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Ausgabe:

1985

Spalte:

306

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Bayer, Oswald

Titel/Untertitel:

Aus Glauben leben 1985

Rezensent:

Petzold, Martin

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 4

306

Evangelium würde damit jedoch zum Gesetz und zur Moral umfunktioniert
(S. 325). Die kritischen Einwände treten indes zurück gegenüber
dem Ja dazu, die Zukunft als Wesensdimension des Glaubens
herauszuarbeiten. Hier liegt für den Vf. unzweifelhaft ein "Verdienst
Moltmanns vor, das nicht zuletzt auch für die katholische Theologie
Denkanstöße gegeben hat.

Sehr ausführlich werden zunächst die Konzeptionen Blochs und
Moltmanns vorgestellt, um dann Parallelen und Unterschiede im einzelnen
zu analysieren. Das Ergebnis lautet: Die Differenzen, ja Gegensätze
, machen es unmöglich, Moltmanns Theologie als ideologischen
Uberbau für ein philosophisches Fundament, wie Kritiker behaupten,
zu werten (S. 15).

Die Darstellung der Philosophie Blochs ist geleitet durch Blochs
Anliegen, das Christentum um seine Zukunftshoffnung zu beerben
und dieses damit allererst in seine - atheistisch zu verstehende -
Wahrheit zu führen (S. 52). Nach Bloch ist die jüdisch-christliche Tradition
durch den „Geist der Utopie", das „Prinzip Hoffnung" und das
..Reich ohne Gott" bestimmt (S. 26). Diesen Ideen wili Bloch das
ontologische Fundament geben. Dessen. Grundbegriffe sind: „Das
Nicht im Ursprung, das Noch-Nicht in der Geschichte, das Nichts
oder das Alles am Ende" (S. 30). Die These vom „Atheismus im
Christentum" belegt Bloch, indem er eine sich steigernde Tendenz der
Enttheokratisierung und Humanisierung in der biblischen Religion,
unter dem Symbol des Exodus verstanden, geltend macht: Es geht um
die Exodusgott statt des Schöpfergottes (Moses), um Ethik statt Kult
(Propheten) und um das Reich des Menschen statt einer caesarischen
Gottesvorstellung (Hiob). Jesus selbst hat diesen Prozeß radikalisicrt
und den Menschen in Gott eingesetzt (S. 68). Diese revolutionäre
Exoduslinie setzt sich in den Ketzerbewegungen der Kirchengeschichte
fort, um schließlich bei Marx auf den Begri IT gebracht zu werden
(S. 83). Aber der Hohlraum, den die Erledigung Gottes hinterläßt,
ist noch nicht abgegolten. Er ist „der riesige Topos der Offenheit nach
vorn" und als dieser wird er das Erbe des „homo absconditus" sein
(S. 97).

Dem entgegen insistiert Möllmann darauf, daß die christliche Hoffnung
konstitutiv an das Christusgeschehen, genauer: an die Auf-
erweckung des gekreuzigten Jesus gebunden ist (S. 239). Dieses
Christusgeschchen ist sowohl Verheißung als auch Erlösung. Es ist
..nicht nur Inauguration der Zukunft Gottes, sondern auch Inkarnation
dieser Zukunft ins Elend der Geschichte" (S. 142). Die Kritik am
Theismus wird damit zur eigensten Sache der Theologie. Aber sie
führt nicht zum Atheismus und darf nicht dahin führen, wenn anders
dem Leiden an der Inhumanität nicht der Boden entzogen werden
soll. Moltmann gibt Antwort, indem er eine trinitarische Kreuzestheologie
entwickelt. In ihr „sind Gott und Leiden nicht mehr Widersprüche
wie im Theismus und Atheismus, .sondern Gottes Sein ist im
Leiden, und das Leiden ist in Gottes Sein selbst, weil Gott Liebe ist'"
(Zitat. Der gekreuzigte Gott, S. 214. Matic, S. 217). Es ist „das
Geschehen der Liebe des Sohnes und des Schmerzes des Vaters, aus
dem der zukunftseröffnende, lebenschaffende Geist entspringt" (Der
gekreuzigte Gott. S. 234, Matic, S. 217). In dieses Geschehen, welches
einen eschatologischen Prozeß eröffnet, ist der Mensch aufgenommen
. Ihm wird ein neues Seinkönnen verheißen, was - in Erwartung
göttlicher Veränderung - einen Anspruch an ihn auf geschichtliche
Veränderung stellt (S. 239). Moltmann zeichnet Sein und Aufgabe
der Kirche in diesen Prozeß ein. Denn dem eschatologischen
Gottesverständnis entspricht allein ein eschatologisches Verständnis
des Menschen und der Gemeinde und eine emanzipatorische Praxis
der eschatologischen Hoffnung.

