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Ausgabe:

1985

Spalte:

284-286

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Porsch, Felix

Titel/Untertitel:

Viele Stimmen - ein Glaube 1985

Rezensent:

Trilling, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 1 10. Jahrgang 1985 Nr. 4

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jüdische Kommentator von Bibel und Talmud, sondern darf für sich
in Anspruch nehmen, der bis heute populärste unter den jüdischen
Exegeten des Mittelalters (geblieben) zu sein. Seine Kommentare zu
Bibel und Talmud erlangten so weite Anerkennung und Autorität,
daß sie seit jeher allen entsprechenden Ausgaben beigedruckt
werden.

Nun ist oft schon beobachtet und seit I. H. Weiss (Dar clor
wedorshaw, I-V, Wien 1871-91, IV, S. 324ff) auch stets neu hervorgehoben
worden, daß sich Rashis Talmudkommcntar und seine
Kommentare zu den biblischen Büchern in einem wesentlichen Punkt
voneinander unterscheiden, nämlich in der ihnen zugrundeliegenden
auslegenden Methodologie. In seinem Talmudkommentar erweist
sich Rashi als ein treuer Diener des Textes, dessen einziges Anliegen
es ist, den Text verstehbar zu machen; und gerade dies läßt übrigens
seinen Kommentar für das Lesen und Verstehen des Talmudtextes
oft unentbehrlich werden. Sicher zitiert Rashi hier und da auch einmal
andere Auslegungen, allerdings nur insoweit sie seinem Bemühen
um Vcrstehbarkcit des Textes entgegenzukommen geeignet sind. Auf
eine Auseinandersetzung mit ihnen verzichtet er ebenso wie weitestgehend
auch auf Bermerkungcn zur Begründung einer Deutung. Seine
Kommentare zu den Schriften der Bibel hingegen zeigen eine deutliche
Tendenz, gerade in der Auseinandersetzung mit der überlieferten
Auslegung, vor allem dem Derash bzw. Midrash, den „einfachen
Wortsinn", den Peshat herauszustellen und damit ein - sein - eigenes
hermeneutisches Konzept vorzutragen. Zudem war Rashi der erste
unter den dem aschkenasischen Judentum entstammenden Exegeten,
der in seinen Kommentaren der Philologie, die bislang zumeist nur
von dem im arabischsprachigen sephardischen Raum beheimateten
Exegeten gepflegt wurde, besondere Aufmerksamkeit schenkte,
worauf B. J. Gelles mit Recht hinweist (S. 26). Von Rashis philologischem
Interesse zeugt nicht zuletzt seine kritische Beschäftigung mit
Menachem ben Jaqob ben Saruqs (um 910 bis um 970) Machberel
(,,Wörterbuch") und Dunash ibn Labrats (um 920 bis um 980)
Teshuvot („Antworten", seil, auf Menachems „Wörterbuch")
(S. 91 ff). Insofern sind seine Bibelkommentare ebenso im Blick auf
ihren Inhalt wie unter methodologischem Gesichtspunkt aufschlußreich
.

Ist dies - wie bereits bemerkt - durchaus keine völlig neue Erkenntnis
, so ist dennoch eine eingehende Analyse der Rashis Exegese
zugrundeliegenden Methodologie, die für sich in Anspruch nehmen
kann, wirklich das gesamte relevante Material, also alle von Rashi
verfaßten Kommentare - bis auf Esra, Nehemia und Chronik I/II hat
Rashi bekanntlich alle biblischen Bücher kommentiert; die unter
seinem Namen überlieferten Kommentare zu den genannten vier
Büchern sind ihm fälschlicherweise zugeschrieben worden (S. IX und
138 0 - berücksichtigt und ausgewertet zu haben, bislang ein
Desideratum gewesen. Dieses Dcsideratum nun vorgelegt zu haben,
ist das Verdienst, das B. J. Gelles mit seinem hier anzuzeigenden
Buch, dessen ursprüngliche Fassung er 1974 an der Univcrsity of
London als Doktordissertation eingereicht hatte, zukommt.

Als Aufgabe hatte sich Vf. darin gestellt, "to describe and analyse
the developmcnt of the coneepts of Peshat (the piain sense) and
Derash (the non-plain sense) in Rashi's commentaries on the
Talmud and the Bible" (S. IX-X). Entstanden ist im Ergebnis dieser
Bemühungen nicht nur ein Buch, das Vf.s Vertrautheit mit den Schriften
Rashis und der exegetischen Traditionsliteratur insgesamt
bezeugt, sondern zugleich ein Buch, das ein sehr differenziertes Bild
von der Schriftauslegung des großen Exegeten. einschließlich ihrer
Voraussetzungen und Wirkungen, bietet. (Darin geht diese Arbeit
über Marianne Awerbuehs über weite Strecken parallel laufende
Untersuchungen in ihrem fast gleichzeitig erschienenen Buch „Christlich
-jüdische Begegnung im Zeitalter der Frühscholastik", München
1980 [= Abhandlungen zum christlich-jüdischen Dialog. Bd. 8].
S. 28-70.131-153, hinaus.)

