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Ausgabe:

1985

Spalte:

286-287

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Derrett, John Duncan M.

Titel/Untertitel:

The Anastasis 1985

Rezensent:

Haufe, Günter

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Seite 1, Seite 2

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285

Theologische Literaturzeitung 1 10. Jahrgang 1985 Nr. 4

286

P. hat sieh zur Gliederung des Stüdes für Längsschritte entschieden.
„Die vorliegende Darstellung versucht dagegen, das besondere theologische
Profil der einzelnen Schriften möglichst deutlich herauszuarbeiten
. Sie betont also gerade die Vielfalt der Ansätze und deren
Entfaltung im NT, ohne deshalb die Zusammenhange zu vernachlässigen
. Unterschiede und Gemeinsamkeiten sollen gleichermaßen
sichtbar werden" (S. I I f).

Im einzelnen werden folgende Themen besprochen: (1)' „Der
nachösterliche Neubeginn. Erste Glaubenszeugnissc für Christus". P.
setzt also mit dem „Kerygma" ein und führt alte Glaubens- und
Bekenntnisformeln. Hymnen sowie hermeneu tische Vorgaben aus
dem Alten Testament vor. Im nächsten Kapitel (2) „Die Rückfrage
nach dem irdischen Jesus" werden kurz und nicht voll befriedigend
die Motive dieser „Rückfrage" genannt und die ersten Stoffsammlungen
(vormarkinischc Sammlungen, vor allem aber die Rcdequelle)
vorgestellt. (Doch: Ist nicht Q, das vor der Botschaft Jesu genannt
wird, nicht schon ein Entwurf einer Jesustheologic? Hier erscheint es
unter dem formalen Gesichtspunkt der „Stoffsammlung".)

Es folgt ein Teil (3) unter dem Titel „Die Botschaft und die Praxis
Jesu", in dem - recht knapp - einige dominante Züge des Jesus-
Phänomens treffend erläutert werden. Merkwürdig und auch methodisch
nicht genügend abgesichert ist die Einbeziehung zweier
Komplexe in diesen Jesus-Teil, in denen überwiegend (nachösterliche
) Theologie zur Sprache kommt: „Das Abschiedsmahl und Jesu
eigenes Todesverständnis" (darunter „Das Abschiedsmahl und seine
Deutung") und zweitens „Deutungen des Todes Jesu". Diese Teile
hätten einsichtiger schon im I. Kapitel ihren Platz linden können.
Zieht man diese Darlegungen und die einleitenden über Johannes
d. T. ab. dann ergeben sich für die Erörterung der „Botschaft und
Praxis Jesu" genau 20 Seiten.

Es folgt (4) „Die Theologie der synoptischen Evangelien" mit
gelungener C harakterisierung der drei theologischen Entwürfe'. „Die
Theologie der johanneischen Schriften" beschließt die erste Themen-
Serie. Den vergleichsweise weitaus größten Umläng beansprucht (5)
„Die Theologie des Paulus" (S. 153-216). ein Kapitel, in dem alle
wichtigeren Themen paulinischer Theologie zur Sprache kommen
und auch etliche Einzeltexte näher kommentiert werden, und am
Ende noch auf das Verhältnis zwischen Paulus und Jesus kurz eingegangen
wird (S. 214-216). An dieser Stelle wird ein besonderer Einsatz
des Autors spürbar, der vielleicht pastorale Gründe hat (?). Unter
(6) „Theologie im Namen und Geist des Paulus" werden Charakteristika
von Kol und Eph. dann der Past und des I Petr vorgeführt. (Zu
IPetr seheint mir N. Brox in seinem Kommentar. EKK XXI. doch
eine präzisere theologische Konzeption als H. Goldstein, auf den sich
P- hauptsächlich stützen dürfte, gefunden zu haben.) Schließlich
werden gerafit noch (7) „Die Theologie des Hebräerbriefcs". (8) „Die
Theologie des Jakobusbriefcs" und (9) „Die Theologie der Offenbarung
des Johannes" behandelt.

Das Ganze kann durchaus überzeugen und als Einlösung des obengenannten
Programms gelten. Weiterführende Fragen haben sich mir
vorallcm in zwei Richtungen ergeben:

1. P. hat sich für eine stärker deskriptive als problemorientierte
Methode der Darbietung entschieden. Die einzelnen theologischen
Anschauungen, betont z. B. die christologischen Titel mit ihren
Bedeutungsgehalten, und die „Theologien" der neutestamentlichen
Schriften insgesamt werden beschreibend dargeboten, mit vielen
Stellenangaben und überhaupt anhand reichlich beigezogenen Stoffes.
Das ist hilfreich zur Information über den „Bestand" und vermag
auch einen Eindruck von der „Vielfalt" zu vermitteln. Doch erhält die
Darstellung dadurch etwas Flächenhaftes, und die einzelnen „Felder"
neutestamentlicher Entwürfe wirken auch weithin unverbunden
nebeneinander liegend. Religionsgeschichtliche Einwirkungen werden
nur rar einbezogen (vgl. S. 134f zur Gnosis), auch das Alte Testament
kommt wohl zu wenig als Wurzelboden neutestamentlicher
Anschauungen ins Licht. Nicht, daß es an entsprechenden Verweisen
fehlte! Aber oft wünschte man sich mehr Verständnishilfen dafür, wie

sich bestimmte Gedanken genetisch begreifen lassen (z. B. fundamental
schon für das. was „Auferstehung Jesu" meint), aus welchen
Problemstellungen sich Antworten ergaben (z. B. für das „Gesetz" bei
Paulus).

