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Ausgabe:

1985

Spalte:

209-211

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Hutten, Kurt

Titel/Untertitel:

Seher, Grübler, Enthusiasten 1985

Rezensent:

Obst, Helmut

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209

Theologische Literaturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 3

210

Zitater aus der Bibel steht Matthäus an der Spitze. Bei den Kirchen-
väterzitaten geht Augustin voran. Die Mystiker werden nicht mit
Namen genannt, der Herausgeber verifiziert sie jedoch genauso wie
alle anderen Autoren. Die umfangreichen sprachlichen Untersuchungen
des Herausgebers auf Grund von quantifizierenden Methoden
erbringen für den Nichtphilologen nur einen relativ spärlichen Ertrag
(Merkmale der frühneuhochdeutschen Sprachstufe, hohes Maß an
Regelhaftigkcit auf der Ebene der Graphic. Tendenz zur sprachlichen
Uberregionalität). Der aus finanziellen Gründen in Faksimile wiedergegebene
Druck Johann Grüningers von 1516 ist nicht immer gut
lesbar. Lesehilfe wird durch ein Glossar und ein weiteres Wörterverzeichnis
geboten. Als Bestseller ist der Grüningerdruck schwerlich
richtig charakterisiert (151). da nur 1520 eine Neuauflage folgte.

Die mangelhafte Faksimilewiedergabe hat den Herausgeber bewogen
, Marquards von Lindau Dekalogerklärung in einer leserlichen
Fassung erneut vorzulegen. Als Druckvorlagc wurde der 1483 von
Erhard Ratdolt in Venedig herausgebrachte Wiegendruck gewählt,
von dem der Herausgeber noch 38 Exemplare in internationalen
Bibliotheken nachweisen kann. Der Text ist der C 3-Rczcnsion
zuzuordnen, die handschriftlich im ersten Viertel des IS. Jahrhunderts
nachweisbar ist. Der Redaktor dieser Rezension bleibt nach wie
vor unbekannt. Der Herausgeber schließt aber nicht aus. daß er mit
Marquard identisch sein könnte. Für die C 3-Rczension sind eine
Reihe von Zusätzen charakteristisch, bei denen Einfluß der Legenda
aurca (4. Gebot) und der Bußbüchertradition (5. Gebot) nachgewiesen
werden kann. Die Textgestaltung versucht Treue zur Vorlage mit Lesbarkeit
zu verbinden (Vereinheitlichung der Graphic, Normalisierung
des Registers, der Dialoganlange und Kapitelüberschriften). Das
originale Druckbild wird durch ein Faksimile dokumentiert (10*).
Beigefügt sind auch Verzeichnisse der zahlreichen Emendationen
(7*-9*) und der Eigennamen (1 73-1 76). Letzteres ist allerdings recht
unbefriedigend. Die Eigennamen werden durchweg in der Druckfassung
und ohne die heutige Schreibweise wiedergegeben, z. B. Aggencs
(Haggai), Dauid (David). Hinweise zur Person einschließlich Lebensdaten
fehlen teilweise. Für die Quellenverifizierung ist der Leser auf
die Faksimilcausgabe angewiesen. Die begrüßenswerte Absicht des
Herausgebers, mit den vorliegenden Publikationen einen weiteren
Schritt auf dem Wege zur einer kritischen Ausgabe des Dekalog-
Traktats Marquards von Lindau voranzukommen, wäre an dieser
Stelle benutzerfreundlicher zu verwirklichen gewesen.

Berlin Siegfried Bräuer

Kirchen- und Konfessionskunde

Hutten, Kurt: Seher, Grübler, Enthusiasten. Das Buch der traditionellen
Sekten und religiösen Sonderbewegungen. 12. vollständig
revidierte u. wcsentl. erw. Neuausgabe. Stuttgart: Quell Verlag
1982.896 S.8geb. DM 78,-.

Der ..Hinten" ist längst zu einem Begriff für jeden geworden, der
S|ch über die religiöse Szene der Gegenwart und der jüngsten Vergangenheit
außerhalb des groß- und freikirchlichen Spektrums informieren
möchte.

Von 1950-1968 erschienen II Aullagen von stets wachsendem
Umfang. Sie spiegeln nicht nur die sich rasch wandelnden religiösen
Entwickl ungen dieser Zeit wider, sondern auch die Wandlungen im
theologischen Verständnis und in der Methode des Verlässers. Aus
einer eindeutig apologetischen Tradition kommend, hat Hutten je
länger je mehr den konstruktiven Kontakt zu den von ihm beschriebenen
Gruppen bzw. Gemeinschaften gesucht, hat deren berechtigte
kritische Hinweise und Ergänzungen aufgenommen, ohne die theologische
Auseinandersetzung aufzugeben. Stets der evangelischen Kirche
und ihrer Botschaft verpflichtet, hat ersieh, wie Reinhart Hummel
einführend bemerkt. ..nie als Vertreter kirchlicher Machtinteressen
verstanden" und ist ..nicht der Versuchung zu unkontrollierter
Polemik erlegen" (S. I I).

