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Ausgabe:

1985

Spalte:

189-191

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Roloff, Jürgen

Titel/Untertitel:

Neues Testament 1985

Rezensent:

Haufe, Günter

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Theologische Literaturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 3

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menen, die nicht den vom Kreuz ergriffenen Christen über das Kreuz
hinausführt, sondern ihm bewußt macht, was ihn ergriffen hat (349).
im Unterschied zur Ekstase bei Philo löscht bei Paulus der göttliche
Geist noetisches Erkennen nicht aus, sondern ist selbst „bewußtseinsbildende
Kraft" (361). Die Archonten sind historisch mythisch überhöhte
menschlich-politische Mächte, lernpsychologisch das den
Menschen dominierende Verstärkungssystem weit- und machtbestimmter
Weisheit und tiefenpsychologisch die Zensur des Bewußtseins
durch das geschichtliche Überzeugungssystem. Der Pneumatiker
durchschaut seinen „psychischen und sozialen Widerstand" gegen
das Kreuz: Er erlebt diese Erfahrung als „ekstatisches Aufgehen in
einem größeren göttlichen Bewußtsein" (381), das ihm Freiheit gegenüber
dem Sanktionssystem der Welt gibt. Theißens Interpretation
•asxiniert, weil sie 1 Kor 2,6-16 weitgehend positiv zu interpretieren
vermag. Dennoch bleiben Fragen: 1 Kor 2,15 bedeutet nicht nur die
Autarkie des Pneumatikers gegenüber der ihn beherrschenden Welt,
sondern auch die Autarkie des Pneumatikers überhaupt. Daß das
Vollkommene die Liebe ist (I Kor 13,10-13, vgl. 367), sagt Paulus in
I Kor 2 leider gerade nicht. Unser Text ist auch die Basis ständig neuer
kognitiv entworfener Weltintcrpretationen des Pneumatikers, die wir
m der Gnosis beobachten können, deren Bewußtsein gerade nicht
mehr kritisch durch das Kreuz an Gottes „Torheit" gebunden ist.

Das Faszinierendste an diesem Buch ist für mich die Verbindung
tiefenpsychologischer und kognitiver Aspekte: Christus ist nicht einfach
archetypisches Symbol des von der Herrschaft des nominierenden
Überich befreiten Selbst. Er mag zwar an Archetypen anknüpfen,
aber primär ist er (kognitiv) zentrales „Rollenangebot" (392) der
christlichen Religion, mit dessen Hilfe der Mensch seine Welt neu
interpretieren kann. Der kognitive Aspekt ermöglicht es, die
geschichtliche Besonderheit Christi ernst zu nehmen. Das paulinische
Christentum erweist sich als Entwurf einer Subkultur, die in
erstaunlich hohem Maße auf Konformität mit der damaligen Gesellschaft
verzichten konnte, inmitten einer Gesellschaft, deren Stärke
vielleicht gerade darin bestand, daß sie so etwas zuließ. Erklärt ist
seine Entstehung durch eine psychologische Analyse noch nicht, nur
Präziser beschrieben. Ebenso wenig ist etwas über seine Wahrheit
gesagt. Hier liegt eine Grenze jedes Erklärens. auch des psychologischen
, die Theißen sehr genau kennt.

Bern Ulrich Luz

Das entfaltet TheiUen in seinem neuesten Buch: Biblischer Glaube in evolutionärer
Sicht. München 1984.

Roloff, Jürgen: Neues Testament. Neukirchcn-Vluyn: Neukirchener
Verlag des Erziehungsvereins 1977. VIII, 284 S. 8"= Neukirchener
Arbeitsbücher.

"•■ Arbeitsbuch zum Neuen Testament. Berlin: Evang. Vcrlags-
anstalt (Lizcnzausg. des Neukirchener Verlags des Erziehungsvereins
) 1984.288 S.8*.

Das vorliegende Arbeitsbuch zum Neuen Testament ist das erste in
der Reihe der (laut Klappentext) geplanten „Neukirchener Arbeitsbücher
" zu den klassischen Disziplinen der Theologie. Vier Merkmale
sollen sie kennzeichnen: Orientierungen im theologischen
Studium, exemplarisches Lernen, problcmbezogenes Arbeiten,
gleichmäßiger Aufbau aller Themen. Schon diese Charakteristik läßt
erwarten, daß sich das Buch von R. ganz erheblich von dem 1975
erschienenen Arbeitsbuch von Conzelmann/Lindemann (vgl.
ThLZ 102. 1977 Sp. 658ff) unterscheidet. Tatsächlich muß man feststellen
, daß es sich um eine wertvolle Ergänzung handelt, die eine
bemerkenswerte systematische Gestaltungskraft verrät.

