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Ausgabe:

1985

Spalte:

198-199

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Lutherjahrbuch ; 1984 1985

Rezensent:

Koch, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 3

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Da nur ganz vereinzelt Bilddokumente. Porträts von Cranach etwa,
abgedruckt werden, bietet der Band einen eigenen Themenkreis, der
sich nicht etwa mit der Bildbiographie Luthers von Joachim Rogge
oder auch den BildverölTentlichungen über die Lutherstadt Wittenberg
überschneidet.

Die Qucllenauswahl umfaßt nicht nur die gesamte Lebenszeit
Luthers, wenn auch das Schwergewicht auf dieser Zeit liegt, sie setzt
bereits im letzten Viertel des 1 5. Jahrhunderts ein und erstreckt sich
bis zum berühmten Grcifswaldcr Croy-Tcppich von 1554 bzw. dem
Augsburger Religionsl'ricden von 1555. Das ursprüngliche Ziel, nur
die Zeit Luthers zu erfassen, mußte im Interesse des Gesamtzusammenhanges
an wenigen Stellen durchbrochen werden, weil einige
wesentliche Entwicklungslinien allein mit schriftlichen oder gegenstandlichen
Zeugnissen konfrontiert werden konnten, die vor 1483
oder nach 1546 entstanden sind. Wenn auch natürlich bei Luther
keine neuen Dokumente erwartet werden konnten, so können doch
auch hier durch den Rückgriff auf die Originalüberlieferung, der
erneuten wissenschaftlichen Durchdringung und der editorischen
Bearbeitung wie auch aus dem Ineinanderfügen von amtlichen und
persönlichen Dokumenten sicher im Detail neue Einsichten gewonnen
werden.

Als äußerst hilfreich und von einer bis ins kleinste gehenden Sachkenntnis
erweisen sich die umfangreichen und ausführlichen Kommentare
, die jedem abgebildeten Dokument beigegeben sind, etwa bei
der Beschreibung der Abbildung der Himmclserscheinung in Wien
1520 (Nr. 47). beim Streit zwischen den Wittenberger Druckern um
den geschäftlichen Erfolg bei Luthers Bibeldruck (Nr. 85) oder der Geschichte
der Grabplatte Luthers (Nr. 179), um nur drei der Dokumente
mit ihren Erläuterungen zu nennen.

Durch die Verarbeitung der einschlägigen, auch der abgelegensten
Literatur entsteht so hier eine regelrechte Reformationsgeschichte mit
erstaunlichen Details, bei der zeitweise sogar das gute Bild von dem
hervorragenden Text verdrängt wird. Man muß den als Archivaren
tätigen Historikern, sieher allen voran dem Leiter des Ernestinischen
Gesamtapchivs in Weimar, Dr. Ernst Müller, für diese wissenschaftliche
Leistung hohe Anerkennung zollen. Es wird eine sachliche und
objektive Information nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen
geboten. Diese objektive Darstellung fällt besonders im
Bauernkriegskapitel (etwa Nr. Iii) auf, wo sich die modifizierte Sicht
der marxistischen Geschichtswissenschaft von Luthers - durchaus
nicht unumstrittener - Haltung im Bauernkrieg auch hier durchgesetzt
hat.

Der Band ist in vier große Kapitel mit mehreren Unterabteilungen
eingeteilt: 1. Am Vorabend der Reformation (1483-1517) [mit 36 Dokumenten
]. Unterabteilungen sind etwa: Bergbau, Reichsreform,
Türkengefahr, Kirchliche Zustände, Ablaßhandel. Luthers Elternhaus
. Erfurt usw.

II. Von Luthers 95 Thesen bis zur Niederlage der Bauern im deutschen
Bauernkrieg (1517-1526) [87]. Untertitel sind: Antirömische
Bewegung. 95 Thesen. Leipziger Disputation. Bruch mit dem Papsttum
. Volksreformation. Worms, Wittenberger Unruhen, Zwickauer
Propheten. Streitschriften. Bibelübersetzung, Reichsritterschaft,
Müntzer. Wittenberger und Leisniger Kastenordnung. Zwölf Artikel,
Luthers Auftreten gegen die Bauern, der Thüringer Aufstand. Frankenhausen
. Täuferbewegung usw.

HI. Reformation und Territorialstaat (1526-1546) [99] mit: Territoriale
Ausweitung der Reformation, landesherrliches Kirchenregiment
, wirtschaftliche Tendenzen, soziale Zustände, Kirchenmusik.
Visitationen. Kirchenordnungen. Eherecht und Konsistorien, Evangelische
Bischöfe. Luthers Familienleben. Haushalt, privates Vermögen
. Fürsprache Für Notleidende. Testament und Nachlaß. Entwicklung
der Reformationsbewegung. Reichstage. Rcligionsge-
spräche, Bekenntnisschriften, der Kampf von Papst und Kaiser gegen
die Reformation, katholische Bündnisse, evangelische Bündnisse,
Packsche Händel. Schmalkaldischer Bund. Konzil von Trient usw.