B. J. Gelles beginnt seine Untersuchung mit einem Rückblick auf
"Peshat and Derash in the Talmudic Agc" (Kap. I, S. 1 -8). Während

das talmudischc Schrifttum durchaus Belege für das Vorhandensein
von und den Unterschied zwischen Derash (im Sinne von homiletical
sense) und Peshat (im Sinne von natural sense) aufweist, war es doch
erst Rashi, der - wie Vf. in Kap. II "Rashi - the Pathfinder of the
Concept of Peshat" (S. 9-27) zeigt - die "idea of a verse's own
(natural) sense . . . intoaconeept oflheplain sense" entwickelte, auch
wenn er dieses Konzept noch nicht abschließend zu definieren vermocht
hat, was sich auch in der durchaus nicht einheitlichen Terminologie
ausdrückt (S. 23), mit der sich Vf. in Kap. VII "Terminologi-
cal Diversity of Peshat and Derash" (S. 1 17-122) noch einmal befaßt.
Daß sich Rashi in seiner Methodologie nicht endgültig festgelegt hat.
zeigt besonders eindrücklich jenes verhältnismäßig häufige Nebeneinander
von Peshat und Derash, das Vf. in Kapp. III. IV und V "The
Dual Character of the Bible Commentary" (S. 28-33), "Partnership
of Peshat and Derash" (S. 34-88), und "The Complex NatureofDer-
ashim" (S. 89-1 13) untersucht. Anhand zahlreicher Belege weist Vf.
darin nach, daß Rashi wohl, wenn Peshat und Derash gleichermaßen
überliefert sind, er sich in seiner Auslegung zugunsten des ersteren
entscheidet (S. 41). Dies jedoch "does not automatically deprive the
Derashim quotet by Rashi of all exegetical value" (S. 65). In einem
Fall ist vielmehr das Gegenteil richtig; denn "Rashi wishes to uphoid
the authoritative halachic Midrash wherever possible" (S. 41.88). An
einigen Stellen ist die Wahl des Derash sogar mit "disregard of the
simple meaning" verbunden (S. 90); und gelegentlich werden Peshat
und Derash nicht einmal säuberlich voneinander unterschieden
(S. 1 19).

Erst Rashis Nachfolger, sein Enkel Shemuel ben Meir, genannt
Rashbam (um 1080-1 158). und dessen älterer Zeitgenosse Joseph ben
Shimon Qara (um 1060-1 130), mit denen sich Vf. in Kapp. VIII und
IX (S., 123-127.128-134) beschäftigt, haben Rashis Auslegungskonzept
endgültigen Ausdruck gegeben und dem Peshat zur normativen
Geltung verholfen. Dabei war Joseph Qara noch weitaus radikaler
im Blick aufdic Geltung des Peshat als Rashbam.

Zwei Appendices, "The Chronology of Rashi's Works"
(S. 136-143) und "Tablcs conceming Chapter II" (S. 144-155)
schließen Vf.s Untersuchungen ab. Den Band beschließen eine Biblio-
graphy (S. 1 56-1 59) sowie ausführliche Indiccs (S. 161-171).

Mit seinem differenzierten Bild von Rashis Schriftauslegung und
deren methodologischen Grundlagen hat Vf. einen gewichtigen Beitrag
zur Geschichte der Bibelexcgese geleistet, der in seiner umfassenden
Berücksichtigung und gründlichen Auswertung der Quellen für
weitere vergleichbare Untersuchungen beispielgebend sein dürfte.

Berlin Stefan Schreiner

Neues Testament

Porsch. Felix: Viele Stimmen - ein Glaube. Anlange, Entfaltung und
Grundzüge neutestamentlichcr Theologie. Kevelaer: Butzon &
Bercker; Stuttgart: Kath. Bibclwerk 1982. 284 S. 8" = Biblische
Basis Bücher, 7.

In der Serie der „Biblischen Basis-Bücher" liegt als Band 7 eine neu-
testamentlichc Theologie fürden „Niehtlächmann" (Rückentext) von
F. Porsch vor. Das Werk ist in einfacher und gut verständlicher
Sprache - ohne alle Anmerkungen - verfaßt, zeigt Vertrautheit mit
dem Diskussionsstand und gewinnt durch ein ausgewogenes, gleichwohl
immer kritisch fundiertes Urteil (vgl. etwa S.43f zur
„Q-Gcmcinde", S. 45-47 zum „Menschensohn", S. 232 zum Kolos-
serbrief: nichtpaulinisch). Dem Vf. gelingen viele glückliche Formulierungen
für komplizierte Fragen, gelegentlich sind aktuelle Hinweise
zur gegenwärtigen pasloralen Situation eingestreut. Wohltuend
wirkt die Vermeidung von Modernismen (vgl. Ausnahme bei IPetr
S. 2330- Drei Anhänge (Literatur-, ein knappes Namen- und Sachregister
, Bibclstellen) können für weitere Vertiefung dienlich sein.