2. Hinsichtlich des theologischen „Ortes" der „Botschaft und Praxis
Jesu" scheint mir Unsicherheit und eine nicht scharf genug durchdachte
Konzeption vorzuliegen. AufS. 12 erklärt P.: „Zweifellos sind
die Botschaft und die Praxis Jesu der Ursprung und auch der bleibende
Maßstab des christlichen Glaubens und der christlichen Theologie
." Sollte dies auch heißen, daß Botschaft und Praxis Jesu den
bleibenden Maßstab schon neutestamentlicher Theologie(en) bilden?
So dürfte es kaum gemeint sein, wie die nachfolgenden Sätze verdeutlichen
. (Erst mit Tod und Auferstehung Jesu wird das christliche
Bekenntnis komplett.) Später wird im Vergleich zwischen Paulus und
Jesus zusammenfassend gesagt: „So ergibt sich, daß Paulus zwar die
Botschaft Jesu in der nachösterlichen Zeit und in einer veränderten
Umwelt neu und anders formuliert, daß seine Verkündigung aber im
wesentlichen mit dieser Botschaft übereinstimmt" (S. 216).

Trifft dies wirklich zu, daß Paulus Jesu Botschaft neu formuliert
habe, oder ist damit nur etwas ungeschützt ausgesprochen, daß beide
in wesentlichen Aussagen übereinstimmen? P. hat die „Botschaft
Jesu" so in seinen Aufriß einbezogen, daß sie als eine der neutestamentlichen
Verkündigungsgcstaltcn fungiert (zwischen den frühen
G7«i(/)c/i.vzeugnissen und den Synoptikern) und theologisch unter dem
Motiv der „Rückfrage" geortet wird. Erst durch die „Rückfrage"
kommt des Jesusphänomen in den Blick/

Jedenfalls wird nicht erkennbar, daß und wie von neutestamentlichen
Zeugen das Generalthema Jesu („Gottesherrschaft") aufgenommen
und fortgeführt worden sei - was zu zeigen m. E. durchaus
möglich und auch nötig ist (doch vgl. S. 261).

In seiner Zusammenfassung vergleicht P. die neutestamentlichen
Schriften mit einem vielstimmigen Chor, der aus einer Grundstimmc
erwachsen sei. Diese Grundstimmc wird definitionsartig und in paulinischer
Prägung so wiedergegeben: „Diese Grundstimme, gleichsam
der sich durchhaltende .cantus firmus'. ist das Grundbekenntnis, daß
Gott durch die Sendung seines Sohnes Jesus Christus und durch
dessen Tod und Auferstehung die Welt mit sich versöhnt hat. und
zwar unabhängig von allen menschlichen Vorleistungen, aus reiner
Gnade" (S. 259).

Leipzig Wollgang 1 rilling

1 Die Numerierung der Kapitel stammt vom RfiZ.

"' Vgl. zum Problem W. Trilling. in: Die Frage nach Jesus Christus im
ökumenischen Kontext, hrsg. von H. Kirchner. Berlin 1980.S. lOf.

Derrett, J. Duncan: The Anastasis: The Resurrection of Jesus Christ
as an Historical Event. Shipston-on-Stour Warwickshire: Drink-
water 1982. XIV. 166 S. 8 Kart. £ 5.-.

Der ungewöhnliche Titel läßt eine ungewöhnliche Themabehand-
lung erwarten, eine fundamentalistische oder eine rationalistische.
Tatsächlich erneuert der Vf.. der bisher vornehmlich durch rechts-
und religionsgeschichtlichc Arbeiten bekannt geworden ist. mit
modernen Argumenten die alte rationalistische Hypothese vom
Scheintod Jesu (Bahrdt, Vcnturini. Paulus): Jesus starb vorzeitig am
Kreuz und wurde - mit der Scitenwundc. aber ohne gebrochene
Schenkel - durch Joseph von Arimathia provisorisch in einem
bewachten Felsengrab beigesetzt, in dessen Eingang ein Stein gerollt
war (48); hier lebte er für kurze Zeit vom klinischen Tod wieder auf
(71.90). ließ durch einen Jüngling (Mk 16.5!) als ersten Zeugen
seiner Anastasis "(61) über die Frauen eine mehrdeutige, auf die
hebräische oder aramäische Wurzel von „Galiläa" (= Stein. Quelle)
bezogene Botschaft an seine Jünger ergehen (92). ging selbst zu ihnen
aß und trank mit ihnen, beauftragte sie unter Handauflcgung (96) und