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Ausgabe:

1985

Spalte:

315-316

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Beyreuther, Erich

Titel/Untertitel:

Geschichte der Diakonie und Inneren Mission in der Neuzeit 1985

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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Seite 1

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315

Theologische Literaturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 4

316

Der Rez. wurde beim Vertiefen in diese Spiralphasen erinnert an
Yorick Spiegels Strukturierung des Trauerprozesses und an die Gliederung
von Elisabeth Kübler-Ross, die sie angesichts einer infausten
Diagnose bei Schwerkranken bzw. Sterbenden beobachtete. Sicherlich
haben solche Schemata auch ihre Grenzen. Behinderungs-,
Trauer- und Krankheitsbewältigungen können u. U. auch ganz anders
verlaufen. Dennoch ist es der Vfn. zu danken, daß sie den Lernprozeß
Krisenverarbeitung in dieser Acht-Phasenspirale veranschaulicht.
Nicht wenige Betroffene oder Betreuer und Begleiter von Behinderten
werden ihr diesen Prozeß- und Bewältigungsverlauf bestätigen.

Überhaupt: Daß die Vfn. die Begleitenden der Behinderten mit in
ihre Betrachtung aufgenommen hat, ist höchst anerkennenswert.
Denn oft sind nicht die Behinderten das Problem, sondern die Nichtbehinderten
werdenjhnen zum Problem. Hier sollte nicht nur in der
Gesellschaft, sondern auch in der Kirche der Lernprozeß, der im
„Jahr der Geschädigten" so verheißungsvoll begann, fortgesetzt werden
.

Aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang auch die Erfahrungen
, die Betroffene mit Kirche, Diakonie und Pfarrern gemacht
haben. Allzu oft erleben sie sich nur als Objekte, nur selten als Subjekte
. Auch Verkündigung als bloße Vertröstung wird kritisch hinterfragt
. Pfarrer werden bei Hausbesuchen „als amtlich bestellte Rollenträger
, aber nur selten als persönlich betroffene Mitleidende und Partner
" (S. 18) erlebt.

Trotz solcher negativer Erfahrungen mit Kirche und Pfarrern halten
jedoch Betroffene und begleitende Bezugspersonen an ihren Glaubenserfahrungen
fest. Gerade bei der Krisenverarbeitung kann der
Glaube eine als Katharsis erkannte Aggression (dritte Spiralphase)
auffangen in der Anklage und Klage vor Gott. Insofern befreit der
Glaube zum Dialog mit Gott.

Die Vfn. hat schließlich ihrem Buch, das vor allem durch die biographischen
Ausschnitte und die Wege zur Krisenbewältigung gewichtig
genug ist, einige grundsätzliche Erwägungen hinzugefügt:
„Theologisches zu Leiden und Leidcnsfähigkcit". Sie rezensiert
Bücher von Hans Küng (Gott und das Leid, 1967), Dorothee Solle
(Leiden, 1973), A. M. K. Müller (Vom Sinn des Leidens, 1974; Der
Sturz des Dogmas vom Täter, 1974) und Giesbert Grcshake (Der Preis
der Liebe, Besinnung über das Leid, 1978), um schließlich nach diesen
unterschiedlichen Entwürfen sich noch einmal selbst „Erwägungen
und Fragen an die Theologie" (S. 109 bis III) hinzugeben. Ein Nachwort
von Landesbischof Eduard Lohse, dem Ratsvorsitzenden der
EKD, schließt den Textteil ab. Dies sicherlich nicht zuletzt, weil die
Vfn. seit 1972 Synodale der Ev. Kirche in Deutschland ist und auch in
ökumenischen Gremien des Weltkirchenrates mitarbeitet.

F:s folgen dann Anmerkungen, ein Literaturverzeichnis und eine
m. W. einmalige umfassende „Bibliographie der Biographien und
Autobiographien zur Krisenverarbeitung von 1900 bis 1984 (Behinderungen
bzw. Lebensstörungen)" mit einer anschließenden „Gliederung
zur Bibliographie der Lebensgeschichten mit kurzen Annotationen
(1900-1984)".

Dieses Buch ist eine aufregende, anregende und an manchen Stellen
eine provozierende Lektüre. Es wirbt um den Abbau von Vorurteilen
gegenüber behinderten Menschen und um Verstehen für ihre spezifische
Situation, nicht zuletzt in der Kirchgemeinde. Und dennoch gilt
auch hier der Satz: Es gibt keinen Schicksalstausch, „Schicksalsahnung
" indes ist möglich, wenn wir uns nur darum ernsthaft bemühten
!

Leipzig Gottfried Krctzschmar

Be>reuther, Erich: Geschichte der Diakonie und Inneren Mission in
der Neuzeit. 3., erw. Aull. Berlin: Christlicher Zeitschriftenverlag
1983.298 S.8 Kart. DM 32,-.

