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Ausgabe:

1985

Spalte:

380-381

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Hlebš, Joseph

Titel/Untertitel:

Der panpsychistische Identismus in der Biophilosophie von Bernhard Rensch 1985

Rezensent:

Gensichen, Hans-Peter

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Theologische Literaturzeitung 1 10. Jahrgang 1985 Nr. 5

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Widerspruch sind schon in den Polemiken der Zeitgenossen Hegels,
von Theologen und Philosophen unübersehbar. Die Besprechungen
Eduard Zeliers, aber auch die Einwände aus der katholischen Tübinger
Schule (S. 247-273 von H. G. Türk) dokumentieren das, aber
auch die Rezeptionsgeschichte liefert hierfür ständig Belege. U ntcr der
Überschrift „Der Untergang des Individuums" (S. 248-274) hat
Friedrich Wilhelm Graf diese Belege prägnant und überzeugend vorgestellt
. Der Vorwurf, daß Hegels Philosophie des absoluten Geistes
pantheistisch und unchristlich sei, wird hier so motiviert, daß „gegen
die spekulativ-vernünftige universelle Vermittlung von Absolutem
und Endlichem ein alternatives Verständnis einer den eigentümlichen
Ort des Individuums definierenden endlichen Freiheit zum Zug"
(S. 284; Hervorhebung vom Rez.)gebracht werden soll.

Dem korrespondiert eine Korrektur des Hegeischen Gottesbegriffs,
indem von Ch. H. Weiße bis hin zu Karl Barth das „Subjektsein Gottes
, seiner Freiheit vor seiner inneren Notwendigkeit und damit die
Schöpfung als ein Werk der göttlichen Freiheit" (S. 288) betont und
zu Grunde gelegt wird. Der Nachweis ähnlicher und z. T. identischer
Tendenzen in der katholischen Tübinger Schule (Möhler, J. E. Kuhn.
F. A. Staudenmaier) wird von H. G. Türk durch überzeugende Belege
geführt. Unverkennbar ist bei diesen Bestreitungen von System und
Religionsphilosophie Hegels immer wieder der Einfluß der Schelling-
schen Spätphilosophie. Für den Interpretationskanon der Hegclschen
Religionsphilosophie, der angesichts dieser Einforderungen des Individuellen
und damit der Freiheit des Individuums profiliert wird,
heißt das dann: Dem Individuellen, dem Subjektsein des Individuell-
Besonderen innerhalb des Systems seinen vorhandenen Stellenwert
belassen, um damit auch dem konkret Geschichtlichen gerecht zu
werden. Diesem Anliegen dienen eine grundlegende Erörterung
„Religiöser Inhalt und logische Form, zum Verhältnis von Religionsphilosophie
und .Wissenschaft der Logik' am Beispiel der Trinitäts-
lehre" (S. 196-227) von Falk Wagner, und ein Beitrag von Herbert
Huber: „Das Absolute ist der Geist" (S. 228-276). Tiefgründig wird
im erstgenannten Beitrag am Beispiel der Hegeischen Grundkonzeption
der Trinitätslehre deren logische Bedeutung von System und
Logik her so untermauert, daß auch die Offenheit des Systems hin
zum Besonderen und Einzelnen aufgewiesen wird, ohne daß damit
und dadurch systemzerstörende Folgen vorprogrammiert sind.
Analog wird im Aufsatz „Das Absolute ist der Geist" von H. Huber
ein starker Akzent auf Subjektivität und das Subjektsein des absoluten
Geistes gelegt, indem dieser Hegeische Zentralbcgriff in starkem Maße
von den Fragestellungen der Kant-Fichteschen Transzendentalphilosophie
her ausgelegt wird. Es wäre dann ein sozusagen in hohem Maße
„Fichtesch" verstandenes Absolutes (bis in die Terminologie des Ich
und Nicht-ich durchgeführt), das Hegel bestimmt hätte, der Substanz-
Gesichtspunkt tritt demgegenüber erheblich zurück. Ob allerdings der
so transzendental dominierte Hegel eine Reduktion des Hegeischen
Idealismus „auf ökonomische Sachverhalte" (S. 234) verhindern
kann, mag eine offene Frage bleiben.

In anderer Weise wird die Interprctationslinie auf ein das Individuell
-Besondere umgreifendes System hin philologisch durch den Beitrag
Godwin Lämmermanns „Redaktion und Redaktionsprinzip der
Vorlesung über Religionsphilosophie in ihrer zweiten Ausgabe"
(S. I<»0-l58) unterstützt. Mit Recht sieht der Verfasser hier die
steuernde Hand Bruno Bauers und damit eine „Reflexion auf das
Nichtidentische im Identischen" in dieser zweiten Ausgabe hervortreten
. „Selbst", „Subjekthaftes" sind damit deutlicher akzentuiert.
Bruno Bauers Weg aus Hegels System heraus, der Bruch mit Hegel
deutet sich an.

