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Ausgabe:

1985

Spalte:

238-239

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Sautter, Gerhard

Titel/Untertitel:

Heilsgeschichte und Mission 1985

Rezensent:

Sautter, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 3

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rechtliche Konsequenzen erörtert. Zu den Gemeinden gehörten seit
1918 Gläubige, die sich für einen unabsehbar langen Zeitraum in
Deutschland aufhielten, nachdem sie ihre Heimat infolge Oktoberrevolution
. Bürger- und Interventionskrieges verlassen hatten. Die
damit verbundene problematische innere und äußere Situation
bestimmte die weitere Geschichte mit. Unterschiedliche politische
Einstellungen manifestierten sich in divergierenden Interpretationen
des Zeitgeschehens und insbesondere der Situation der russischen
Mutterkirche. Daraus resultierten kirchenrechtliche Entscheidungen,
die zur Spaltung innerhalb der Emigrantenkirche führten. Diese
wirkte sich jedoch bis 1933 nur in Berlin und Leipzig aus. Denn
sowohl evangelische Institutionen als auch staatliche Stellen übten
zunächst Zurückhaltung gegenüber dem von der seinerzeitigen
Karlovccr Synode eingesetzten, aber nur wenige Gemeinden repräsentierenden
Bischof, der seit 1926 in Berlin residierte und unrechtmäßig
weitergehende Führungsansprüche durchzusetzen versuchte.
Vtn. setzt sich auf der Basis des Quellenmaterials mit verkürzenden
Darstellungen jener Zusammenhänge, wie sie seither bei Vertretern
der verschiedenen Jurisdiktionen zu finden sind, kritisch auseinander.
Zur priesterlichen und seelsorgerlichen Tätigkeit werden Belege
beigebracht, die erkennen lassen, daß sich gemeindliches Wirken
stärker auf die Bindung der Gläubigen an die Traditionen der
russischen Mutterkirche konzentrierte und sich charitative Tätigkeit
der Gemeindeverbände oder neugegründeter kirchlicher Schwesternschaften
mit wenigen Ausnahmen auf Angehörige orthodoxen
Bekenntnisses russischer Nationalität beschränkte.

Der umfangreichste Abschnitt der Arbeit ist dem Zeitraum von
1933 bis 1945 gewidmet. Innerhalb dessen wird das Jahr 1938 als
Zäsur charakterisiert, die durch die politischen Gegebenheiten veranlaßt
ist. Bis 1938 setzten die faschistischen Machthaber durch entsprechende
Einflußnahme die .Gleichschaltungspolitik' auch gegenüber
der Russischen Orthodoxen Kirche durch. Die .Karlovccr
Richtung' erfuhr kontinuierliche Förderung, und nach Bildung der
Diözese des orthodoxen Bischofs von Berlin und Deutschland und
deren körperschaftlicher Anerkennung wurde auf andere Gruppierungen
massiver Druck ausgeübt, der zur allmählichen Unterordnung
aller Gemeinden unter jene Diözese führte. Exemplarisch wird die
Einmischung der faschistischen Machthaber in kirchliche Angelegenheiten
am Bau der 1938 eingeweihten Berliner Kathedrale vorgeführt,
die heule Bischofskirche des Exarchen des Moskauer Patriarchats lür
Berlin und Mitteleuropa ist. Die unmißverständlichen Aussagen
einiger Dokumente belegen nicht nur die faktische rechtliche Gleichstellung
russisch-orthodoxer Gemeinden mit anderen Konfessionen,
sondern auch deren Nutzung Für innen- und außenpolitische Propaganda
. Bis heute mancherorts nachwirkende besitzrechtliche
Probleme stehen damit in engem Zusammenhang.

Die Gemeinden waren in dieser Zeit - trotz innerkirchlicher Zerrissenheit
und politischer Drucksituation - um geistliche Erneuerung
und Intensivierung ihres Lebens bemüht und wuchsen zum Teil stark
an. Liturgische und theologische Bildungsarbeit wurde auch publizistisch
wirksam. Demgegenüber ist eine zunehmende F lexibilität in
der kirchlichen Lebensordnung als Konzession an die äußeren Bedingungen
zu werten. Denn auch als eine kanonische Bindung der
Gemeinden an die russische Mutterkirche nicht mehr bestand, orientierte
man sich bei der Gestaltung des gemeindlichen Lebens weiter an
deren Normen.

Von 1938 bis 1945 wurde durch die faschistische Okkupalionspoli-
tik wiederum die Organisation der orthodoxen Gemeinden verändert.
Unter Geistlichen und Gcmcindcglicdcrn läßt sich in jener Zeit ein
politischer Umdenkungsprozcß erkennen. Kontakte zu zwangsweise
internierten Arbeitskräften sowohl aus den in Frankreich angesiedelten
Emigrantenkreisen als auch aus den von Nazideutschland besetzten
Gebieten der Sowjetunion lührten zur Solidarisicrung mit jenen
und zu zunehmender Distanzierung von faschistischer Ideologie,
soweit nicht von Anfang an eine bewußt apolitische Haltung eingenommen
worden war. Einzelne Vertreter orthodoxer Gemeinden

werden auch mit ihrer aktiven Beteiligung am Widerstandskampf
namhaft gemacht.

