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Ausgabe:

1985

Spalte:

386-389

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Schwartz, Werner

Titel/Untertitel:

Analytische Ethik und christliche Theologie 1985

Rezensent:

Honecker, Martin

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385

Theologische Literatur/.eitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 5

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vereinbar. (167) Die Frage nun. ob Tr. eine adäquate Synthese
erreicht habe, führt ihn zum Gegenstand seines Schlußkapitels, einer
Grundfrage von Tr.s Denken überhaupt, der Frage nach dem Verhältnis
von Historie und Metaphysik. (171-203) Dabei richtet sich diese
Frage im gegebenen Zusammenhang naturgemäß besonders auf die
Konstitution der Glaubenslehre. Dominiert in ihr Tr.s historischer
Ansatz, oder "is idealistic metaphysics decisive"? (171) Obzwar es W.
Tür unangemessen hält. Tr.s Glaubenslehre als spekulative Dogmatik
zu bezeichnen (179). diagnostiziert er eine merkliche Neigung Tr.s, in
seiner Glaubenslehre entgegen seinen methodischen Absichten eher
aufgrund philosophischer Spekulation als aufgrund historischen Denkens
zu verfahren (184; vgl. 193). Diese Praxis erachtet W. allerdings
als problematisch, da sie den historischen Ansatz Tr.s gefährde. Dennoch
: "I see no objection in principle to his attempt to combine his-
torical modes of thought with philosophical theology." Nur hätte Tr.
seine Praxis methodologisch detailliert erörtern sollen statt sie stillschweigend
auszuüben. D. h. aber, er hätte das Zusammengehen von
philosophischer und historischer Theologie, von Metaphysik und
Historie, eingehend klären und darüber hinaus vor allem den immer
wieder zu konstatierenden metaphysischen Einschlag seiner Position
explizit auseinandersetzen müssen. (195f. 2001) Ungeachtet dieser
Mängel sowie der Tatsache, daß Tr.s idealistische Metaphysik gewiß
nicht übernommen werden kann, bleibt doch für W. das Konzept der
Glaubenslehre verheißungsvoll, insbesondere aufgrund der konzipierten
Verbindung von Metaphysik und Historie. Dementsprechend
konstatiert die Schlußeinschätzung, indem sie nochmals den Bezug
auf die Position Schleiermachers hervorhebt: "A post-Neo-Orthodox
theology is in a position to appropriate Troeltsch's program and to
rectify its defects. similarly to the way in which Troeltsch himself
appropriated Schlciermacher's position." (201) Und: "Troeltsch's
Glaubenslehre remains a fascinating indication of the not yet
exhausted construetive possibilities remaining in the theological
heritage of Schleicrmacher." (203)

Damit stehen wir am Ende des anzuzeigenden Buches, das durch
Anmerkungen (205-246) sowie ein Literaturverzeichnis (247-255)
vervollständigt wird. Ich hoffe, daß der gegebene Überblick bereits
andeutungsweise den Eindruck zu vermitteln vermochte, wonach
man die vorgestellte Untersuchung getrost rundheraus als gediegen
bezeichnen darf. In präziser Problemstellung, klarer, sauberer Disposition
und differenzierter Analyse wird die konzeptionelle Konstruktion
von Tr.s Glaubenslehre entziffert. Daß dabei diesem bislang eher
stiefmütterlich behandelten Werk Tr.s einmal eingehende Aufmerksamkeit
gewidmet wird, verdient zusätzliche Anerkennung. Freilich
scheint mir hierin zugleich die crux des Buches von W. zu liegen. Zwar
vermag er m. E. sehr wohl einsichtig zu machen, daß die ..Glaubenslehre
" als authentisches Werk Tr.s angesehen werden darf. Fraglich
bleibt jedoch, ob sie als für die Entwicklung Tr.s wesentliches Werk
gelten kann, ja ob sie mit seiner Gedankenentwicklung überhaupt
Schritt gehalten hat. W. selbst bemerkt die sowohl konzeptionell als
auch inhaltlich weitgehende Identität der Glaubenslehre mit Tr.s dogmatischer
Position vorder Jahrhundertwende. (140. 151 0 Gehen aber
dann nicht zumindest einige „spekulative Tendenzen" der Glaubenslehre
zu Lasten einer noch nicht (hinreichend) durchgearbeiteten
Position, die Tr. mittlerweile überholt hatte? Ferner scheint W. nicht
genügend zu unterscheiden zwischen metaphysischen Elementen, die
Tr. inhaltlich aufnahm, sowie solchen, die in seinen konzeptionellen
Vnsatz eingingen. Mehr noch: W. macht m. E. selbst nicht klargenug,
was er unter ..Metaphysik" verstanden wissen will. So ist doch beispielsweise
deutlich zu unterscheiden zwischen einer von Tr. späterhin
avisierten Erkenntnismetaphysik „in der Richtung Malebranche.
Leibni/ und Hegel" und einem von ihm schon frühzeitig entschieden
abgelehnten Hepclschen Evolutionismus. Daß freilich Relikte letzterer
Position Tr.s Denken durchziehen und seinen historischen Ansatz
gefährden, hat W. anschaulich gezeigt. Dieser Tatbestand aber führt
offensichtlich letzten Endes auf die Schwierigkeit, der sich Tr. zeitlebens
gegenübersah: wie vom historisch Relativen überhaupt zum

