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Ausgabe:

1985

Spalte:

191-193

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Les actes apocryphes des apôtres 1985

Rezensent:

Broek, Roelof

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Theologische Literaturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 3

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der Formgeschichte am Rande zugeordnete ..Tradilionsgeschichte"
ab, die sich mit der Entwicklung von nicht gattungsgebundenen Vorstellungen
und Vorstellungskomplexen beschäftigt. Könnte man hier
nicht besser von ..Motivgeschichte" reden? Ebenso liegt es nahe, in
diesem Zusammenhang den religionsgeschichtlichcn Vergleich zu
einem selbständigen Thema zu machen. Seine hermeneutische Relevanz
ist ja nicht zu übersehen. Endlich fallt auf, daß R. die in den letzten
Jahren stark ins Gespräch gekommenen linguistischen Methoden
völlig übergeht. Da der Student in der Literatur doch auf sie stößt und
vermutlich ihnen nicht selten ratlos gegenübersteht, wäre ein Mindestmaß
an Information gerade auch dann notwendig, wenn man eine
kritische Zurückhaltung nach wie vor für angemessen hält. Fragen der
individuellen Struktur eines Textes (sprachlich wie sachlich) können
von den klassischen Methoden der Exegese schwerlich ganz erfaßt
werden. Hier sollte eine mögliche Horizonterwcitcrung der Exegese
zumindest signalisiert werden. Rez. ist überzeugt, daß die Berücksichtigung
der angemerkten Fehlanzeigen in einer sicher fall igen Neuauflage
den unbestreitbaren Wert des von R. so umsichtig und überzeugend
angelegten Arbeitsbuches nur erhöhen könnte.

(ireifswald Günter Haufe

Les Actes Apocryphcs des Apötres. Christianisme et monde pai'cn.
Genf: Labor et Fides 1981. 338 S. gr. 8° = Publications de la Faculte
de Theologie de l'Universite de Geneve, 4.

Diese Sammlung Studien ist die erste Frucht der Zusammenarbeit
einer Gruppe Schweizer und französischer Gelehrter, die unter der
Leitung von F. Bovon die «Association pour l'etude de la litterature
apoeryphe ehretienne» bilden. Es ist vielleicht nützlich, den Lesern
über diese Arbeitsgemeinschaft einige nähere Auskünfte zu geben.
Der schweizerische Zweig hat sich als Ziel gestellt, die apokryphen
Apostelgeschichten aufs neue zu untersuchen und herauszugeben; der
französische Zweig beschäftigt sich mit den apokryphen Evangelien.
Die neuen Ausgaben, gestützt auf ein eingehendes Studium der handschriftlichen
Überlieferung, werden in einer neuen Reihe des Corpus
Christianorum, der Series Apocryphorum, erscheinen. In dieser Reihe
werden nicht nur griechische und lateinische, sondern auch sy rische,
koptische und armenische Texte, mit Übersetzung, herausgegeben
werden. Die folgenden Bände sind jetzt vorgesehen: Acta Johannis
(E.Junod und J.-D. Kaestli; 1983 erschienen), armenische Apostel-
legendcn (L. Leloir), Apocalypsis Esdrae (D. Ellul), Ascensio Isaiae
(A. Acerbi u. a.). Acta Andreae(J.-M. Prieur), Acta Petri(G. Poupon),
Acta Philippi (B. Bouvicr und F. Bovon), Acta Pauli (W. RordorQ.
Acta Thomas (P. Fl. Poiricr und Y. Tissol), koptische apokryphe
Apostelgeschichten (F. Morard). Abgarzyklus (A. Desreumauy), V
und VI Ezra (P. Geoltrain), Apocalypsis Zachariae(J.-D. Dubois), die
zwei apokryphen Offenbarungen des Johannes (J.-C. Picard), Acta
/'//«//(M. Morgen). M. Geerard bereitet eine C'lavis apocryphorum
vor.

Das vorliegende Werk über die apokryphen Apostelgeschichten
(aA) besteht aus vier Teilen. Der erste Teil enthält drei Aufsätze:
E. Junod bespricht das Urteil des Photius (Codex I 14) über die aA;
G. Poupon gibt eine ausgezeichnete Übersicht über die Geschichte
der älteren Forschung, von Jacques Lcfevrc d'Etaplcs (1512) bis zu
J. A. Fabricius (1703); und J.-D. Kaestli bespricht die Themen der
neueren Forschung. Die vielerörterte Frage, ob die aA zur Literaturgattung
des griechischen Romans gehören, beantwortet Kaestli in dem
Sinne, daß sie nicht ohne weiteres als christliche Romane charakterisiert
werden können. Der Einfluß der romanhaften Literatur der
Antike kann nicht verneint werden, namentlich das erotische Element
muß hier seinen Ursprung haben; aber andere Elemente, z. B. das
thaumaturgische, können nicht von dem Roman hergeleitet werden.
Kaestli hat den Eindruck, daß die aA mit keiner einzigen Literaturgattung
der Antike exakt übereinstimmen und deshalb wohl eine
«creation originale du christianisme» sein könnten.