Die Darstellung der Theologie Moltmanns ist nicht so angelegt, daß
der Blick auf ihre inneren Spannungen gelenkt wird. Moltmanns
Theologie erscheint auch in ihrer Entwicklung eher als ein Ganzes.
Als dieses Ganze wird sie der Philosophie Blochs gegenübergestellt.
Ubereinstimmung und spezifischer Gegensatz kennzeichnen dieses
Gegenüber, dem der Vf. in einem dritten Teil gesondert nachgeht.

Die Gemeinsamkeit in der Ausrichtung auf die Zukunft und deren

Primat für das Verstehen der Wirklichkeit machen das Trennende
überaus deutlich. Denn im Gegensatz zu Bloch ist für Moltmann die
Zukunft nicht die Verlängerung der Gegenwart (futurum), sondern
etwas der Gegenwart gegenüber qualitativ Neues und mithin Transzendentes
(adventus). Verbindet beide Denker die Offenheit von
Mensch und Welt „nach vorn", so liegt das Trennende darin, daß das
„Prinzip Hoffnung" faktisch ein Bleiben in einem geschlossenen
System bedeutet. Wenn Bloch die Todesfrage aus dem Raum der
Hoffnung ausklammert, so zeigt dies das Fehlen echter Transzendenz
und das Verharren beim Verständnis der Zukunft als bloßem futurum
. Man könne aber, so Moltmann, von der „Heimat der Identität"
nicht reden, solange der Tod nicht in den Sieg verschlungen sei
(S. 290). Es bestehe sogar die Gefahr, daß die Treue zur Erde in
Lebensverweigerung umschlage. Ein weiterer fundamentaler Gegensatz
ist der, daß bei Bloch die Hoffnung Existential des Menschen ist
und infolgedessen der Lebensprozeß der Welt zu einem endlosen Prozeß
wird (S. 294). Dagegen behauptet Moltmann als Grund der Hoffnung
nicht die hoffende Unruhe des Menschen, sondern den Gott der
Hoffnung (S. 2960. Schließlich läßt Blochs atheistische Grundposition
auch am Verständnis des Menschen Jesus den Gegensatz aufbrechen
. Für Bloch ist Jesus nur als atheistischer Rebell begreifbar,
wohingegen es für Moltmann einfach unmöglich ist, Jesus ohne sein
besonderes Gottesverhältnis zu verstehen (S. 304). Die Kritik Blochs
an der Kirche, sofern sie Garant des Bestehenden ist, wird von Moltmann
übernommen. Doch es gibt bei Moltmann darüber hinaus auch
die Kritik an der Kirche von innen, von Jesus her (S. 311). Diese ruft
die Kirche zu ihrem Ursprung und zu ihrem Ziel, läßt sie stets neu
Kreuz-und Exodusgemeinde und in eins damit messianische Gemeinschaft
werden.

Der Vf. hat sich mit Moltmanns Anliegen identifiziert, die christliche
Hoffnung als resistent gegenüber der Bcerbung durch das „Prinzip
Hoffnung" zu erweisen. Dies geschieht indes nicht um purer
Abgrenzung willen sondern um das Überschießende und zutiefst
Evangelische der christlichen Hoffnung zu bewahren auch angesichts
vieler Gemeinsamkeiten. Das beiderseitige Bemühen um solche ist
der größere Rahmen, in welchen der Vf. seine Darlegung konkret
einzeichnet. Ihm ist damit eine gute und verständnisvolle Hinführung
zur Aufgabenstellung des Buches gelungen.

Greifswald Bernd Hildebrandt

Bayer, Oswald: Aus Glauben leben. Über Rechtfertigung und Heiligung
. Stuttgart: Calwer 1984. 80 S. 8" = Calwer Paperback. Kart.
DM 9.80.

Das immer wieder beschworene Thema der Rechtfertigung, das
aber demgegenüber viel zu wenig Wirkungen in unserer Theologie
hinterläßt, ist in diesem Traktat zur Mitte der Überlegungen gemacht
worden. O. Bayer versucht in sechs Kapiteln, die schwierigen Fragen
in allgemein verständlicher Form darzustellen. Dabei sind es nicht
nur im engeren Sinn theologische Überlegungen zur Rechtfertigung,
sondern der immer erneute Vorstoß, die nächsten Beziehungen in
theologischer und in ethischer Hinsicht zu durchdenken. So wird beispielsweise
zum Fortschrittsgedanken formuliert: „Als ethisches Fortschreiten
ist der Fortschritt, von der Heilsfrage entlastet, wirklich
weltlicher Fortschritt; er geschieht nicht im Namen des Absoluten
und Totalen, sondern in kleinen, gleichwohl bestimmten Schritten."
(60)- Die Grundzüge des Traktats gehen auf Vorlesungen in Bochum
zurück, die der Vf. 1974/75 gehalten hat.

M.P.