Dankenswerterweise haben sich die Verfasser der „Materialien"
zum Prinzip immanenter Kritik bekannt, d. h. sie lehnen es ab, im
Gesamtsystem Hegels nicht vorhandene Gesichtspunkte von außen
her zum Zwecke der Kritik heranzutragen. In dieser Hinsicht scheint
dem Rezensenten jedoch eine Frage offen zu bleiben, die allerdings
aus dem Kontext unserer Zeit verstanden durchaus weiterführen
kann; aber eben über Hegel hinaus: Wenn man auch gern die Hcraus-

arbeitung des Subjckthaft-Individuellen um des Gewichts der Geschichte
willen akzeptiert, so kommt diese Tendenz jedoch wohl dort
an eine Grenze, wo das Allgemeine, Identische dadurch zerbrochen
wird. Die in der Einleitung (S. 61 ff) vorgebrachte Feststellung, die die
für Hegels Auffassung des absoluten Geistes zentrale Aussage, daß
Kunst. Religion und Philosophie sich zwar der Form, aber keineswegs
dem Inhalt nach unterscheiden, modifiziert, scheint mir diese im
System liegende Grenze zu überschreiten: Im Hinblick auf das höchst
bedeutsame Grundsatzproblem „der Aufhebung" der Religion (Form
der Vorstellung) in die Philosophie (Form des Begriffs) wird formuliert
: „Der von der Vorstellungsform abgelöste Inhalt (sc. der Religion
H. M.) wird bei seiner Aufhebung in die philosophische Begriffsform
momentan negiert und so verändert." Das dürfte mit dem System
Hegels und auch der „Vorlesungen zur Philosophie der Religion" so
kaum abzudecken sein. Ich möchte festhalten: Der identische Inhalt
bleibt, mag sich dieser psychologisch „momentan" auch verdunkeln
.

Unterstreichen möchte ich abschließend: Das Werk „Die Flucht in
den Begriff* stellt für den um Hegels Religionsphilosophic bemühten
Leser einen ausgezeichneten Zugang in diesen Teil des Systems dar,
wobei eine ausgezeichnete Bibliographie (jahresweise von
1822-1981) gute Gesamtorientierung ermöglicht. Darüber hinaus hat
er aber auch einen großen Gewinn für die Profilierung eines eigenen
religionsphilosophischen Standpunktes, der nicht nur Religionskritik
bleibt. Der Mühe des Begriffs muß er sich allerdings unterziehen.

Markkleeberg Hans Moritz

Hiebs, Joseph: Der panpsychistische Identismus in der Biophilosophie
von Bernhard Rensch. Auseinandersetzung mit einer naturalistischen
Weltanschauung. St. Ottilien: EOS-Verlag, 1983. 334 S.
8" = Dissertationen, philosophische Reihe, Bd. I. Kart. DM 34,-.

Bernhard Rensch (geb. 1900), Evolutionstheoretiker und Tierpsychologe
, ist einer der Väter der heute weitgehend vertretenen Form
der Evolutionstheorie. In den Büchern „Biophilosophie auf erkenntnistheoretischer
Grundlage" (1968) und „Das universale Weltbild.
Evolution und Naturphilosophie" (1977) hat R. seinen „panpsychi-
stischen (genauer: panprotopsychistischen) Identismus" dargestellt.
Dieser ist Gegenstand des anzuzeigenden Buches. Es handelt sich um
eine Doktorarbeit, den ersten Band einer von dem katholischen Verlag
eröffneten Reihe philosophischer Dissertationen. Der Autor hat
sich ganz auf die Wiedergabe und Beurteilung des einen Buches „Bio-
philosophic" konzentriert. Weder die Entwicklung der philosophischen
Gedanken R.s noch die Darstellung seiner naturwissenschaftlichen
Aussagen noch seine Biographie spielen eine Rolle.

Im ersten der beiden Hauptteile (S. 2-105) stellt H. die R.sche Biophilosophie
dar - und zwar bereits deutlich kritisch. Sie läßt sich (in
sicher unzulässiger Vereinfachung) wie folgt zusammenfassen:

Alle Materie ist urseelisch. Die Unterschiede zwischen Unbelebtem
und Belebtem und zwischen Tier und Mensch sind nur graduell (verschieden
hohe Integrationsstufen des Psychischen). EineZweiheit von
Leiblichem und Seelischem gibt es nicht. Nur die psychischen Prozesse
sind unbezweifelbare Realität. Es herrscht ein strenger Determinismus
; eine Willensfreiheit gibt es nicht.

Der zweite Teil von H.s Buch (S. 106-278) bietet eine „gesamtphilosophische
Beurteilung". Diese ergibt: R. habe ein dürftiges philosophisches
Fundament: er sei in seiner Weltsicht darwinistisch-de-
lerministisch -materialistisch-monistisch-naturalistisch-positivistisch
verengt; er weite akzeptable weltbildliche Erkenntnisse illegitim zu
weltanschaulichen Gesamtdeutungen; sein anti-metaphysisch sein
wollender Ismus sei selbst Metaphysik; R.s Beteuerungen des nur
hypothetisch-heuristischen Charakters seiner Biophilosophie könne
man keinen Glauben schenken.

Die beiden Hauptbedenken aber lauten: I. R. nivelliere die Seinsstufen
, er leugne jede Diskontinuität und alles Transzendente: 2. sein