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Ausgabe:

1985

Spalte:

229-231

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Kommunikation zwischen Predigern und Hörern 1985

Rezensent:

Schröer, Henning

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229

Theologische Litcraturzcitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 3

230

Falle, die TZI durchaus positiv aufgenommen und mit einer Unmenge
sozialwissensehaftlicher Vokabeln und Teilkonzepte von
Habermas bis Berger und Luckmann, von Freud bis Lorenzer und von
Zerfaß bisZulehner amplifiziert wird.

Die Untersuchung hat drei Teile: L Grundlagentheoretische Untersuchungen
zum Wechselverhältnis von Tradition und Interaktion.
H. Das Prinzip der .thematisch-symbolischen Orientierung' und seine
Bedeutung für Theorie und Methode der Themenzentrierten Interaktion
(TZI), III. Die Themenzentrierte Interaktion als Modell einer
interaktiven Tradierung von Christentum. Ein praktisch-theologischer
Rekonstruktionsversuch. Funke gelangt mit Hilfe von TZI-
Kategoricn zu der Auffassung, „eine gelungene, weil symbolische
Tradierung von Christentum" lasse sich „als ein Thematisierungs-
prozeß beschreiben, bei dem die Abwehrtätigkeit des Alltagsbewußtseins
nicht zur Exkommunikation eines Inhalts aus dem Bewußtseinshorizont
führt, sondern zur Thematisierung, d. h. zu einer qualitativen
Erweiterung des vorhandenen Thema-Horizont-Schemas des Bewußtseins
" (198). Es komme darauf an, „Situationen und deren
Bedingungen zu benennen und zu deren Zustandekommen beizutragen
, die symbolische Interaktionsformen ermöglichen und so zu
einer Transformation der Bewußtseins- und Handlungsstrukturen
durch Thematisicrung der Gehalte der jüdisch-christlichen Tradition
führen" (199). Gegen Ende des zweiten Teils fragt der Autor: „Kann
TZI ein Modell thematisch-symbolischer Orientierung sein?" (338)
und er meint, die Frage bejahen zu können, wenn die TZI-Theorie
..um jene Bezugstheorien" erweitert werde, „die den Thematisie-
rungsvorgang unter interaktionistischem, gescllschaftstheoretischem
und phänomenologischem Gesichtspunkt zu begreifen suchen". Der
Vf. gelangt dann zu einer Unterscheidung von symbolzentrierter und
themenzentrierter Interaktion, die in der Praxis freilich nicht zu
trennen seien, und möchte auf diese Weise den theologischen Über-
lieferungsprozcß „von Christentum" „in einer doppelten Weise"
begreifen.

Ist geglückt, was der Vf. zu Beginn als Arbeitsziel angibt, nämlich
..die spezifische Idee von TZI.. . . das Wechselverhältnis von Thema
und Interaktion, zu einer eigenständigen praktisch-theologischen
Theorie und Methode bestimmter Praxisfeldcr fortzuentwickeln" (9)?
In gewisser Hinsicht läßt sich diese Frage positiv beantworten.

Schade, daß die Fülle des ungebändigten Materials, der pseudowissenschaftliche
Jargon und ein immer wieder durchscheinendes
moralistisches Weltverbesserungspathos viele gute Einzelbcobach-
tungen (z. B. über Thematisierungen im Dienste der Abwehr), differenzierte
Analysen und durchaus brauchbare fundamental-theologische
Ansätze fast verschwinden lassen! Vielleicht hätte der Doktorvater
, statt ein Vorwort zu schreiben, diese Arbeit auf das Wesentliche
kürzen lassen sollen. Dann wäre evtl. ein lesbares, bescheidenes und
menschliches Buch herausgekommen. So jedoch bleibt angesichts
vorgeführter christlicher Sterilität und angsterzeugendem Riesenanspruch
nur die Zuflucht zu Goethes freundlich-verführerischem
Mephistopheles:

„Grau, teurer Freund, ist alle Theorie

und grün des Lebens goldner Baum."

Marburg(Lahn) Dietrich Stollberg/Robert Eidam

Praktische Theologie: Homiletik

Predigen und Hören. Ergebnisse einer Gottesdienstbefragung. 2:
Kommunikation zwischen Predigern und Hörern. Sozialwissenschaftliche
Untersuchungen. Von K.-F. Daibcr u.a. München:
Kaiser 1983. 381 S. 8 Kart. DM 54,-.