Die 1. Aufl. dieses im diakonischen Raum dankbar aufgenommenen
Buches stellte K. Kupisch in der ThLZ 90, 1964 Sp. 934 vor. Für

die 3. Aufl. schrieb Bcyreutherdrei neue Kapitel, die den Umfang von
220 auf 298 S. erweiterten: Die Innere Mission nach dem zweiten
Weltkrieg; das Hilfswerk der Evang. Kirchen in Deutschland von
1945 bis 1957; das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in
Deutschland zwischen 1957 und 1982 und seine ökumenischen Dienste
. Die Geschichte des Diakonischen Werkes der Evang. Kirchen in
der DDR wird berücksichtigt. Das Buch ist einem breiten Leserkreis
verständlich und vermittelt einen anschaulichen Überblick. Die Anmerkungen
verweisen auf die einschlägigen Standardwerke und Spe-
zialliteratur, geben aber meist nicht die Primärquellen an.

E. W.

Praktische Theologie:
Katechetik/Religionspädagogik

Sanders, Willy, u. Klaus Wegenast [Hrsg.]: Erzählen für Kinder -
Erzählen von Gott. Begegnung zwischen Sprachwissenschaft und
Theologie. Stuttgarl-Berlin-Köln-Mainz: Kohlhammer 1983.
166 S. m. 3 Abb. kl. 8°. Kart. DM 20.-.

Wer nach der Lektüre dieses Buches Mut und Lust zum spontanen
Erzählen behält, der muß eine starke Erzählnatur sein. Dabei ist dies
Buch von Autoren verfaßt, die ein persönliches Interesse am Erzählen
, ja eine Liebe zum Erzählen erkennen lassen. Es handelt sich um
acht Professoren - zwei davon als Herausgeber-, einen Dozenten und
einen katholischen Laientheologen, die auf einem Symposion in Bern
über das Erzählen gesprochen und nachgedacht haben: Praktische
Theologen und Katcchctiker, Philologen und Linguisten. Die Herausgeber
schreiben sich im Vorwort selbst schon eine kleine Rezension
ihres Buches, indem sie die einzelnen Beiträge kurz und treffend skizzieren
. Und sie versprechen nicht zu viel, wenn sie hier einen
„Strauß" unterschiedlicher Beiträge in Aussicht stellen: Denn neben
dem strengen Textlinguisten wie Götz Wienold, dem Sprachsoziologen
wie Konrad Ehlich kommen auch die erfahrenen Praxisbeobachter
und -anreger wie Dietrich Steinwede oder Klaus Kanzog zu Wort,
ja mit Johann-Friedrich Konrad („Märchenneuerzählung als erotisches
Spiel") ein phantasievoller Liebhaber spielerischen Umgangs
mit sprachlichen Möglichkeiten.

Zwar ist der Titel des Buches etwas irreführend; denn das Erzählen
für Kinder oder gar das Erzählen von Gott ist Gegenstand oder Tcil-
thema nur weniger der vorliegenden Beiträge. Aber es wird klug und
kritisch über narrative Theologie informiert. Die sprachanalytische
Kritik an dem scheinbar refcrenz-losen Wort „Gott" und die Forderung
nach theologischer Elcmentarisierung werden jeweils mit dem
Erzählen in Beziehung gesetzt. Probleme biblischer Nacherzählung
werden nicht nur gezeigt, sondern Lösungsrichtungen angeboten -
„Entfalten" als „text-treues Erzählen" -. Geduldig führt uns der Linguist
, dem gleich fünfzig der 165 Seiten des Buches zur Verfügung
gestellt werden, in linguistische Aspekte des Erzählens ein und analysiert
auf seine Weise einige Erzähltexte - "Cat In The Rain" von
Ernest Hemingway wird als Originaltext in ganzem Wortlaut geboten
und auf seine Strukturierung durch Gliederungssignalc hin untersucht
. Interessant sind Beobachtungen darüber, wie zwischen alltäglichem
und literarischem Erzählen Beziehungen und Trennlinien verlaufen
. Ganz instruktiv ist die Analyse dreier Kinderfunk-Texte unter
den Stichworten „Normtraining und Normtrauma".

So enthält dies Buch also viele interessante Aspekte und anregende
Einzelheiten. Und trotzdem werde ich den Eindruck nicht los, daß
hier letztlich an der Sache vorbeigeredet wird, man könnte auch
sagen: daß hier aufweiten Strecken über die Sache geredet wird, aber
nicht zur Sache. Das mag zum Teil daran liegen, daß häufig mit dem
Gewicht des Fachprofessors Feststellungen über die Sprache und ihre
Phänomene gemacht werden, die mir nach meinem Sprachverständnis
nicht einleuchten wollen: Wenn z. B. der Linguist als Voraussetzung
für seine nachfolgenden Überlegungen Sätze als auswechselbar