Der „Hutten" war und ist kein streng wissenschaftliches Sachbuch,
weder inhaltlich noch formal. Es wird informiert und erzählt, die
Stoffauswahl bleibt bisweilen recht subjektiv, das Interesse an
Aktualität und Anschaulichkeit ist stärker als das Interesse an wissenschaftlicher
Akribie und Ausgewogenheit im Detail. Diese Mischung
aus Sachinformation und farbiger Darstellung ist nicht zuletzt der
Grund lür den Erfolg dieses Werkes weit über den Kreis der Fachleute
hinaus.

Die nun vorliegende 12. Auflage kann als Abschluß des Lebenswerkes
des Altmeisters der ..Sektenforschung" angesehen werden.
Daß sie 14 Jahre nach der I I. Aullage und fast 5 Jahre nach dem Tod
des Autors doch noch erscheinen konnte, ist nicht zuletzt das Verdienst
der EZW Stuttgart, deren Leiter Hutten bis zu seiner Pensionierung
war. Ingrid und Hans-Diether Reimer haben die entsagungsvolle
Aufgabe übernommen, das Manuskript druekfertig zu machen
und. wo dies notwendig erschien, auf den aktuellen Stand zu bringen.
Ihnen ist neben dem Gcsamlregister auch das auf den neuesten Stand
gebrachte übersichtliche Literaturverzeichnis zu verdanken. Auf
einen Bildteil w urde leider verzichtet.

Die 12. Auflage präsentiert sich als „vollständig revidierte und
wesentlich erweiterte Neuausgabe". Viele Teile - nicht alle - wurden
neu geschrieben, erweitert bzw. korrigiert. Positiv lallt dies bereits bei
dem ersten Beitrag „Die katholisch-apostolischen Gemeinden" auf.
Streichungen von Gruppen, die in früheren Auflagen berücksichtigt
sind, erfolgen dort, wo kaum noch ein aktueller Bezug gegeben ist
(z. B. Bund der Kämpfer für Glaube und Wahrheit: Gottesbund Tana-
tra). Die Grundzüge der Gliederung entsprechen denen vorangegangener
Auflagen. Fraglich bleibt nach wie vor die Zuordnung der einzelnen
Gruppen unter Sachgesichtspunkten. Dies wird im zweiten
feil „Der Schritt über die Rechtfertigung hinaus" und im dritten feil
„Der Ruf nach Heilung des Lebens" besonders deutlich. Plingstbcwe-
gung und charismatische Bewegung stehen unter der gleichen Sachüberschrift
im zweiten Teil neben der Christlichen Gemeinschaft Hirt
und Herde. Die Heilungsbewegung bildet einen Anhang zum zweiten
Teil, während im dritten Teil vor allem die Christliche Wissenschaft
und die Mazdaznan-Bewcgung eingeordnet sind. Bemerkenswert ist in
diesem Zusammenhang ferner, daß die Christengemeinschaft zwar
weiter im sechsten Teil „Die Geheimnisse hinter dem Vorhang" zu
linden ist, aber durch die Zwischenüberschrift „Erneuerter Kultus"
deutlich von den anderen Gruppen abgehoben wird.

Der sechste Teil bringt die umfangreichsten und gewichtigsten
Ergänzungen. Sie sollen im folgenden besonders hervorgehoben werden
, auch wenn zu den Neubearbeitungen der übrigen in der Grundstruktur
aus der I I. Auflage übernommenen Teile im einzelnen Korrekturen
und kritische Bemerkungen anzubringen wären. Der sechste
Teil beginnt mit erweiterten Darstellungen über Leben und Werk
Emanuel Swedenborgs und Jakob Lorbers wie der von ihnen ausgehenden
Wirkungen. Bedenkenswerte, jedoch auch zu hinterfragende
Ergebnisse der jahrzehntelangen Auseinandersetzung des Theologen
und Christen Kurt Hutten mit dem Phänomen „Neuoffenbarungen"
treten im Abschnitt ..Offenbarungen'.' Oder was sonst?" hervor. Trotz
mancher Einschränkungen kommt er zu einer überraschend positiven
Einschätzung des Werkes dieser beiden überragenden Gestalten unter
den „klassischen Propheten der Neuzeit": „Ich halte dafür, daß sie.
jeder in seiner Weise, vom Heiligen Crcist gebraucht wurden zur
Bewältigung einer Epoche schwerer innerer Krisen. Gewiß, sie waren
irrende Menschen. Sie entrichteten dem Zeitgeist ihren Tribut. Aber
sie waren zugleich vom Himmel Erleuchtete und erschlossen befreiende
Horizonte. Man sollte mit ihnen nach dem bewährten Rat verfahren
: .Prüfet alles, und das Gute behaltet" (I .Thess. 5.21)."
(S. 619)

Relativ breiter Raum wird unter der Überschrift „Weitere Empfänger
des Inneren Worts" anderen Ncuoffcnbarungen eingeräumt, die
sich selbst mehr oder weniger direkt in der Traditionslinie Jakob