1980 erschien Bd I dieser auf drei Bände angelegten Dokumentation
und Auswertung einer Gottesdienstbefragung - rezensiert von

mir in der ThLZ 107, 1982 Sp. 69-71 -.jetzt liegt der umfangreiche
Band II vor, der das Theoricmodcll der Untersuchung vorstellt. 6 000
Gottesdienstbesucher hatten an der 1976 stattgefundenen Befragung
mit standardisierten Fragebogen teilgenommen. Bd I brachte einen
ersten Auswertungsschritt mit interessanten Ergebnissen. Bei dem
Bemühen festzustellen, ob Verständnis der Predigt bei Prediger und
Hörer übereinstimmen, ergab sich, daß Predigt generell als die Möglichkeit
zu individueller Glaubens- und Lebenshilfe verstanden wird.
Prediger betonten dabei mehr die Lehrfunktion, während die Hörer
stärker die Trostfunktion ansprachen. Bemerkenswert war. daß die
Experteneinschätzung wesentlich kritischer war als die der Hörer:
„Auch die durchschnittliche Predigt wird vom Hörer eher als gute
Predigt wahrgenommen." Dabei wurde allerdings mit Recht schon
bemerkt, daß die Predigthörer sich der Kirche in der Mehrzahl stark
verbunden fühlen und daher möglicherweise die Wertschätzung der
Predigt einer allgemeinen Wertschätzung der Kirche entspricht. Predigt
könnte als bestätigendes, wenn auch interpretierbares Ritual
erlebt werden. Diese Fragen bedürften der weiteren Aufklärung,
zumal es verhängnisvoll wäre, wenn bei den Homiletikern Predigtskeptizismus
herrschte, die Gemeinden aber wesentlich positivere
Einschätzungen hätten.

Band II mutet dem Leser einiges zu, die ganze Rüstung sozial-
wissenschaftlicher Untersuchung wird ausgepackt. Aber es ist notwendig
, daß der theoretische Bezugsrahmen deutlich expliziert wird.
Das geschieht im ersten Teil (14-97). Eigentlich ist dies mehr als nur
eine Verständigung überdie Hypothesen der Untersuchung; es ist eine
Abhandlung über die Möglichkeiten sozialwissenschaftlicher Untersuchung
von Predigtwirkung geworden, weil auch die in der Untersuchung
nicht genutzten alternativen Wege erörtert werden. Wir
haben hier eine beachtliche Einführung in die pastoralsoziologische
Betrachtung der Predigt. Predigt erscheint zu Recht als ein Vorgang in
der Institution Gottesdienst. Ihr Ritualcharakter wird damit entschlossen
thematisiert, während bisher ja eher die Predigt als freie
Rede ohne Berücksichtigung des ritualisierten Kontextes angesehen
wurde. Damit wird zugleich das Sozialsystem Kirche angesprochen.
Wesentlich ist es, die Predigt als Interaktion zu verstehen, obwohl die
Kommunikation im wesentlichen cinbahnig verläuft. Präzis wird
über die Entwicklung der Massenkommunikationsforschung informiert
und die Anwendbarkeit auf die Predigt erörtert. Schon hier wird
deutlich, daß die VIT. dem symbolischen Interaktionismus nahestehen
, indem sie das Hören als interpretierende Auswahlleistung verstehen
, aber den Fehler der Konsistenztheorie vermeiden, die Rezeption
nur davon abzuleiten, daß jemand sich Widersprüche möglichst
ersparen möchte. Damit wird zu Recht die sicher dominante Stabili-
sicrungsfunktion von Predigt aufgelockert. Handeln, Identität und
perzipierende Interpretation sind die Richtpunkte der die Untersuchung
leitenden Theorie. Besonders der letzte Gesichtspunkt, den
Vorgang des Hörens als Interpretation aufzufassen, also Rezeptionshermeneutik
zu betreiben - man vergleiche die Entsprechungen zur
Rezeptionsästhetik - verdient Aufmerksamkeit.

Freilich ist es schwierig, solche Verstehensprozesse wissenschaftlich
zu erfassen. Die VIT. haben sich an die Sprechakttheorie gehalten,
deren Entwicklung überblicksartig aber fundiert referiert wird. Aber
wird auch die Rezeption in der Homiletik einschließlich der Einwände
gegen ihre Anwendung (z. B. Düsterfeld) prägnant deutlich?
Die Vff. folgen am stärksten der Typologie von Habermas. Dieses universale
Sprechaktmodell muß nun natürlich auf die Kontextbedingungen
und die religiöse Auslegung hin entwickelt werden, also empirische
Partikularität und damit auch Theologie in sich aufnehmen.
An dieser Stelle wird die Untersuchung schwächer. Es wird zwischen
offenbarungstheologischem Modell, dem Modell rationaler Argumentation
und dem Modell der religiösen Erfahrung unterschieden.
Das hätte man auch ohne die sozialwissenschaftlichen Zugänge tun
können. Es bleibt das Problem, wie sozialwissenschaftliche Analyse
mit wissenschaftlichem Anspruch und das Medium Sprache aus Interaktionsvorgängen
theologisch relevante Ergebnisse erzielen kann.