gültig Normativen zu gelangen ist. Insofern diese Schwierigkeit das
Grundproblem seines Denkens überhaupt zu bezeichnen scheint, hat
Tr. allerdings wie wohl kaum ein anderer methodologisch auf das Verhältnis
von Historie und Metaphysik reflektiert. Dies indes dürfte W.
ebensowenig zureichend wahrgenommen haben wie den Stellenwert,
den die subjektive Entscheidung für Tr. in dieser Frage innehält und
zunehmend gewinnt. Die konzeptionelle Relevanz dieses Subjektivismus
im Denken Tr.s jedoch läßt W.s Einschätzung fraglich werden,
nach der Tr.s Konzept der Glaubenslehre ungeachtet einzelner behebbarer
Mängel verheißungsvoll genannt zu werden vermag. Ebenso
müßte dann wohl von hier aus die Frage noch einmal neu gestellt werden
, inwieweit Tr. tatsächlich das theologische Erbe Schleiermachers
fortgeführt hat.

Gerichshain Wolfgang Plüller

Systematische Theologie: Ethik

Schwarte, Werner: Analytische Ethik und christliche Theologie. Zur

metaethischen Klärung der Grundlagen christlicher Ethik. Göttingen
: Vandenhoeck & Ruprecht 1984. 295 S. gr. 8' = Forschungen
zur systematischen und ökumenischen Theologie. 46. Kart.
DM 58,-.

Die im wesentlichen in den Jahren 1975/76 verfaßte. 1982 angenommene
Dissertation von W. Schwanz nimmt eine von der deutschen
evangelischen Ethik wenig beachtete Fragestellung auf. die der
analytischen Ethik. Lediglich Hans Biesenbach. Zur Logik der moralischen
Argumentation. Die Theorie Richard M. Harcs und die Entwicklung
der Analytischen Ethik. 1982 hat als einer der wenigen
evangelischen Theologen dieselbe Thematik behandelt (vgl. Schwanz
S. 23 Anm. 1). Allein schon wegen ihres Informationsgehaltes ist
W. Schwanz' Arbeit deswegen sinnvoll und wichtig. Stärker noch als
von Schwanz wäre freilich zu betonen, daß die analytische Ethik nicht
eine ethische Schule bildet, sondern eine Denkhaltung, einen Argumentationsstil
bezeichnet. Die angelsächsische philosophische Ethik
geht analysierend vor. Mit diesem Argumentationsverfahren hat deshalb
auch die englischsprachige religiöse Ethik sich zu befassen und
auseinanderzusetzen. Die deutsche evangelische Ethik hingegen ist
weithin kerygmatisch. Im Anschluß an die 2. Barmer These mit der
Gleichstellung von Zuspruch und Anspruch des Wortes Gottes
betreibt sie Ethik als Verkündigung, redet also in der Form der Par-
änese. Der Arbeit von Schwartz ist im Denkstil wie in der Sprache das
Bemühen um methodische Klarheit zugute gekommen, in das Analytische
Ethik einübt. Im Unterschied zur evangelischen Ethik hat die
katholische Moraltheologie z. T. sich dem Einfluß analytischer Ethik
bereits geöffnet. Zu nennen ist hier vor allem Bruno Schüller. Die Begründung
ethischer Urteile. 21980, der S. 15ff den Unterschied von
Paräncsc und normativer Ethik klar herausarbeitet. Ferner könnte
man z. B. erwähnen: Rudolf Ginters. Versprechen und Geloben. Begründungsweisen
ihrer sittlichen Verbindlichkeit. 1973: ders. [Hrsg.],
Relativismus in der Ethik, 1978. Schüller ist im Literaturverzeichnis
bei Schwartz genannt, aber im Text nicht berücksichtigt. Ginters wird
gar nicht genannt. Der Untertitel „Klärung der Grundlagen christlicher
Ethik" ist also einzuschränken auf die konfessionell evangelische
Ethik. W. Schwartz möchte dabei, zutreffend, auch eher von
„Ethik der Christen statt von der christlichen Ethik" sprechen (S. 11
Anm. I, vgl. das Resümee S. 267).

Der 1. Teil „Probleme und Klärungen" (S. 1 I ff) beschreibt die Aufgabe
: Es geht um die Probleme des ethischen Diskurses, wie sie sich
der sprachanalytischen Philosophie stellen, sowie um die kommunikative
Verbindlichkeit der Ethik. Dabei sind normative Ethik,
deskriptive Ethik und Metacthik begrifflich zu unterscheiden
(S. 17-19) und wird die These' von der normativen Neutralität der