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Ausgabe:

1985

Spalte:

219-221

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Reventlow, Henning

Titel/Untertitel:

Hauptprobleme der biblischen Theologie im 20. Jahrhundert 1985

Rezensent:

Wagner, Siegfried

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219

Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 3

220

Biblische Theologie

Reventlow, Henning Graf: Hauptprobleme der Biblischen Theologie
im 20. Jahrhundert. Darmstadt'. Wissenschaftliche Buchgesellschaft
1983. VIII, 172 S. 8° = Erträge der Forschung, 203. Kart.
DM 37,50.

Bei dem Stichwort .Biblische Theologie' denkt man heute sehr
schnell an die intensiv geführte Diskussion um die Frage nach der
Zusammengehörigkeit der beiden Testamente, die mit den Namen
von H. Gese, P. Stuhlmacher, H. J. Kraus, E. Grässer, O. Merk,
H. Hübner, H. H. Schmid, K. Haacker, U. Luck und vielen anderen
mehr verbunden ist, und übersieht dabei, daß diese Diskussion in den
letzten 50 Jahren in einem sehr viel breiteren Bezugsfeld theologischen
Nachdenkens über das Verhältnis der beiden Testamente zueinander
steht und von dorther erst verständlich wird. Das Verdienst,
sehr eindrücklich darauf aufmerksam gemacht zu haben, gebührt
H. Graf Reventlow, der seinem Übersichtsband über die Hauptprobleme
der alttestamentlichen Theologie im 20. Jahrhundert' (1982)
sehr schnell einen weiteren über die .Hauptprobleme der Biblischen
Theologie im 20. Jahrhundert' (1983) folgen ließ. Wer beide Bücher
nebeneinander sieht, wird bemerken, daß es sehr schwer ist, die
.Themen' gesondert zu behandeln. Die Übergänge sind mitunter
fließend, und Überschneidungen sind gar nicht zu vermeiden. Es ist R.
trotzdem gelungen, die Themenbereiche für den Zweck der Darstellung
sachlich einigermaßen einleuchtend auseinanderzuhalten.
Richtig ist wohl auch, daß der Radius grundsätzlich weiter gezogen
wird, als zu erwarten gewesen wäre. Die Auseinandersetzung ist ausgesprochenermaßen
kontrovers. Vorgelegte Konzepte und Detailstudien
haben heftige Kritik erfahren, die ganz bestimmt ihre Berechtigung
hat, und eine ,Biblische Theologie' ist im erstrebten Sinne bis
jetzt noch nicht vorgelegt worden. Es gehört aber zu den bleibenden
Aufgaben der theologisch-exegetischen Wissenschaften, sich Rechenschaft
darüber abzugeben, weshalb für den christlichen Glauben die
ganze Bibel, d. h. das Alte wie das Neue Testament, als Heilige Schrift
vorgegeben ist (vgl. S. VII).

Nicht uninteressant ist der Hinweis R.s darauf, daß es eine
.Biblische-Theologie-Bewegung' seit den vierziger Jahren unseres
Jahrhunderts schon im anglo-amerikanischen Raum gegeben hat, in
deren Gefolge auch heute noch gewichtige Beiträge publiziert werden,
deren Positionen gerade im europäisch-kontinentalen Raum stärkere
Beachtung finden (man denke an B. S. Childs, D. L. Baker,
J. A. Sanders, B. W. Anderson und viele andere mehr; s. neuerdings
z.B. bei R. Rendtorff in der Festschrift H. J. Kraus, 1983). Damit
beginnt R. seine Übersicht (I. Die Angelsächsische „Biblische-Theo-
logie-Bewegung", S. 1-10). Unter II. „Das Verhältnis zwischen Altem
und Neuem Testament" werden sieben Kapitel unterschiedlicher
Länge und Ausführlichkeit gerafft (S. I 1-172). Ein kleineres Kapitel
widmet sich zunächst der bekannten Verhältnisbestimmung der
Testamente in G. v. Rads III. Hauptteil des 2. Bandes der Theologie
des Alten Testaments unter dem Thema „Das Modell der durchlaufenden
Heilsgeschichte" (s. schon Hauptprobleme der alttestamentlichen
Theologie, S. 96ff). An die Seite v. Rads ordnet R. Noth,
Westermann, Amsler, Cullmann, G. E. Wright u. a. (S. 12-16). Sehr
viel umfänglicher ist die Behandlung der .typologischen Sicht' des
Verhältnisses, in welcher R. auch der römisch-katholischen
Forschung einen eigenen Abschnitt widmet (S. 16-38; 32-38).
Letztere hatte auch in der Debatte um den sensus plenior einen erheblichen
Anteil (S. 39-49). Nicht fehlen kann in der Übersicht das
beliebte Schema von Verheißung und Erfüllung (S. 49-56), obwohl
altbekannte Namen erneut auftauchen (G. v. Rad. W. Zimmerli,
C. Westermann, in charakteristischer Eigenprägung F. Baumgärtel
u. a.). Doch ist es. wenn man thematisch vorgeht, nicht zu vermeiden,
daß ein und derselbe Forscher unter verschiedenen Gesichtspunkten
zu Worte kommt. Immerhin ist es interessant, daß selbst
H. H. Rowley diesem Modell einen Sinn abgewinnen konnte (S. 55).

