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Ausgabe:

1985

Spalte:

204

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Kilwardby, Robert

Titel/Untertitel:

Quaestiones in Librum Tertium Sententiarum. I: Christologie 1985

Rezensent:

Heidrich, Peter

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 3

204

stellt, von den eigentlichen Kommentaren über Predigtreihen, einzelne
Themenpredigten, erklärende Scholien bis hin zu den Katenen,
in denen sich älteres Gut erhalten hat. Zugleich wird deutlich, wie bei
aller Fülle des Erhaltenen doch vieles verloren ist. So bleiben von
manchen Namen nur Spuren. Ein Theodor von Herakleia etwa, dem
Hieronymus einen vollständigen Psalmenkommentar zuschrieb, verflüchtigt
sich so sehr, daß sich die Vermutung ergibt, Hieronymus
habe ihn einfach mit seinem Namensvetter von Mopsuhestia verwechselt
(S. 750. Spezielle Formen, die in der Spätzeit systematisiert
wurden, erhalten zum Schluß eine eigene Würdigung: die Prologe,
die Tituli Psalmorum, welche die christliche Deutung hervorheben,
und die Kollektengcbete, die aus dem liturgischen Gebrauch des
Psalters erwuchsen.

Euagrios Pontikos war in Kap. I kurz behandelt worden
(S. 121-126). Kap. 3 nimmt das Thema detailliert auf (S. 203-270,
gefolgt von Übersichten und Tafeln mit zugehörigen Erläuterungen).
Im Unterschied zu Kap. 1-2 ist dieser Teil bereits vor mehreren
Jahren ausgearbeitet worden, vor Arbeiten wie der Dissertation
G. Dorivals von 1975 über die Katenen zu Ps I 18. Auf die diffizilen
Untersuchungen über die Euagrios-Scholien in den verschiedenen
Katencntypcn kann hier nicht im einzelnen eingegangen werden.
Hervorgehoben sei die klare terminologische Unterscheidung im
Gefolge von M. Richard (S. 206): ein Text ist gekürzt (abrege), wenn
die erhaltenen Partien in sich unverändert sind, zusammengefaßt
(resume), wenn dabei der Wortlaut neu formuliert wurde. Der Begriff
Katene (chaine) gilt für Auszüge aus zwei oder mehr Quellen,
während eine Auswahl (ecloge) aus einem einzigen Autor genommen
ist.

Für Euagrios ergibt sich, daß seine Erklärungen in einer „quasidirekten
" Überlieferung als Randscholien in zwei späten Handschriften
des Thcodoret-Kommentars (Vat.gr. 1272 und Barb. gr. 548)
vorliegen, in Katenenüberlieferung im vorzüglichen Vat. gr. 754 aus
dem frühen 10. Jahrhundert. Zusammen liefern diese Zeugen klare
Kriterien für die Bewertung der in einer Reihe von Katencntypcn verstreuten
sonstigen Überlieferung. Erschwert wird die Arbeit dadurch,
daß das Gut des Euagrios nie unter seinem Namen erscheint, sondern
unter dem des Origenes oder aber anonym. Das abschließende
Stemma führt augenfällig vor, ein wie vielfältiges Material zu bewältigen
war.

Einen besonderen Hinweis verdienen die 31 meist ganzseitigen
Handschriftenfotos-die zugleich eine Einführung in die Paläographie
griechischer Katenenhandschriften sind. Dank den ausführlichen
Erläuterungen wird deutlich, worauf es bei jedem Beispiel besonders
ankommt. Z. T. bilden sie die Basis für die Probe-Edition ausgewählter
Abschnitte. Wichtig ist die Entdeckung eines Selbstzitats zu
Ps. 143,1, wo Euagrios auf die ausführlichere Behandlung des Themas
in seinem „Monachos" verweist - und sich damit als Autor identifiziert
. Da die Handschriften das Wort abgekürzt und z.T. entstellt
haben, war die Entdeckung des Richtigen nicht leicht.

Der Band schließt mit einem Index der Handschriften, einem
Generalregister und einem Index der modernen Autoren.

Bei der Fülle der Namen und Stellen sind einzelne Lapsus kaum zu
vermeiden. Als Zeichen aufmerksamer Lektüre, nicht kleinlicher Kritik, seien
die Namen Cullmann (S. 13, Register richtig), Dassmann und Kocncn richtiggestellt
. S. 57 Z. 12 lies 150 (statt 100). Merkwürdig ist. daß die Autorin ihre
eigene Arbeit in den OCP von 1960 mit unterschiedlichen Seitenzahlen und an
2 von 6 Stellen (S. 81, 222) mit Wortumstcllung im Titel zitiert und ihren Aufsatz
RHR 1967 mit freier Variation des Titels anführt. Die S. 152 Anm. 42
gegebene Passage aus Haendlcrs einleitend genanntem Aufsatz ist nicht Übersetzung
, sondern sinngemäße Übertragung ins Französische, sollte also ohne
Zitatzeichen stehen.

Wünschen wir der gelehrten Verfasserin einen glücklichen Fortgang
der Arbeit an der Textausgabe der Psalmcnerklärung des Euagrios,
für die sie sich mit gründlichen Vorstudien qualifiziert hat!

