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Ausgabe:

1985

Spalte:

260-261

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Was wird aus der Kirche? 1985

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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259

Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 4

260

ausgearbeitet, eine Neuorientierung im Verhältnis zu den anderen
Religionen gefordert und auf den engen Zusammenhang von Kultur
und Religion hingewiesen. Unter praktisch-theologischem Aspekt
(IX) steht im Mittelpunkt „Geschichte als Thema kirchlicher Praxis"
(677-681). In diesem Zusammenhang begegnet die These, „daß die
Kirchengeschichte nicht anders zu betreiben ist als die Geschichtswissenschaft
" (678). Man könnte fragen, ob ähnliches auch für das
letzte Teilthema (X. Geschichtsphilosophie) gilt. Dann gäbe es im
Grunde keine christliche Geschichtsphilosophie. Liest man daraufhin
die entsprechenden Ausführungen (681-698), dann fällt die Antwort
nicht leicht. Einerseits kommt in der Darstellung immer wieder das
Christentum mit seiner Geschichte zur Sprache, andererseits steht am
Ende der Hinweis auf die unausgleichbare Spannung zwischen Hegel
und Kierkegaard und daneben die sehr allgemeine Einsicht: „Was die
Geschichte uns vorgibt, sind aber meist nur Möglichkeiten. Welche
wir ergreifen, was wir aus ihr machen . . . steht doch wieder bei
uns"(694). So könnte geschichtsphilosophisches Denken einsetzen:
daß es im vorliegenden Fall auf diese Weise endet, ist die Grenze
dieser Ausführungen!

Von beachtlicher Ausführlichkeit ist auch der Artikel „Geist /
Heiliger Geist / Geistesgaben" (170-254). Das neutestamentliche
Material wird besonders gründlich aufbereitet (178-196). Als Ergebnis
wird u. a. festgehalten: „So ist das Ziel der Sendung des Geistes die
endgültige Verwandlung der Welt - und nicht das Bewußtsein des
Menschen" (195). Es verwundert nicht, daß andere Beiträge innerhalb
dieses Artikels sich an dieses Ergebnis nicht nahtlos anschließen. Das
gilt z. B. für den Schluß des dogmengeschichtlichen Teils („Damit
stellt sich seit Pietismus und Aufklärung die Aufgabe, das Dogma von
der Basis neuzeitlicher Subjektivität aus so zu interpretieren, daß sein
Gehalt mit der modernen Wirklichkeitserfahrung vermittelt werden
kann" [215]). Systematisch-theologisch begegnet dann wieder der Bezug
zur Welt, vorrangig aber doch der zur Kirche („Kirche als Geistgemeinschaft
") und zum Einzelnen. Ein Eingehen auf das Thema
„Neue Geisterfahrung" (Charismatische Bewegungen) erwartet man
herkömmlicherweise vor allem unter praktisch-theologischem
Aspekt; doch viel mehr als die Feststellung, die charismatische Be-
• wegung habe seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts der Pneu-
matologie neue Impulse gegeben, die theologisch ausgearbeitet
werden müssen (238), findet sich nicht. c

Trotz des Umfangs der beiden Artikel „Geschichte . . ." und
„Geist. . ." sind nicht alle thematisch zugehörigen Bezüge jeweils
innerhalb ihres Rahmens aufgenommen worden. So finden sich darüber
hinaus die Artikel „Geister" (254-259) und „Geisteswissenschaften
" (259-273) ebenso wie „Geschichte Israels" (698-740).
Artikel mit vergleichbarem Umfang wie „Geschichte Israels" sind
folgenden Themen gewidmet: Gebet, Gerechtigkeit, Gericht Gottes.
Die durchschnittliche Seitenzahl der übrigen Beiträge beträgt ca.
11 Seiten. Genannt seien noch diese: Galaterbrief, Gebetbücher,
Gebot, Geld, Gelübde (auf 16 Seiten beteiligen sich hier sechs Autoren
!), Gemeinde, Gemeinschaft, Gerontologie, Gesangbuch. U. a.
bekommen diese Personen einen selbständigen Artikel: Galilei;
Gallus, N.; Gansfort, W.; Geiger, A.; Geliert; Georg von Sachsen;
Gerhard, J.;Gerhardt, P.;Gerson.

Am Schluß jedes Bandes findet sich neben verschiedenen Registern
auch eine Liste von Corrigenda. Im Band XII wäre sie folgendermaßen
zu ergänzen: S. 681 u.: Lies Geschichtsphilosophie .. .

Die Literaturangaben sind in der TRE im allgemeinen sehr umfangreich
(vgl. nur „Geschichte Israels": 5 Seiten). Bei dem Artikel
„Gemeinde" (I. Christi. Gemeinde) fällt auf, daß im Text zwar W.
Krusche genannt wird, im Literaturverzeichnis aber Titel aus der
DDR fast völlig fehlen. Mit einer Ausnahme werden DDR-Autoren
nur genannt, wenn ihre Veröffentlichungen (auch) in der BRD
erschienen sind. - Der Gesamteindruck von Band XII bestätigt die
bisherige Einschätzung der TRE: Hier wird nicht nur Theologie
referiert, sondern theologische Arbeit getrieben und vorangebracht.
Leipzig Ernst-Heinz Amberg

Was wird aus der Kirche? Ergebnisse der zweiten EKD-Umfrage
über Kirchenmitgliedschafl. Hrsg. von J. Hanselmann, H. Hild,
E. Lohse. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1984.
264 S. 8-. Kart. DM 16,80.