IV. Vom Schmalkaldischcn Krieg bis zum Augsburger Religionsfrieden
(1546-1555) [22] mit: Ursachen und Verlauf des Schmalkaldischcn
Krieges, Kurfürst Moritz und Kaiser Karl V., Interim.
Passauer Vertrag. Fürstcnrebellion und Augsburger Religionsfrieden
sowie die Darstellung des Druckes von Luthers Werken und Kunstwerken
zur Fürstenreformation usw.

Jedem der vier Kapitel ist eine ausführliche Einleitung vorangestellt
, die einen Überblick über die Zeit des behandelten Kapitels
gibt. Hat man die vorzüglichen Kommentare mit den immer wieder
auch den Kundigen frappierenden Einzelheiten gelesen und wünscht
weitere Information, so findet man in einem rd. 75 Seiten starken
Anhang zu jedem Bilddokument ein ausführliches Literaturverzeichnis
, den Quellennachweis und auch die Stelle, wo das Dokument
bereits abgedruckt wurde. Besonders begrüßenswert ist die Übertragung
fast aller Texte, zumindest derer, die schwer lesbar sind, wenn es
sich um handschriftliche Dokumente handelt. Leider hat man nicht
alle Texte abgedruckt, es fehlen u. a. die wegen ihrer geringen Größe
schwer lesbaren 95 Thesen Luthers oder auch das Prager Manifest
Müntzers. Oft wird im Anhang mehr Text geboten, als es bei der
Abbildung ersichtlich ist, wenn es der Sinnzusammenhang erfordert.
Im Zeitalter der immer geringer werdenden lateinischen Kenntnisse
wäre man auch für eine Übersetzung der lateinischen Texte ins Deutsche
dankbargewesen.

Ein großes Literaturverzeichnis sowie ein Register runden den
schönen Band ab. der durch seine repräsentative Aufmachung sicher
den ersten Platz in der Fülle derartiger Publikationen zum Gedächtnisjahr
Luthers einnehmen wird. Die sorgfältige Herstellung auf
bestem Material rechtfertigt den relativ hohen Preis des Werkes, das
sicher bei historisch / theologisch / germanistisch interessierten Fachleuten
, aber auch bei ebenso interessierten Laien viele Freunde gefunden
haben wird.

Berlin Hans-Ulrich Delius

Lutherjahrbuch. Organ der internationalen Lutherforschung. Im Auftrag
der Luther-Gesellschaft hrsg. von H. Junghans. 51. Jahrgang
1984. Göttingen: Vandcnhoeck & Ruprecht 1984.200 S. 8".

Ein Nachruf auf Erdmann Schott, verfaßt von Martin Seils, steht
an der Spitze der Beiträge dieses Jahrgangs. Seils würdigt Schott als
Theologen und als Forscher auf dem Hintergrund ihm eigener Akzente
in Bildung und Glauben.

Vilmos Vajta befaßt sich mit einem in der Lutherforschung immer
wieder vernachlässigten Aspekt von Luthers Ekklesiologie: „Die Kirche
als geistlich-sakramentale communio mit Christus und seinen
Heiligen bei Luther". Die Grundlegung des communio-Gedankens in
Luthers früher Theologie und die Entfaltung und bleibende Bedeutung
der sakramentalen communio bei Luther bilden die beiden
Hauptbereichc von Vajtas Untersuchung. Sic beschränkt sich nicht
auf die Nachzeichnung und Profilierung des communio-Aspektes in
Luthers früher Sakramentstheologie (etwa noch dazu im Gegensat/ zu
Luthers späterer Entwicklung), sondern erkennt in der communio ein
von Luther nicht mehr aufgegebenes Strukturelement von Ekklesiologie
. Sakramentstheologie und Goltesdienstlehre. Gerade auf die Einheit
und gegenseitige Durchdringung dieser drei Lehrstücke durch den
communio-Aspckt kommt es Vajta an. Somit ergeben sich auch in der
Auseinandersetzung mit der Forschung neue Erkenntnisse zum Thema
der Hciligenverehrung bei Luther.

In einem Beitrag: "The German Lutheran Reaction of the Third
Pcriod of the Council of Trent" verfolgt Robert Kolb sowohl die
,,offizicM"-turstlichen Äußerungen wie auch die Äußerungen aus
dem Flacius-Kreis zur Fortsetzung des Tridentinischen Konzils ab
1561. Er arbeitet heraus, daß diese Äußerungen Motive der Polemik
der Jahre 1546-1548 neu aufnehmen und sie auf die Situation
15 Jahre danach anwenden. Die Äußerungen des Flacius-Kreiscs sind
erste gewichtige Sachauseinandersetzungen mit den großen Konzilsthemen
neben Martin Chemnitz' Examen Concilii Tridcntini. Frei-