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Ausgabe:

1985

Spalte:

381-383

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schoen, Ulrich

Titel/Untertitel:

Das Ereignis und die Antworten 1985

Rezensent:

Schwarzenau, Paul

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Theologische Literalurzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 5

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panpsychistischer Identismus folge nicht (wie R. behauptet) aus den
biologischen Erkenntnissen, sondern stehe ihnen als Vorurteil
voran.

Zum Abschluß seiner Beurteilung geht H. kritisch auf R.s Konsequenzen
hinsichtlich Ethik und Religion ein: Willensfreiheit werde
theoretisch geleugnet, solle aber inkonsequenterweise praktisch doch
erstrebt werden; eine vom Körper verschiedene Seele und ein von der
Welt verschiedener transzendenter Geist werden geleugnet. Religion
als Evolutionsprodukt und bloßes Gefühl hingestellt.

Ich mußte H. in fast alleaseinen Kritik-Punkten zustimmen, doch
ließ auf den letzten hundert Seiten meine Lese-Spannung sehr nach,
weil man immer schon wußte, daß nur noch ein wiederholtes Nein zu
Renschs Philosophie kommen würde. Mir scheint, hier ist zu viel
Arbeit in die Ablehnung einer Gegenposition gesteckt worden. Für
den starr antitheologischen Standpunkt R.s wäre es im übrigen viel
provozierender gewesen und hätte es eher einen Dialog initiiert, wenn
man ihn - wie z. B. die Prozeßtheologen - mit einem Ja oder Ja-aber
überrascht hätte. - Ferner verstehe ich zwar gut. daß H. - als Philosoph
-die naturwissenschaftlichen Argumente R.s weitgehend ausgeklammert
bzw. R. hier im wesentlichen Kompetenz, zugestanden hat.
Er hätte aber, wenn er sich doch auf dieses biologic-interne Gebiet
gewagt hätte, hier durchaus Belege für seine beiden Hauptbedenken
finden können und wäre zugleich dem Denkweg des Biophilosophen
R. besser gerecht geworden.

Wittenberg Lutherstadt Hans-PcterGensichen

Systematische Theologie: Allgemeines

Schoen, Ulrich: Das Ereignis und die Antworten. Aufder Suche nach
einer Theologie der Religionen heute. Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht 1984.166 S.gr. 8'. Kart. DM 40,-.

Ulrich Schoen geht in seinem Buch der Frage nach, wie es möglich
sein kann, „der anderen Religion und ihrer Botschaft gegenüber wirklich
offen (zu) sein und dabei wirkliches und lebendiges Glied der eigenen
Gemeinschaft (zu) bleiben?" (9). Diese Frage hat für ihn keinen
nur akademischen Charakter. Sie stellt sich ihm im Zusammenhang
einer Welt der wechselseitigen Durchdringung und Abhängigkeit von
Kulturen, in die die verschiedenen Religionen einbezogen sind. Eine
Verschärfung der interreligiösen Situation tritt darin zutage, daß Christentum
und Judentum mehr den reichen Industrienationen, Islam,
afrikanische Religion, Hinduismus und Buddhismus mehr der Dritten
Welt zugeordnet sind. Dieser Hintergrund ist in der vorgelegten
Arbeit auch biographisch ständig zur Stelle.

Ulrich Schoen betont den ganzheitlichen Charakter der Religion.
..Religion ist eine Methode zur Herstellung des Wirklichkeitsbezugs.
Sie ist eine ganzheitliche Methode, die die rechte Beziehung zur
Gesamtheit der Wirklichkeit herstellt, das heißt zu allen ihren Dimensionen
" (20). Die unverkürzt erlebte Spannung der interreligiösen
Situation gehört für Schoen in die Erfahrung der Ganzheitlichkcit
einer Religion mit hinein. Diese wird keineswegs schon ausreichend
erfaßt durch den bloßen religionsgeschichtlichen Vergleich, den die
Religionswissenschaft erstellt, indem sie Unterschiede und Gemeinsamkeiten
herausarbeitet. Jede Religion beruht vielmehr im Verhältnis
zu einer anderen auf Einzigkeitserfahrungen und Gemeinsamkeitserfahrungen
. Solche Erfahrungen werden am ehesten im Zusammenleben
verschiedener Religionen gemacht, am intensivsten in der
Situation der religiösen Minderheit und der religiösen Mischehe.
Dabei kann die Gemeinsamkeitserfahrung unter einer Art Verfrcm-
dungserlebnis zur Wiederentdeckung verschollenen eigenen Glaubens
führen.

