf. vorgezeichnete religionspädagogische
Ansatz .jenseits des Sozialen" (153) nur ein erster Schritt sein,
dem weitere überzeugende, präzisierende Schritte werden folgen müssen
.

Greifswald Günther Kehnscherpcr

Klages. Günther: Martin Luther im Unterricht. Didaktische Begründung
- Theologische Information. Hilfen für den Unterricht.
Hannover: Lutherhaus 1984. 151 S. 8*. Kart. DM 24,-.

Im Unterschied zu fachwissenschaftlich orientierten Lutherbearbeitungen
und unterrichtspraktischen Vermittlungshilfen charakterisiert
Klages sein ansprechendes Buch als ein „didaktisches" (9); erst
nach einer „ausführlichen didaktischen Besinnung" will er die zentralen
Aussagen des Reformators zur Sprache bringen (35). Vorher soll
geprüft werden, ob die Rechtfertigungslehre als zentrale Aussage der
lutherischen Theologie (20) „in den Denk- und Fragehorizont des
Schülers heute zu transponieren ist" (22). Als „Transfermöglichkeiten
" werden exemplarisch erörtert: Heilsungcwißheit damals -
Sinnverlust heute? (22) - Leistungsideologie als säkularisierte Werkgerechtigkeit
? (26) - Rechtfertigung auch des Zweiflers? (27) Als
..Konkretionen" - auch im Sinne einer pädagogischen Interpretation
der Rechtfertigungslehre - dienen kurze Bearbeitungen der Themen:
Rechtfertigung des Schülers, des Lehrers und der Schule (29 ff).

Die „Theologischen Informationen" (35fT) ordnet Klages in „Ringen
" an: „Die in Ring I behandelten Themen sind die, die sich gleichsam
wie konzentrische Kreise um die Problematik .Rechtfertigungdes
Gottlosen allein aus Gnaden' legen" (37). Die Themen dieses „Ringes
" sind: Die Schrift allein - Allein aus Gnaden - Allein im Glauben

- Die Rechtfertigungslehre - Glaube und Liebe - Gesetz und Evangelium
. Geht es hier um „zentrale Lehren" Luthers, so nach Klages in
„Ring II" um „Folgerungen", deren „Verbindung zum Zentrum
lutherischer Theologie (aber) nicht immer so deutlich und zwingend
ist" (37): Zur Zweireichelehre - Luther und die „Schwärmer" -
Luther und die Bauern - Luther und der Krieg - Luther und die Juden

- Luther und der Islam (62fT). Für mich geht es in „Ring II" eher um
heute aktuelle, d. h. umstrittene, mehr „ethisch" orientierte Themen
der Theologie Luthers.

Was die „Hilfen für den Unterricht" (95fT) anbelangt, so bestehen
sie hauptsächlich aus zwölf „Erzählhilfen". Ohne hier näher auf das

Problem des Erzählens eingehen zu können, würde ich sagen: Klages
trägt hier die Geschichte Luthers im Stil eines Geschichtsbuchs für
Realschulklassen vor; es geht hier mehr um ein Buchwissen als um
lebendiges Erzählen. So werden denn auch in die „Erzählhilfen" fach-
wissenschaftlichc Erörterungen eingeschoben, z. B. die Frage der
Datierung des „Turmerlebnisses" (1030- Weiter wird die für das Erzählen
wichtige Frage des Anspruchsniveaus nicht näher behandelt.
Kann sich ein Grundschüler z. B. etwas unter einem „Studium generale
" (98) vorstellen? Umgekehrt wird z. B. Worms 1521 „trocken"
behandelt; nicht nur Heinrich Boehmcrs Buch „Der junge Luther"
liest sich spannender.

Den Abschluß des Buches bildet ein Anhang, der aus einer strukturierten
Bibliographie und einer kurzen Lutherchronologie besteht
(130ff).