Am Rande zeigt die Arbeit ferner unterschiedliche Akzente ökumenischer
Kontakte auf: Neben organisierten Hilfsaktionen entstanden
zwischengcmcindliche Beziehungen, und manche orthodoxen
Gemeinden waren bemüht, durch deutschsprachige Gottesdienste
wiederum Vertretern anderer christlicher Konfessionen den Zugang
zu erleichtern. Vereinzelt wurden während des zweiten Weltkrieges
auch ökumenische Gottesdienste gefeiert. Im Anhang werden seit
1919 in Deutschland tätige Geistliche, soweit erfaßbar, mit ihren
Wirkungsorten genannt.

Die vorliegende Dissertation erhellt ein Kapitel komplizierter
Geschichte russisch-orthodoxer Gemeinden in der deutschen Diaspora
. Sie ergänzt gleichzeitig Darstellungen des Kirchenkampfes in
Deutschland, in denen die Existenz der russisch-orthodoxen Minderheitskirche
bislang unberücksichtigt geblieben war. Insofern gehört sie
auch in das Kapitel jüngster Kirchcngcschichtc. Für speziell mit der
Problematik derbis heute anhaltenden schmerzlichen Spaltung innerhalb
der Russischen Orthodoxen Kirche Befaßten beziehungsweise
Betroffenen wird es von Gewinn sein, wenn die Arbeil in absehbarer
Zeit gedruckt vorliegt und das umfangreiche Quellenmaterial zugänglich
sein wird.

Sautter, Gerhard: Heilsgcschichtc und Mission. Zum Verständnis der
Heilsgcschichtc in der Missionstheologie. Am Beispiel der Wclt-
missionskonferenzen und der ökumenischen Weltkirchenkonferenzen
bis 1975 und der evangclikalen Erklärungen von Wheaton.
Frankfurt. Berlin und Lausanne. Mit einer biblischen Grundlegung
heilsgeschichtlichen Denkens. Tübingen 1984. 346 S.

In der Begründung der christlichen Mission spielt hcilsgcschichl-
liches Denken seit langem eine große Rolle. Die Arbeit zeigt auf,
welche Bedeutung dieses lür die Mission gehabt hat und welchen
Stellenwert es bis zur Gegenwart bei den Evangelikaien einnimmt.
Dabei wird deutlich, daß die Kontroversen über Grund und Ziel der
Mission eine ihrer wesentlichen Ursachen in einer verschiedenen
Interpretation der Heilsgeschichte haben.

Im ersten Teil der Arbeit wird der Frage nachgegangen, was unter
Heilsgeschichte überhaupt verstanden werden kann. Ein theologiegeschichtlicher
Rückblick liefert dafür die ersten Antworten. Es zeigt
sich, daß es mehrere heilsgeschichtliche Denkmodelle gibt, die sieh
zum Teil erheblich voneinander unterscheiden: Der Versuch einer
am Gesamtzeugnis der Bibel orientierten 1 leilsgeschichte, ihre spekulative
, apokalyptische, revolutionäre, entwicklungsphilosophische,
säkulare und universale Interpretation. Der theologiegeschichtliche
Rückblick liefert die Fragen für die biblische Rückfrage nach dem
Sinn heilsgeschichtlichen Denkens. Das Ergebnis ist eine in der
Gegenwart vertretbare Definition der in der Arbeit fortan so genannten
biblischen Heilsgeschichte.

Im zweiten '/'('//wird am Beispiel der Weltmissionskonfcrcnzen von
1910 bis 1958 und der Weltkirchenkonferenzen von Amsterdam und
Evanston untersucht, welchen Stellenwert die biblische Heilsge-
schichtc in der Mission eingenommen hat. Dabei zeigt sich ein schon
in Edinburgh 1910 vorhandener und später größer werdender Unterschied
zwischen einer entwicklungsphilosophi^ehen (bei vielen
Angelsachsen) und einer biblischen Interpretation der Heilsgcschichte
(G. Warneck. K. Hartenstein. W. Freytag).

Der drille Teilhat das neue, zum großen Teil universal zu nennende
Verständnis der Heilsgeschichte zum Gegenstand, das auf den Weltmissions
- und Wcltkirchcnkonfcrenzen zwischen 1961 und 1975
anzutreffen ist.

Der vierte Teil zeigt am Beispiel der Whcaton-Erklärung( 1966). der
Frankfurter Erklärung zur Grundlagenkrise der Mission (1970). der
Berliner Ökumene-Erklärung (1974) und des Internationalen
Kongresses für Wcltcvangelisation in Lausanne (1974) den Wider-