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Ausgabe:

1985

Spalte:

307-311

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Titel/Untertitel:

Frieden als Bekenntnisfrage 1985

Rezensent:

Schulze, Rudolf

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307

Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 4

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Systematische Theologie: Ethik

Wischnath, Rolf [Hrsg.]: Frieden als Bekenntnisfrage. Zur Auseinandersetzung
um die Erklärung des Moderamens des Reformierten
Bundes „Das Bekenntnis zu Jesus Christus und die Friedensverantwortung
der Kirche". Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd
Mohn 1984. 554 S. gr. 8 Kart. DM 58,-.

Die Erklärung des Moderamens des Reformierten Bundes in der
Bundesrepublik Deutschland zur Friedensfrage vom Juni 1982 hat
mit ihren Thesen: ,,Die Friedensfrage ist eine Bekenntnisfrage. Durch
sie ist für uns der ,status confessionis' gegeben, weil es in der Stellung
zu den Massenvernichtungsmitteln um das Bekennen oder Verleugnen
des Evangeliums geht." „Den Massenvernichtungsmitteln gilt
von seiten der Christen ein aus dem Bekenntnis zu Gott dem Schöpfer,
Versöhner und Erlöser gesprochenes bedingungsloses ,Nein!', ein
,Nein ohne jedes Ja'" eine heftige Diskussion ausgelöst. Das angezeigte
Buch belegt dies mit der Wiedergabc von 29 Aufsätzen, Vorträgen
und Reden (Teil I/VIV S. 11-431) sowie mit 40 Dokumenten
(Anhang, S. 433-552). Herausgeber ist das bei der Erarbeitung der
Moderamenserklärung (= ME) für die Federführung verantwortlich
gewesene Mitglied des Moderamens, Pfarrer Dr. Rolf Wischnath,
Soest.

Die Auswahl der Beiträge greift auch Äußerungen auf, die in das
Vor- und Umfeld der Debatte vor der Veröffentlichung der ME gehören
(Teil I). Eine Anzahl von Beiträgen erscheint erstmals. Die Autoren
kommen mit Ausnahme von Philipp A. Potter, Hendrikus Berkhof
und Allan Boesak aus der BRD, zwei Autoren, Heino Falcke und
Joachim Garstecki, aus der DDR. Die wiedergegebenen Ausführungen
sind von unterschiedlicher Art und Qualität. Die Skala reicht vom
theologisch differenziert argumentierenden Aufsatz bis zu polemischer
aufrüttelnder Rede, von geduldiger Erörterung und Analyse
oder systematischen Thesen bis zur biblisch orientierten Ansprache.
Alle Beiträge nehmen eindeutig Stellung zur Friedensfrage und stehen
im ganzen positiv zur ME, richten jedoch auch zu einem kleinen Teil
kritische Fragen an sie. Die Dokumentation enthält im Unterschied
dazu auch grundsätzlich ablehnende Stellungnahmen zur ME.

Das Vorwort des Herausgebers bezeichnet den Band als „Arbeitsbuch
", das „eine Diskussion dokumentieren und in einem weiterhin
offenen Streit Position beziehen (will)" (S. 9). Die Zusammenstellung
leistet beides. Es muß aber wohl gefragt werden, ob es damit noch den
Anspruch rechtfertigt, ein „Arbeitsbuch" zu sein. Die klare Position,
die es bezieht, hat die Auswahl bestimmt. Zwar kommen die Aufsätze
„nicht nur von reformierten Theologen" (S. 9), aber es fehlen Darstellungen
von Gegenpositionen, die zur Aufarbeitung und zum Durchstehen
der „Auseinandersetzung" zu kennen nötig sind. Solche
Gegenpositionen werden allerdings häufig referiert und kommen auf
diese Weise zur Kenntnis des Lesers. Das darf in Rechnung gestellt
werden. Aber das Buch ist und bleibt entschieden in der Wahl seiner
Autoren und ihrer Positionen.

Am Anfang steht das Referat, das Philipp A. Potter am 6. 5. 81 in
Bad Boll gehalten hat: „Der prophetische Auftrag der Kirche". Der
damalige Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen setzt
ein mit dem Satz: „Mein Haupteindruck von der offiziellen Kirche in
diesem Lande ist der eines tiefen Mißtrauens gegenüber dem prophetischen
Amt der Kirchen und des Ökumenischen Rats. Warum ist das
so?" (S. 12). Seine Antwort lautet, daß „einer der Hauptgründe dafür
in der zentralen Stellung zu sehen ist, die der Zwei-Reiche-Lehre (in
diesem Land, R. S.) eingeräumt wird" (S. 14). Es folgen Entfaltungen
des Wesens und der Praxis des prophetischen Amtes. Am Ende
erscheint die Ansprache des Präsidenten des Reformierten Weltbundes
, Allan Boesak, vor der Vollversammlung des ORK in Vancouver
Juli 1983. Allan Boesak entwickelt das Thema der Vollversammlung
„Jesus Christus - Das Leben der Welt" intensiv auf biblischer Grundlage
. Er bringt seine Überzeugung zum Ausdruck, „daß die Friedensfrage
, wie sie sich uns heute stellt, im Zentrum des Evangeliums steht"
(S. 429). Das sind ökumenische Eckwerte.

