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Ausgabe:

1985

Spalte:

269-270

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Titel/Untertitel:

Der Psalter 1985

Rezensent:

Schreyer-Kochmann, Brigitta

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269

Theologische Literaturzeitung 1 10. Jahrgang 1985 Nr. 4

270

Komm, zur Stelle spricht Stone einfach von einer graphisch bedingten Verderbung
des arm. o (n) zu s (u). was äußerlich durchaus naheliegt und nun arispagos
statt ariopagos ergäbe. Dieser singulären Korruption widerspricht aber das
altarmcnische yarispagasn von Apg 17.19 für epi ton Areion pagon (vgl. die altarmenische
Bibelausgabe von Zohrapcan. Venedig 1805. S. 739), wozu im
Apparat in der üblichen summarischen Weise des gelehrten Mechitharistcn
auch die Lesart yariopagosn aufgeführt wird. Der Dionysias ho Areopagiles aus
Apg 17.34 erscheint in der altarmenischen Version sowohl als clionesios ario-
spagae 'i die Zohrapcan-Ausgabe zur Stelle), aber auch als ariopagae'i, ari-
spagae'i und arispagac'in (vgl. ebd. im Apparat). Die Sankt-Peterburger Ausgabe
des altarmenischen NT von 1814 (im Rahmen der Russischen Bibelgesellschaft
) verzichtet auf die Varianten zugunsten des arispagae'i. Geht man der
Sache weiter nach. d. h. verfolgt man die fragliche Namensschreibung in den
zahllosen altarmenischen MSS des umstrittenen Corpus areopagiticum (zuerst
übersetzt von Stcp'anos.derals Bischofdcr Provinz Siwnik' im Jahre 735 starb),
so zeigt sich, daß die Schreibung clionesios arispagae'i zur Normalform geworden
ist (vgl. etwa die zahlreichen MSS des Corpus im Katalog des Jerewaner
Matenadaran). In dem klassischen altarmenisch-griechischen Wörterbuch der
venezianischen Mechilharisten ist unter der vox Areospagos verzeichnet:
..bedeutet übersetzt arlsi gif [Bezirk des Ares], siehe arispagos" (Nor bafgirk'
haykazean lezowi, 1. Venedig 1836, S.353). Und schließlich ist in den neuarmenischen
Bibclausgaben diese Variante die herrschende geblieben, vgl. etwa die
Ausgabe der arm. Vollbibel Smyrna 1853 in der Offizin William Griffith, das
1963 in Beirut durch The ff/W« Sociales in ihe Near Hast herausgebrachte NT,
die arm. Vollbibel Teheran 1967 und das 1975 in Edschmiatzin (Armenische
SSR) edierte NT zur Stelle. Auch die ausführlicheren neuarmenischen Wörterbücher
weisen arispag und arispagos als korrekte armenische Form für den
Artopag aus (vgl. etwa das Dcutscharmenischc Wörterbuch des Wiener Mechilharisten
Avedik Goilaw [Koylaw], Wien 1889, S. 113). Leider hat R. W.
Thomson zu dieser Frage in seinem Aufsatz The Armeniern Version ofPs. Dionysius
Areopagiia (in: Aarhus Armeniaca. Acta Jutlandica LVII Humanities
Scries 56, Aarhus 1982. S. 115-123) nichts bemerkt. So wird bereits durch ein
Beispiel deutlich, daß man es bei den arm. Onomastica Sacra mit bisher zum
großen Teil nicht aufgearbeiteten Fragen der Textübcrlicfcrung der altarmenischen
Bibel selber zu tun bekommen kann.

In einem kleinen Anhang folgen dann noch als Teil III altarmcnisch
mit englischer Übersetzung der Stammbaum der Noah-Söhne
(S. 224-226) und die Generationen Adams und ihre Jahreszahlen
(S. 228-241). eine Liste, die von Adam bis zu byzantinischen Herrschern
des 7. Jh. führt, zusammen mit einleitenden Bemerkungen und
Kommentaren. Während mit der kurzen Liste der Noah-Söhne weiteres
armenisches Material zu den syrischen Traditionen der Chronik
Michael des Syrers und der Schatzhöhle (ed. C. Bezold, Leipzig
1883-1886) geboten wird, stellt der Text der Generationen Adams
einen Ausschnitt aus MS Jerewan N" 8076 (Matenadaran) dar, der bisher
übersehen wurde.

Von nicht zu unterschätzendem Werl für die Erschließung dieses interessanten
Bandes, der vielgestaltige Arbeitsmaterial icn nicht nur für das Feld der Apokryphen
- und Pseudcpigraphenforschung liefert, ist der General Index
S. 269-277.

Halle (Saale) Hermann Goltz

Notker der Deutsche: Der Psalter. Psalm 1-50. CLIX, 180 S. 16 S.
Beilage: Fragmente. Kart. DM 62.-: Lw. DM 84-. Psalm 51-100.
hrsg. von P. W. Trax. VII. S. 180-368. Kart. DM64.-: Lw.
DM86.-. Psalm 101-150. die Cantica und die katechetischen
Texte. S. 369-608. Kart. DM 109,-. Tübingen: Niemeyer 1979/
81/83. gr. 8" = Altdeutsche Textbibliothek, 84, 91. 93. Die
Werke Notkers des Deutschen. Neue Ausgabe, 8,9, 10.