Eine fast einseitige Bevorzugung des Alten Testaments als der eigentlichen
Bibel gegenüber dem Neuen Testament begegnet Mitte der
fünfziger Jahre bei dem reformierten Holländer A. van Ruler. Dieser
erregte mit seinen weitausgreifenden ungewöhnlichen Thesen (Vorzug
des Doxologischen gegenüber dem Soteriologischen) weithin Aufsehen
. Ihm an die Seite gestellt wird die starke Akzentuierung des
Alten Testaments durch K. H. Miskotte (ebenfalls einem Niederländer
), der freilich noch andere Aspekte in die Debatte bringt, z. B. die
Berücksichtigung der Äußerungen jüdischer Frömmigkeit für das
rechte Verstehen des Alten Testaments (Buber, Rosenzweig, Ben
Chorin). An dieser Stelle ist auch K. Barth zu nennen, der sich immer
wieder mit der Judenfrage als einer für die Kirche bedeutsamen
beschäftigt hat und sie bis zuletzt als eines der wichtigsten theologischen
Probleme offenhielt (bei R. zusammengefaßt zu 5. Der Vorzug
des Alten Testaments, S. 56-66). Überrascht ist man bei R. über den
nun folgenden ,Exkurs',Israel und die Kirche' (S. 67-125), der schon
allein vom Umfang her ein starkes Gewicht erhält. Die Diskussion
über das Verhältnis zwischen Kirche und Judentum hat sich besonders
nach dem zweiten Weltkrieg stark entfaltet und wird immer
intensiver geführt. Dabei spielen die innerneutestamentlichen Stellungnahmen
zum Judentum in zunehmendem Maße eine theologisch
-exegetische Rolle (Rom 9-11; Gal3; Eph2; das Torah-
Verständnis Jesu und des Paulus usw.). Offizielle Erklärungen von
Kirchen und kirchlichen Körperschaften mit derdazutretenden interpretierenden
, kommentierenden, anfragenden und kritisierenden
Literatur, aber auch theologische Untersuchungen und Studien haben
ein inzwischen fast unübersehbares Schrifttum hervorgebracht. Angesichts
dieser Tatsache muß man R. grundsätzlich dafür dankbar sein,
daß er mit seinem .Exkurs' einen Versuch der Sammlung und Sichtung
dieses Materials unternommen hat. Gewiß gehört nicht alles in
den Sachzusammenhang der .Biblischen Theologie' hinein, wenngleich
auch ein mehr oder weniger direkter (manchmal wahrscheinlich
mehr indirekter) Bezug nicht zu leugnen ist. Die Sache des Alten
Testaments geht hart neben dem Miteinander von Altem und Neuem
Testament in der christlichen Kirche innerhalb des Judentums, ja vor
allem des zeitgenössischen Judentums, weiter. Und an der genannten
Diskussion beteiligt sich durchaus auch die jüdische Seite. Zu den
bekannten Reizthemen gehören u. a. die Fragen nach der Messianität
Jesu, der Judenmission, des Selbstverständnisses und der theologischen
Interpretation des modernen Staates Israel (.Landverheißungen
'). Ein Abschluß dieser Auseinandersetzungen ist noch längst nicht
abzusehen. Als letztes Kapitel (7) in diesem ausführlichen zweiten
Teil, in welchem unter verschiedenen Aspekten das Verhältnis der
Testamente zueinander behandelt wird, führt R. die neueren Untersuchungen
zum .Problem des Kanons' vor (S. 125-137), wobei u.a.
noch einmal auf B. S. Childs und die durch ihn ausgelösten Stellungnahmen
eingegangen werden mußte. Den Schluß dieses Übersichtsbandes
bildet ein III. Hauptteil (S. 138-172), den R. mit .Neuansätze
einer Biblischen Theologie' überschrieben hat und in dem nunmehr
die eingangs erwähnten Forscher mit ihren Arbeiten dargestellt
werden. R. systematisiert die sich ausweitende Literatur zu drei
Modellen: 1. der traditionsgeschichtliche Ansatz (H. Gese,
D. A. Knight, P. Stuhlmacher und die von O. H. Steck herausgegebenen
Studien zu .Tradition und Theologie im AT'); 2. die Versuche,
von einer .Mitte' her Biblische Theologie neu aufzubauen; 3. das
ehemals .Bethelcr Modell', das vom Weltordnungsdcnken her entwickelt
wird (H. H. Schmid, U. Luck).

Es ist erneut eine immense Literatur durchgesehen, gesichtet und
geordnet worden. Schon allein in der Bereitstellung des Materials liegt
ein unschätzbarer Wert dieser Publikation. Zusätzlich läßt man sich
aber auch gern hinsichtlich der Einordnung der vielfältigen Wortmeldungen
zum Thema informieren und beraten. Es tut nichts zur
Sache, daß man hie und da eine Publikation anders verstanden hat als
der Autor. Und ihm ist die subjektive Entscheidung auch zuzubilligen
, wenn er sich gelegentlich auf einige Namen stärker konzentriert.
Man nimmt in Kauf, daß der Text schwer.zu lesen ist, weil die biblio-