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Ausgabe:

1985

Spalte:

226-227

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Fischer, Johannes

Titel/Untertitel:

Handeln als Grundbegriff christlicher Ethik 1985

Rezensent:

Wiebering, Joachim

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Theologische Lilcraturzcitung 1 10. Jahrgang 1985 Nr. 3

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Skural. Konstantin EL: Ohne rechtschaffene Frucht der Reue keine Umkehr
zuGott(SOrth 1984, H. 7 S. 22-24).

Thomas. Bernhard: Das Abendmuhl als ekklesiologisches Modell (PTh 73.
1984 S. 148-155).

Weger, Karl-Heinz: Wege zum theologischen Denken. Wie kann man
Glauhensaussagen aus Erfahrung klären? Freiburg-Bascl-Wien: Herder 1984.
126 S. kl. 8- = Hcrderbücherci,970. Kart. DM 7,90.

Zimany. Rolund: Perspcktives from Jüngel's theology (CThMill. 1984
S. 154-167).

Systematische Theologie: Ethik

Turner, Franz: Was Ethik begründet. Deontologic oder Teleologie -
Hintergrund und Tragweite einer moral-theologischcn Auseinandersetzung
. Zürich-Einsiedeln-Köln: Benziger 1984. 116 S. 8'.
Kart. DM 38,-.

Die Studie des Luzcrncr Moralthcologen Furger ist ein programmatischer
Beitrag zum derzeitigen aktuellen Grundlagenstrcit in der
katholischen Moralthcologic. Der Moralpositivismus traditioneller
katholischer Moralthcologic mit seinem Rigorismus wie mit seiner
Methode der Kasuistik ist in eine Krise geraten. Die traditionelle
Morallchre ging von einem festen, systematischen Normensystem aus
und legte dieses deduktiv auf die Einzelfalle hin aus. An die Stelle
dieser juridisch auslegbaren Gebotsethik tritt heute eine an der Verwirklichung
des Menschlichen orientierte „teleologische", zielgerichtete
Ethik. Furgers Schrift besteht aus 2 Teilen. Der 1. Teil „Begründen
Pflichtbewußtsein oder Zweckmäßigkeitsübcrlegung die Ethik?"
(S. 9-57) befaßt sich mit den theoretischen Aspekten der Thematik.
Der 2. Teil „Bewährung des teleologischen Ansatzes an aktuellen
Problemstellungen" (S. 59-105) führt an vier konkreten Fragestellungen
vor, welche praktische Konsequenzen dieser methodische Ansatz
haben kann.

In der theoretischen Grundlegung ist davon auszugchen, daß die
traditionelle katholische Morallchre zwar auch nicht ausschließlich
auf Pflichten sich berufen hat. sondern die Klugheit als Maßstab mitberücksichtigte
. Es gab also schon immer restriktive Auslegungen,
Ermäßigungen deontologischer Normen, um ethische Konflikte lösen
zu können. Aber dieser deontologischc Ansatz hat einerseits wegen
seiner starren Rigorosität, andererseits wegen seiner kasuistischen
Auslegung seine Überzeugungskraft verloren. Nimmt man Max
Webers - strittige - Entgegensetzung von Verantwortungs- und Gesinnungsethik
hinzu (vgl. S. 13). so liegt die Aktualität dieser Schrift auf
der Hand. Furgers Beitrag besteht zunächst einmal darin, daß er die
Begriffe und Ansätze von Deontologic und Teleologie sorglältig und
differenziert darstellt und klärt und ihre Argumentation vorführt. Bei
der Untersuchung von „Deontologic und Pflichtcthik" (S. I5ff) sind
zwei Grundformen deontologischer Argumentation zu unterscheiden,
nämlich einmal die der neuscholastischen Ethik des 19. Jahrhunderts,
welche die Pflicht naturrechtlich aus einer „aufgegebenen, unwandelbaren
Wesensordnung" herleitet, freilich mit Hilfe von Argumenta-
tionsliguren wie Probabilismus, actus duplicis effectus. direkte und
indirekte Handlung, allzu rigoros wirkende Normen ermäßigt, und
zum anderen Kants transzendentale Begründung des Pflichtethos, mit
der Verwerfung aller Heteronomic. Deontologic ist also keineswegs
ein einheitlicher Ansatz. Dies gilt noch stärker für die Alternative:
„Teleologie: Eudaimoismus, Utilitarismus oder Vcrantwortungs-
ethik?" (S. 25ff). Die Kritik deontologisch argumentierender Ethiken
setzt Teleologie gelegentlich mit Hedonismus (Lustgewinn) gleich
oder beächtet nicht die bereits weitverbreitete Unterscheidung von
Handlungs- und Rcgclutilitarismus. Teleologie ist auch nicht gleichzusetzen
mit Wohlfahrtsbilanzierung, also mit einem Nutzenkalkül
(S. 300. Ein modifizierter teleologischer Ansatz hat sich in der angelsächsischen
Diskussion de facto bereits „Deontologicn milderer Art"
angenähert (S. 32IT). Diese methodische Argumentation eröffnet
einen Ausweg aus der Krise deontologischer Ncuscholastik (S. 35tT).