Gemeinsamkeitserfahrungen ergeben sich insbesondere in der
Begegnung zwischen Christentum, Judentum, Islam und der afrikanischen
Religion. Überraschen mag in diesem Zusammenhang der Hinweis
auf die afrikanische Religion, unter welcher Bezeichnung Schoen
die Vielzahl afrikanischer Religionen zusammenfaßt. Er weist wohl
mit Recht darauf hin. daß „die drei Weltreligionen semitischen
Ursprungs - Judentum, Christentum und Islam - in einer .primitiven
Mentalität' (das Wort .primitiv' bedeutet hier .Urmentalität') (wurzeln
), die sich in den afrikanischen Religionen - wenn auch nicht ohne
Veränderungen im Laufe ihrer langen Geschichte - erhalten hat" (38).
Schoen spricht daher diesen vier Religionen eine gemeinsame kollektive
Subjektivität zu.

Schwieriger scheint sich die Gemeinsamkeitserfahrung im Verhältnis
zu den fernöstlichen Religionen zu erschließen, da im Falle des
Buddhismus nicht einmal der gemeinsame Name „Gott" zur Verfügung
steht. Man wird aber vom Urgrund der Wirklichkeit, dem ganz
Anderen, nicht nur in personalen, sondern gerade auch in transpersonalen
Denkweisen reden dürfen (109).

Schoen weist wiederholt daraufhin, daß sich die Religionen gegenüber
Veränderungen äußerst widerständig erweisen. Das hängt offensichtlich
mit der Einzigkeitserfahrung zusammen. Alle religiösen
Ganzheiten sind Antworten auf ein Ur-Ereignis, auf den sich manifestierenden
Seinsgrund, den wir in den semitischen Religionen „Gott"
nennen. Einzigkeitserfahrungen und Gemeinsamkeitserfahrungen liegen
dabei so ineinander, wie in den dem Buche beigegebenen Bildern
von Vasarely mehrere Perspektiven nach dem Prinzip der optischen
Täuschung ineinanderliegen. obgleich man mit einem Blick nur je
eine Perspektive wahrnehmen kann.

Am Beispiel von vier bedeutenden christlichen Theologen -
Rahner, Barth, Pannenberg, Tillich - kann Schoen aufweisen, daß bei
ihnen die nichtchristlichen Religionen nur am Rande vorkommen. Es
zeigen sich aber Ansätze zu einem überschreitenden Verstehen in
Richtung auf eine Theologie der Religionen, am deutlichsten bei
Tillich. Von größtem Gewicht für den von Schoen vorgelegten
Cirundriß ist eine Systemanleihe aus dem Denken von Karl Barth.
Barth unterscheidet den primären Immanuel, worunter er den präexistenten
Christus versteht, vom sekundären Immanuel, dem irdischen
Jesus von Nazareth und zum Kyrios erhobenen Herrn der
christlichen Kirche. Daß sich der Grund der Wirklichkeit überhaupt
manifestiert, daß das Ur-Sein aus sich heraustritt zum Kosmos und
zum Menschen hin, meint das ursprüngliche „Gott für uns". Es ist das
Ereignis schlechthin und in der Rede vom primären Immanuel ausgesagt
. In diesem Sinne hat der präexistente Christus eine gründende
Beziehung zum Kosmos, zur Kirche (als Geistgemeinschaft im Sinne
Tillichs) und zum Wesenskern des Menschen. Der sekundäre Immanuel
ist eine Antwort auf dieses Ur-Ereignis.

Es zeigt sich aber - und Barth ist von buddhistischer Seite darauf
aufmerksam gemacht worden -. daß sich dieses Ereignis-Antwort-
Verhältnis auch in den anderen Religionen findet. Der primäre
Immanuel, das ewige Wort, das bei Gott ist, der Logos, hat, wie ich
erläuternd hinzufügen möchte, seine Entsprechungen im Ur-Koran
und im Ur-Buddha. Jede gelcbte und ausgearbeitete Realisierung ist
schon Antwort: Jesus, Koran, Siddhartha Gautama. also dann auch
Christentum, Islam, Buddhismus. In Schoens eigenen Worten: „Das
Ereignis gehört dem ganz. Anderen, es hat einen in sich universalen
Charakter. Deshalb gehört es auch allen Menschen, selbst wenn der
Christ nicht anders kann als im konkreten Menschen Jesus Christus
die Epiphanie des Ereignisses zu erfahren" (115). Wo man die Antwort
aber mit dem Ereignis gleichsetzt, führt dies notwendig zum religiösen
Imperialismus.

An den Beispielen der Missionare Cragg und Faure sowie an dem
buddhistisch fundierten Barth-Schüler Takizawa kann Schoen veranschaulichen
, daß Mission, wenn sie nicht Imperialismus werden will,
nur noch bedeuten kann, sich einer wechselseitigen Missionierung
auszusetzen. Darunter versteht er keine Proselytenmacherci, sondern
ein wechselseitiges Sich-Hinführcn zu dem universalen Ereignis, ein
Heraustreten der Religionen aus ihren Mauern zur Heimkehr zu Gott,
„zu einem Gott, der fremd und dunkel erscheint, denn er ist Gott, so