Die philologisch-theologische Arbeit, die Notker der Deutsche um
die Jahrtausendwende in St. Gallen leistete, bildete den Höhepunkt
aller frühmittelalterlichen Bemühungen um deutsche Glossierung
und Kommcnticrung lateinischer, vorwiegend biblischer Texte.
Notker bediente sich bei der Verdeutschung lateinischer Schriften, zu
denen auch die Psalmen gehörten, eines besonderen Verfahrens; er
lügte lateinischen Sätzen bzw. Satzteilen eine deutsche Ubersetzung
an, mit der er über die Erläuterung des Wortsinns hinausgclangte und
zur Exegese des Textes vorstieß.

Petrus W. Trax hat das lateinisch-deutsche Psalmenwerk Notkers
des Deutschen, in dem sich eine meisterhafte Gestaltung der deutschen
Sprache paart mit dem Aufschluß des christlichen Dogmas,
neu herausgegeben. Er knüpft an die Veröffentlichung dieser Schöpfung
Notkers an, die Edward H. Sehrt 1952 für die Altdeutsche Textbibliothek
besorgte, aber leider nicht vollendete. T. legt seiner
Neuausgabe, die in derselben Textreihe zwischen 1979 und 1983 dreibändig
erschienen ist, ebenfalls die Hs. R (CSg21) zugrunde. R ist
zwar eine späte Abschrift, aber die einzige Hs., die Notkers deutsche
Psalmcnübersetzung (einschl. Cantica und katechetische Stücke)
überliefert. Ihr Schreiber wirkte mehr als einhundert Jahre nach
Notkers Lebens- und Schaffenszeit, zwischen 1125 und 1150; er stand
daher nicht nur der Sprache Notkers fern, sondern besaß auch für die
Intentionen Notkers nicht mehr volles Verständnis.

Die Vorzüge der vorliegenden Neuausgabe von R ergeben sich aus
dem Vergleich mit der von Sehrt eingerichteten Publikation. Trax will
den Leser möglichst nahe an die Hs. R heranführen und bringt sie deshalb
seiten- und zeilengetreu zum Abdruck. Er vermittelt eine eindrucksvolle
Vorstellung von Form und Gliederung der Hs. und der
interlinearen Glossierung, ein Ergebnis seiner großen Vertrautheit mit
der Hs., die er während seines monatelangen Handschriftenstudiums
in St. Gallen gewonnen hat.

T. ist bemüht, bei seiner Veröffentlichung des Notkerschen Psalmenwerks
einen hohen Grad an Vollständigkeit zu erreichen. Er ergänzt
deshalb seine Ausgabe durch die Aufnahme aller erhaltenen
Fragmente, die er ebenfalls an ihrem jeweiligen Aufbewahrungsort
durchforscht hat. Als äußerst zweckmäßig erweist es sich, daß er
diese Fragmente parallel zu R hat drucken lassen. In Form von
Beiblättern finden sie sich in den Bänden 1 und 3 und ermöglichen
durch Anlegen an die jeweilige Textstellc den unmittelbaren Vergleich
mit R.

Der Textausgabe ist ein Einleitungskapitel vorangestellt, das neben
einem Verzeichnis aller überlieferten Hss. des Notkerschen Psalters,
ihrer Drucke und der dazugehörenden Rezensionen eine detaillierte
Beschreibung der Hs. R enthält. Sorgsame Durchprüfung der handschriftlichen
Überlieferung und souveräner Umgang mit der einschlägigen
Literatur setzen T. in die Lage, kodikologische und philologische
Probleme in minutiöser Weise zu erörtern. Große Beachtung
schenkt T. der deutschen Interlincarglossierung. die in R bis zum
Psalm 108 reicht. Sein besonderes Interesse richtet sich auf den Glossator
, doch wohl Notkers Schüler Ekkehard IV.. und dessen ganz persönliches
Verhältnis zur nicht mehr erhaltenen Hs. S. die wahrscheinlich
für die Auftraggeberin Kaiserin Gisela geschrieben worden war.

Hrsg. beschließt seine Ausgabe mit einem Register Notkerscher
Zitate, ilie vor allem aus der Bibel stammen, und mit einem Literaturverzeichnis
der bisherigen Wortschatzforschung zu Notkers Psalter
und zurGlossicrung. Von besonderem Wert ist das alphabetische Verzeichnis
althochdeutscher, lateinischer und neuhochdeutscher Wörter
und Begriffe, wobei jedem Stichwort die entsprechenden Forschungsarbeiten
zugeordnet werden. T. schafft nicht nur damit beste
Voraussetzungen für künftige Wortschatzuntersuchungen, sondern er
weist auch an den verschiedensten Stellen seiner Ausführungen auf so
manche ungelösten Probleme hin. die sich aus Notkers Psalmenwerk
selbst und aus seiner Weiterwirkung ergeben. Er lenkt das Augenmerk
u. a. auf die Möglichkeit einer Annäherung an den Archetypus, auf
Untersuchungen zum Verhältnis der Handschriften zueinander sowie
zu Ekkehards Leistung und seiner Lehrtätigkeit in Mainz.

Diese Neuausgabe des Notkerschen Psalmwerks, die mit einer aus
tiefem Verständnis und großer Besonnenheit erwachsenen Sorgfalt
hergestellt ist. bereichert nicht nur den Lektüreplan für den akademischen
Unterricht. Hrsg. eröffnet mit seiner Einführung in den gesamten
Problemkreis um Notkers Arbeit an den Psalmen und allen aufschlußreichen
Verzeichnissen auch der Notker-Forschung neue
Wege.

Halle (Saale) Brigitta Schreyer- Kochmann