Daß sich angesichts der kaum noch zu überblickenden Fülle der
Lutherliteratur im Abschnitt „Theologische Informationen" manche
Fragen stellen, weiß Klages selbst (vgl. 35). Wichtiger ist für mich die
Frage nach der Notwendigkeit der Vorordnung der „Didaktischen
Begründung" vor die fachwissenschaftlichen Inhalte und die Unterrichtshilfen
, während früher die Reihenfolge lautete: Luthers Theologie
- Auswahl relevanter Themen - Unterrichtseinheiten. Gewiß: Das
Klassenzimmer ist weder Hörsaal noch Studierstube, der Schüler kein
Privatdozent in nuce. Die „Schülerorientierung" des Unterrichts ist,
wenn sie nicht ideologisch überhöht und ausgebeutet wird (wie z. B. in
sog. „emanzipatorischen" Entwürfen der Didaktik), eine selbstverständliche
Forderung. Als Gründe für die Vorordnung der didaktischen
Begründung führt Klages z. B. die bekannte Metaphorisierung Luthers
(„Welcher Luther?") und das hermeneutisch und unterrichtspraktisch
w ichtige Problem des „Transfers" der zentralen Aussagen der Theologie
Luthers in die Lebenswirklichkeit des Schülers an. Eine einheitliche
didaktische Theorie läßt sich aber nicht ausmachen, auch wenn manche
Leitbegrifte in eine bestimmte Richtung weisen könnten; vielmehr
finden sich Bruchstücke verschiedener didaktischer Theorien, deren
Zusammenhang und damit auch Begründung für mich offen bleibt.

Hinzu kommt, daß Klages sein Denk- und Anordnungsschema
öfters durchbricht. Auf der einen Seite bestimmen fachwissenschaftliche
Ergebnisse bereits die „Didaktischen Begründungen" mit. wie
auf der anderen Seite didaktische und aktuelle Interessen auf die Fachwissenschaft
normativ einwirken (z. B. 73; 80IT). M. E. lassen sich die
Dinge gar nicht trennen. Um z. B. die Frage des „Transfers" zu beantworten
, muß ich Inhalte und Empfänger kennen, von weiteren Inter-
dependenzen einmal ganz zu schweigen (vgl. 35). Allgemeindidaktische
Theorien verabsolutieren in der Regel bestimmte Aspekte (z. B.
Wissenschaftsorientierung - Emanzipation); die Unterrichtsinhalte
werden dann durch politisch-weltanschauliche Schemata vorgesteuert
(vgl. 14); die Anwendung bestimmter Menschenbilder gibt
sich als „Wissenschaft" aus. Daß auch die Wissenschaft bestimmte
Zwecke verfolgen kann, zeigt nicht nur die Lutherforschung.

Klages weiß um diese Probleme. Ich verstehe seine Vorordnung der
Didaktik eher pragmatisch: Er möchte einer allzu schnellen Beantwortung
der für Unterrichtende oft primären Frage nach dem Transfer
Luthers in den Denk- und Fragehorizont der Schüler und dem Versuch
, Fachwissenschaft unvermittelt in den Unterricht zu überführen,
wehren, ebenso modischen Trends, die gestern nicht nur Luther abwerteten
und ihn dann plötzlich - ja nach der Großwetterlage -
„hochjubeln". Im Interesse von Schüler und Lehrer, von Wissenschaft
und Unterricht ist Klages fürseine Bemühungen zu danken.

Allerdings sei mir zum Schluß noch eine mehr grundsätzliche Frage
gestattet: Macht Luthers Denken und Dichten nicht einen jener wenigen
großen Kristallisationspunkte des europäischen und auch außereuropäischen
Geisteslebens aus, die unabhängig von jeder unmittelbaren
Bedeutung für die jeweilige Gegenwart wichtig bleiben müssen
? Der Horizont der Aktualität und der pädagogischen Vermittel-
barkeit im Sinne der Fruchtbarkeit solcher großen überlieferten
Denkgcbildc für die Gegenwartssituation kann m. E. immer nur ein
nachträglicher sein, der sich aus der zuerst anstehenden Erschließung