anders als eine bloße Situationsethik, die lediglich Ausdruck der Krise
ist. Ethik hat das Telos der Menschlichkeit als Verwirklichungs- und
Handlungsziel in konkreten Sachfragen zu suchen und argumentativ
zu begründen. Die neueren „teleologischen Versuche" (S. 4011) sind
keine Entwürfe eines utilitaristisch ausgerichteten Konsequcntialis-
mus oder gar der von Hybris gezeichnete Versuch einer „universal-
teleologischcn Ethik" (so die polemische C harakterisierung durch
R. Spaemann), sondern ein Bemühen um eine auf Wertsetzung beruhende
Teleologie. Furger betont nachdrücklich: „Daß eine Univcrsal-
teleologie ohne jedes festes Telos in die Sinnlosigkeit ethischer
Beliebigkeit fällt, steht außer Zweifel" (S. 57). Das Ergebnis:
„Deontologischc Teleologie - Versuch einer Synthese" (S. 49IT) faßt
den Argumentationsgang zusammen: Dcontologie und Teleologie
sind bei einer plausiblen ethischen Argumentation keine absoluten
Gegensätze, sondern bedürfen einer sinnvollen Zuordnung, in
welcher Wertcntscheidungen, höchste sittliche Grundsätze deontologisch
. die Anwendung dieser Grundsätze auf konkrete Situationen
hingegen teleologisch legitimiert werden. Die in sich schlüssige
Grundlegung wird sodann im 2. Teil auf aktuelle Fragen appliziert.
Dabei gellt es zunächst um „die Verkündigung christlicher Freiheit in
einer pluralistischen Gesellschaft" (S. 61 IT). Furger plädiert, wie die
Denkschriften der EKD, für einen Dialog mit Argumenten, statt für
die autoritative Gehorsamsforderung aufgrund formaler lehramt-
lichcr Kompetenz. Sodann wird im Beitrag „Sicherung von Ethos -
durch Gewissensbildung oder durch staatliches Gesetz?" (S. 7611") der
Kirche empfohlen, möglichst weitgehend auf die Beanspruchung des
bracchium saeculare staatlicher Strafgcwalt und Gesetzgebung zur
Durchsetzung ihrer Wertvorstellungen zu verzichten und darum
zwischen Recht und Sittlichkeit zu unterscheiden. Der dritte Beitrag
„Wie erhalten ethische Grundsätze Relevanz lür die wissenschaftliche
Forschung?" (S. 86IT) prüft Möglichkeiten. Richtlinien und Konventionen
für ethische Selbstbindung (z. B. in der Genforschung) zu
finden. Der bloße Appell an das individuelle Gewissen des Forschers
ist unzureichend, ein gesetzlicher Zwang oftmals unangemessen.
Daher empfiehlt sich eine Ethik der Verantwortung, der sich die
scientific Community verpflichtet. Der letzte Beitrag „Der wissenschaftliche
Tierversuch im Licht einer christlichen Ethik" (S. 97IT)
geht darauf noch näher anhand eines besonders strittigen und aktuellen
Problems ein. Dabei gilt es, die „Mitgeschöpflichkeit" des Tieres
(S. 101) zu beachten, welche bei einer Güterabwägung mit zu veranschlagen
ist.

Insgesamt sind die Vorschläge anregend und plausibel. Ob freilich
die Ausrichtung der Ethik am „Telos der umfassenden Liebe"
(s. S. 66, ähnlich S. 78, 92, 99) nicht noch zu unbestimmt ist und
damit zu formal bleibt, wäre zu diskutieren. Auch Gerechtigkeit.
Fairness können doch ein eigenes Telos setzen. Und das Liebcsgebol
als Telos seinerseits müßte noch in einzelne Kriterien der Menschlichkeit
und Mitmenschlichkeit ausdilTerenzicrt werden, an denen
sich Humanität messen lassen müßte, damit das Telos der Liebe nicht
zu einer inhaltslosen Leerformel wird. Furgers Überlegungen sind in
der Tat kein bloßer Beitrag zum abstrakten Gelehrtenstreit, sondern
ein cindrücklichcs und beachtenswertes Dokument des gegenwärtigen
Neuansatzes innerhalb der katholischen Moralthcologic und können
deshalb auch von der evangelischen Ethik aufmerksame und zustimmende
Beachtung fordern.

Bonn Martin Honecker

Fischer, Johannes: Handeln als Grundbegriff christlicher Ethik. Zur

Differenz von Ethik und Moral Zürich: Theologischer Verlag
1983. 72 S. 8" = Theologische Studien, 127. Kart.sfr 14.-.

Das ist eine kluge und gedanklich komprimierte Studie zur Auseinandersetzung
über die unterschiedlichen Konzeptionen christlicher
Ethik. Als Ausgangspunkt wählt der Vf. den Begriff des Handelns, um
zu zeigen, „daß philosophische und theologische Ethik auf dieselbe