Die zweite Abteilung des Buches handelt von der Figur des Apostels
in den aA. G. Poupon bespricht die Beschuldigung der Magie, die
vielfach gegen die Apostel erhoben wird; F. Morard schreibt über Leiden
und Martyrium des Apostels in den aA, Y. Tissot über ihren
Enkratismus; J.-M. Prieur behandelt die Auffassung des Apostels in
den Andreasakten, und F. Bovon vergleicht die Angaben über die
Apostel in der Bibel mit denen der apokryphen Erzählungen. Mit
Recht setzt Poupon die Anklage der Magie in die Perspektive des
allgemeinen Zauberglaubens der nachchristlichen Jahrhunderte. Er
fragt, ob nicht die Zurückweisung dieser Anklage zeige, daß die aA
nicht nur für Christen geschrieben wurden, sondern auch dem Zweck
der Propaganda dienten. Francoisc Morard zeigt, daß das Thema des
Leidens Parallelen in der Romanliteratur hat. sich jedoch davon
wesentlich unterscheidet durch die pessimistische Beurteilung der
Welt und der menschlichen Existenz. Nach Tissot sind nur die
Thomasakten völlig enkratitisch: in ihnen scheiden sich die Eheleute,
und das ist der Grundton des ganzen Werkes. Prieur zeigt, daß in den
Andreasakten, mehr als in den anderen, es nicht der Apostel selbst ist,
der handelt, sondern Christus in der Person des Apostels. Bovon zieht
den Schluß, daß die aA, abgesehen von einigen historischen Elementen
, reine Fiktion sind, daß sie Propagandaschriften sind, und daß sie,
jede nach ihrer Weise, die Grenzen der Orthodoxie auf dem Gebiete
der Lehre und der Moral überschreiten.

Der dritte Teil enthält eine Studie von R. Goulet über die Lebensbeschreibungen
spätantiker Philosophen und eine Verglcichung
dieser Vitae mit den aA von E. Junod. Die UntersuchungGoulcts hat
eine Bedeutung, die weit über die Problematik der aA hinausreicht.
Sie sollte von jedem, der sich mit dem spätantiken Menschenbild
befaßt, gelesen werden. Goulet zeigt, daß die Vitae der Philosophen
ein protreplisches Ziel anstreben: sie wollen die Welt- und Lebensanschauung
der einzelnen Schulen adstruicren. Einerseits wird der verehrte
Lehrer heroisiert und immortalisiert, andererseits manifestiert
sich in ihm die göttliche Kraft. Junod betont, daß die aA, wie die Vitae
Philasophorum, beabsichtigen, mit ihren Geschichten eine Botschart
zu übermitteln, ohne jedoch Zeugen verschiedener theologischer
Schulen zu sein. In den aA findet man nicht sosehr die Beschreibung
exzeptioneller Persönlichkeiten, sondern vielmehr die der göttlichen
Ökonomie zum Heil des Menschen; letzten Endes geht es nicht um
das Werk des Apostels, sondern um das Werk Gottes. Die Beziehungen
zwischen den aA und den Vitae verdienen näher untersucht zu
werden. Die Untersuchung Goulets öffnet auch neue Perspektiven für
das Studium hagiographischer Texte, z. B. Athanasius' Vita An-
tonii.

Die vierte Abteilung des Buches beläßt sich mit den Überlieferungen
, Transformationen und der Verbreitung der Aposlellegenden und
enthält vier Aufsätze. Y. Tissot schreibt über die Thomasakten als
«receuil composite» und bespricht eingehend ATh 26-28 und 12. Er
zeigt, daß sowohl die griechische Version als auch die syrische überarbeitet
ist und daß es deshalb unmöglich ist, von den „ursprünglichen
Akten" zu sprechen. E. Junod untersucht die Tradition über die Verteilung
der Missionsgebiete in Euseb, Hist. Eccl. III. I. 1-3. Er
schließt, daß der Passus ein Zitat aus dem Genesiskommentar des
Origencs ist und daß die Tradition über die Verteilung der Missions-
gebietc in Edessa vor den Thomasakten entstanden ist. J.-D. Kaestli
analysiert die Berichte der aA über die Zuteilung der Missionsgebiele
an die einzelnen Apostel und die Umstände, unter denen der Apostel
seine Missionsreise anfangt. Er schließt, daß es keine Gründe gibt
zur Annahme (A. von Harnack, W. Bauer), daß die aA eine feste,
gemeinsame Anschauung über die Verteilung der Missionsgebiete
vertreten. In dem letzten Aufsatz der Sammlung, der einigermaßen
aus dem Rahmen des Bandes herausfällt, bietet M. van Esbroeck
einen ersten Versuch, die verschiedenen literarischen Texte und Traditionen
über die . [ssumptio Mariae. aus der Zeit vor dem 10. Jh., zu
ordnen. Jeder, der sich je mit diesem Stoff beschäftigt hat, weiß, wie
kompliziert die Sachlage auf diesem Gebiet ist. Wichtig ist auch die
Besprechung der frühen Pilgerberichtc über die Kirchen in Jerusalem,