„Wie stabil ist die Kirche?", fragte die erste, von Helmut Hild 1974
herausgegebene, 1972 durchgeführte Untersuchung zur Kirchenmitgliedschaft
der EKD angesichts einer bedenklich zunehmenden Zahl
von Kirchenaustritten. Die Ergebnisse der zehn Jahre später vorgenommenen
zweiten EKD-Untersuchung werden unter häufigem Vergleich
mit den Befunden von 1972 ausgewertet. Ein Hauptergebnis
war 1972/74 die „relative Stabilität" der Volkskirche, die sich in einer
unerwartet hohen allgemeinen Zustimmung zur Kirche äußerte.
Manche theologischen Kritiker fürchteten, der Befund könne dazu
verfuhren, den kirchlichen Status quo legitimiert zu sehen. Wer vom
Leitbild der ecclesia Semper reformanda ausgeht, konnte sich von der
Feststellung provoziert fühlen, daß die Erwartungen der evangelischen
Kirchenmitglieder „sich weitgehend am hergebrachten und
vertrauten Erscheinungsbild von Kirche" orientieren (19). Wer die
Aktivierung des allgemeinen Priestertums wünscht, nimmt mit gemischten
Gefühlen zur Kenntnis, daß der Pfarrer als der zentrale
Repräsentant von Kirche erscheint. Das wichtigste Ergebnis der Befragung
von 1972 besteht wohl darin, daß die hohe Bedeutung des
Lebenszyklus und damit der Amtshandlungen für die Verbundenheit
eines großen Teils der Mitglieder mit ihrer Kirche erkannt wurde. Im
übrigen bestätigen viele Details, was bekannt war und überall zu
beobachten ist: Die Kirchlichkeit nimmt mit steigendem Alter zu, ist
bei Frauen im Durchschnitt ausgeprägter als bei Männern, fällt mit
zunehmender Größe der Ortschaften ab usw.

„Was wird aus der Kirche?", fragte Werner Jetter in einer vielbeachteten
Publikation 1968. Bei dem Bemühen um notwendige
und mögliche Veränderungen berücksichtigte er die dafür erforderliche
Kontinuität. Indem die zweite EKD-Untersuchung Jetters
Buchtitel übernimmt, wollen die Herausgeber wohl ausdrücken, daß
sie die Befunde im Sinne dieser positiven Dialektik von Kontinuität
und Veränderung auswerten möchten.

In den Befunden überwiegt die Kontinuität, die auch für den methodischen
Ansatz gilt. Der Fragebogen wurde so überarbeitet, daß die
Ergebnisse vergleichbar bleiben. Die Analyse der Befunde wird durch
theoretische Überlegungen vorbereitet, in die Impulse von Ernst
Lange aufgenommen sind. „Gefordert ist eine Wahrnehmungs- und
Kommunikationsfähigkeit, die Zugänge nicht versperrt, sondern auf
die Offenheit und Bereitschaft der Mitglieder eingeht und zu neuen
Formen der Nähe, des Einverständnisses, der Erfahrung des Beteiligtseins
führt" (65). „Wie die Befragungsergebnisse zeigen, ist die Wirklichkeit
der Kirche vielfältiger, als daß sie eindeutig als .Krise"
beschrieben werden kann" (70). Gewehrt wird einer „Entlarvungspsychologie
" (71), die angesichts relativer Stabilität umso mehr den
inneren, lautlosen Abfall dramatisiert. Das Kernproblem besteht im
Verhältnis von Offenheil und Bestimmtheit. Das oft spannungsreiche
Nebeneinander verschiedener Mitgliedschaftsformen soll in einem
konziliaren Prozeß zum nach vorn offenen, lernbereiten Miteinander
werden.

Die graphisch übersichtlich dargestellten Daten machen es dem
Leser leicht, die ihn interessierenden Befunde wahrzunehmen. Einige
Ergebnisse seien herausgegriffen: 85% nennen die Taufe als unabdingbare
Voraussetzung zum Evangelisch-Sein. Die Interpretation
von Taufe und Konfirmation ist nach Meinung der Autoren „weitgehend
identisch mit der von der Kirche formulierten und gelehrten
Sinndeutung" (99). Dieses Urteil überrascht angesichts der häufigen
Klagen über Erwartungsdifferenzen zwischen Tauffamilien und Pfarrern
. Auch der Konfirmandenunterricht wird besser beurteilt, als
viele Klagen erwarten lassen: 72 % haben ihren Konfirmator in positiver
Erinnerung. Noch besser kommt der Pfarrer insgesamt weg: 85 %
haben, wie 1972, von ihm einen guten oder sehr guten Eindruck. Nur
4 % wünschen seinen Besuch nicht. Viel kritischer, wenn auch etwas