Zwischen ihnen stehen in diesem wohlüberlegten Rahmen nach
Anlage und Titel bemerkenswert gegliedert die fünf Teilabschnitte der
wiedergegebenen Beiträge: Teil I „Das prophetische Zeugnis der
Kirche in der Gefahr der Anpassung", Autoren: Philipp A. Potter,
Hendrikus Berkhof, Karl-Heinz Dejung, Hans-Joachim Kraus; Teil II
„Die Gefährdung des Friedens als Herausforderung des Bekenntnisses
", Autoren: Hans-Joachim Kraus, Rolf Wischnath, Heinz
Eduard Tödt, Dieter Schellong, Helmut Gollwitzer; Teil III „Kirche
im Streit", Autoren: Erhard Eppler, Walter Kreck, Helmut Kern (Originalbeitrag
), Volkmar Deile (Erstdruck?), Helmut Gollwitzer (Originalbeitrag
); Teil IV „In statu confessionis", Autoren: Eberhard
Bethge, Ulrich Möller (Erstdruck oder Originalbeitrag?), Horsta
Krum (Originalbeitrag), Wolfgang Huber, Heino Falcke (Originalbeitrag
), Wolfgang Schweitzer, Walter Herrenbrück; Teil V „Die reformierten
Thesen - eine Provokation für Lutheraner?", Autoren: Ingo
Baldermann (Originalbeitrag), Helmut Gollwitzer (Originalbeitrag),
Hans-Richard Reuter, Ako Haarbeck (Originalbeitrag); Teil VI „Verpflichtungen
und Perspektiven", Autoren: Bertold Klappert, Walter
Kreck, Joachim Garstecki (Originalbeitrag?), Allan Boesak.
(Die Quellenangaben bei Deile, Möller, Garstecki sind nicht eindeutig
.)

Teil I bringt nach Philipp A. Potters Referat Hendrikus Berkhofs
Aufsatz „Das politische Zeugnis der Kirchen - zwischen Prophetie
und Weisheit" (S. 23ff). Er hebt auf die Theologische Erklärung von
Barmen ab und sagt: „Das politische Zeugnis der Kirchen ist, jedenfalls
in den evangelischen Kirchen, eine Neuerscheinung des 20. Jahrhunderts
. Als Anfangspunkt und oft auch als Inspirationsquelle kann
die Barmer Theologische Erklärung von 1934 angesehen werden . .."
(S. 23).

Die Barmer Erklärung und ähnliche Zeugnisse aus Hollands Besatzungszeit
können als „prophetisch" bezeichnet werden. Unter
„prophetisch" versteht Berkhof dabei „eine Aussage, die im Sinne der
alttestamentlichen Propheten den Willen Gottes für das menschliche
Leben und Zusammenleben zum Ausdruck bringt und zur rechten
Entscheidung aufruft. Eine solche Proklamation, auch wenn sie nicht
in Bibelzitate gefaßt, sondern als Anwendung des Wortes Gottes auf
die gegenwärtige Lage gemeint ist, wird von den Verfassern so sehr als
Wiederholung des Schriftzeugnisses betrachtet, daß sie zugleich als
nicht mehr diskutierbar gelten muß" (S. 23). Er referiert sodann
Geschichte und Inhalt aktueller synodaler Stellungnahmen seiner
Niederländisch Reformierten Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg.
Wichtig ist der „pastoralc Brief', der nach Auswertung von Gemeindediskussionen
Anfang 1981 herausgegeben wurde. Dieser (und die
ihm beigegebene „Erläuterung") spreche methodisch in einer „Verflechtung
der prophetischen und weisheitlichen Redeweise" (S. 25)-
prophetisch im Blick auf das Nein zum Einsatz von Atomwaffen,
weisheitlich zu dem Nein zu ihrem Besitz, und dies letztere, um zu
„kommunizieren, nicht zu exkommunizieren" (S. 26). Das weisheitliche
Nein diene der sachlichen Unterstreichung des prophetischen
Nein, „so daß beide verschmelzen" (S. 27). Anders stehe es mit der
Friedensdenkschrift der EKD von 1981, die „rein weisheitlich" sei.
um den Preis, „sehr allgemein (zu) bleiben" (S. 27). Die niederländischen
Denkschriften haben ihre vorwiegend prophetische Redeweise
„mit erhöhter Polarisierung bezahlen müssen" (S. 28). Berkhof fragt,
wann der „vermittelnden" Denkschrift der EKD „in nicht zu langer
Zeit ein prophetisch vorwärtsweisendes Wort folgen wird" (S. 28). -
Damit ist das Gencralthema des Buches konkret angeschlagen. Alle
zentralen Probleme der Auseinandersetzung um die ME - einschließlich
der Frage der Einheit der Kirche-werden schon hier thematisiert.
Sie werden in den folgenden Teilen durchbuchstabiert. Aus ihnen
sollen einige charakteristische Stimmen vorgestellt werden.

Teil II setzt ein mit der Stellungnahme von Hans-Joachim Kraus zu
den ersten Reaktionen auf die Veröffentlichung der ME vom Juli 1983
unter der Überschrift: „Atomare Massenvernichtungsmittel - Herausforderung
an die Kirche". Er stellt sich der Frage, „warum in den
Thesen des Moderamens des Reformierten Bundes die Friedensfragc