Berlin Kurt Treu

Kilwardby, Robert: Quaestioncs in I.ibrum Tertium Sentcntiarum. 1:

Christologie. Hrsg. von E. Gössmann. München: Verlag der Bayerischen
Akademie der Wissenschaften; Beck i. Komm. 1982. 64* S.
u. 260 S. gr. 8" = Veröffentlichungen der Kommission für die
Herausgabe ungedruckter Texte aus der mittelalterlichen Geisteswelt
, 10. Kart. DM 65,-.

Zweifach ist die Aufgabe des Historikers: er muß Quellen bereitstellen
, er muß die Quellen deuten und verarbeiten. Beides macht Mühe.
Während Zusammentragen und Deuten der Quellen zu einem
Gesamtbild beitragen, das im ldcalfall auch künstlerisch befriedigt,
verlangt die Herausgabc von Quellen mehr Entsagung, sie tröstet nur
durch das Wissen, diese Kärrnerarbeit sei unerläßlich.

Es sind erst 100 Jahre her, seit uns in größerem Maße Quellen aus
der Geisteswelt des Mittelalters zugänglich gemacht werden, was das
bekannte Urteil über Scholastik um so fragwürdiger macht. Michael
Schmaus, Vorsitzender der Kommission für die Herausgabe ungedruckter
Texte aus dem Mittelalter, regte die vorliegende Veröffentlichung
an. Die Hcrausgeberin ist durch Arbeiten speziell über
Alexander von Haies ausgewiesen, was sie jetzt vorlegt, ist eine eindrückliche
Edition. Sie dankt zu Recht dem Verlag und dem Satzstudio
, die Leser werden darüber hinaus besonders der Herausgeberin
Dank wissen.

Mit Robert Kilwardby wird ein älterer Zeitgenosse des Aquinaten
uns näher erschlossen, ein Dominikaner, Erzbischof von Cantcrbury.
Seine Selbständigkeit gegenüber Thomas ist bekannt. Die Edition läßt
uns seine Art, christologischen Fragen nachzugehen, kennenlernen.
Eine Einleitung von 64 S. geht der Edition voraus, 50 Quaestionen auf
247 S. bilden den Hauptteil des Buchs, dem Indices folgen.

Die Einleitung stellt sich nicht die Aufgabe, Robert Kilwardbys
Bedeutung Für die theologische Sprachkritik zu würdigen. Sie stellt
zunächst ausführlich die Handschriften vor, die hier ediert werden.
Auf Stcmmatik wird verzichtet, weil dazu das Material nicht ausreicht
. Von besonderem Interesse ist die Behandlung der Struktur der
Quaestionen. Die Herausgeberin unterscheidet zwischen voll durchgeführten
und untergeordneten Quaestionen. Letztere stehen
zwischen Hauptquacstionen oder sind in solche eingefügt. Einlei-
tungsformcln lassen den Charakter der jeweiligen Quaestion erkennen
. Hilfreich ist, daß die Herausgeberin graphische Darstellungen
benutzt, um die mitunter sehr komplizierte Struktur anschaulich zu
machen. Die 13 Zeichnungen stellen verschiedene Formen des Aufbaus
dar, sie werden auch knapp kommentiert, etwa im Blick auf
Kilwardbys Art, seine eigene Meinung zur Geltung zu bringen. Der
unterschiedliche Charakter der Quaestionen führt in der Überlieferung
zu verschiedenen Zählungen, die Edition führt ohne Rücksicht
auf Angaben in den Handschriften eine eigene Quaestionenzäh-
lung durch, was sich als nachteilig herausstellen kann, falls sich ältere
Zitate nicht auf die vorliegende Edition beziehen sollten.

Dem Index entnimmt der Leser, welchen Fragen Kilwardby in
seiner Christologie nachgeht. Es ist der Herausgeberin zu danken, daß
sie das in einem Einleitungskapitel ausdrücklich behandelt:
Kilwardby schreibe weder über heilsgeschichtliche Fakten noch zu
metaphysischen Fragen, „ihm geht es vom Standpunkt des Logikers
aus vor allem um die Theorie der Hypostatischen Union und die
Weisen ihrer Prädikation" (S. 42*). Dem PersonbegrilT. der Frage
nach der Verehrungswürdigkeit der menschlichen Natur widmet sich
Kilwardby. Er schreibt weniger einen Sentenzenkommentar als
Quaestionen zu den Sentenzen. Daß Augustin so oft zitiert wird, kann
niemanden überraschen. In der Häufigkeit des Zitiertwerdens folgt
Johannes von Damaskus. Im abschließenden Kapitel der Einleitung
macht die Herausgeberin ihre Kenntnisse fruchtbar, indem sie darstellt
, wie Kilwardby den PersonbegrilT behandelt. Welche Bedingungen
kennt K. für diesen Begriff, welche causac individuationis hält
er für möglich, kommt der anima separata Personscin zu - das wird
dem Leser vorgeführt, so daß er interessiert ist, das ausgezeichnet
gedruckte Werk zu studieren.

Rostock Pctcr Heidrich