Die Zielstellung des Buches ergibt sich für R. aus dem „akuten Notstand
", daß dem Studierenden in den biblischen Fächern die Orientierung
zu verlieren droht, daß es ihm vielfach nicht mehr gelingt, „die

verschiedenen Methoden und Betrachtungsebenen selbständig zu
handhaben und für die Bewältigung konkreter Aufgaben fruchtbar zu
machen". Angestrebt wird deshalb die „Fähigkeit, anhand von exemplarischen
Themen die erlernten Kenntnisse und Methoden problembezogen
einzusetzen" (Vorwort). Um dieses Ziel zu erreichen, verzichtet
R. auf eine kompendienhafte Stoffdarbietung zugunsten von
Durchblicken durch die neutestamentliche Forschung anhand von
18 paradigmatisch und nach Sachschwerpunkten ausgewählten Themen
. Der Leser soll in immer neuen Schritten in den Prozeß exegetischen
Arbeitens eingeführt und gerade so auch eingeübt werden,
ohne sich in ständiger Methodenreflexion zu ergehen. Ein möglichst
gleichmäßiger Aufbau erleichtert dabei die Orientierung. Am Anfang
steht jeweils eine „Einführung", die in knapper Weise die Relevanz
des Themas sichtbar macht, ihm zugeordnete Aspekte nennt, die
wichtigsten Begriffe definiert und die wesentlichen Schritte für das
weitere Vorgehen anzeigt. Darauf folgt als umfangreichster Teil die
„Entfaltung", die um ständige Textnähe wie um forschungsgeschicht-
liche Zusammenhänge bemüht ist. Sachinformation einerseits, analytische
und synthetische Arbeit am Text andrerseits halten sich wohltuend
die Waage. Unter der Überschrift „Vertiefung" soll der Leser
abschließend zum eigenen aktiven Umgang mit dem Thema befähigt
werden. Diesem Ziel dienen ausgewählte Lektürevorschläge, Fragen
zur Kontrolle des Gelesenen und zur selbständigen Erkundung weiterer
Aspekte des Themas und weiterführende Literaturhinweise für
Spezialinteressenten. Bei einigen Themen folgen noch zusätzlich Exegesen
zusammenhängender Texteinheiten, die als Modelle für Seminararbeiten
und Klausuren gedacht sind. Dieser Aufbau der einzelnen
Abschnitte ist ohne Zweifel sehr überlegt und pädagogisch effektiv.
Fragen möchte man höchstens, ob die an sich meisterhaft detaillierte
Untergliederung mit z. T. vierstelligen Ziffern auf den studentischen
Leser nicht eher ent- als ermutigend wirkt.

Ähnlich gründlich überlegt wie der Aufbau ist die Auswahl der
18 behandelten Themen. Sinnvoll stehen drei Abschnitte zur allgemeinen
Auslegungsmethodik voran (5-45), die in die Literarkritik.
die Formgeschichte und die Redaktionsgeschichte einführen. Es folgen
zwei Beispiele zur Problematik geschichtlicher Längsschnitte: das
Apostelkonzil und die Anfänge des Heidenchristentums, die Entwicklung
kirchlicher Ämter (47-76). Aus dem Umkreis der Synoptiker-
Exegese werden vier Themen behandelt: Wundergeschichte. Gleichnisse
. Bergpredigt. Menschensohnworte (77-135). Die Johannes-
Exegese ist mit dem Thema der johanneischen Eschatologie vertreten
(137-152), die Paulus-Exegese mit den beiden Themen Gesetz und
Verheißung und Erfüllung (153-180). Als Beispiele für thematische
Querschnitte werden fünf Themen vorgeführt: der Tod Jesu und seine
Deutung, Auferstehung, Abendmahl, Taufe. Christushymnen
(181-257). Aus dem Umkreis der Hermeneutik verfolgt R. das Problem
der Biblischen Theologie von der Urgemeinde bis zum gegenwärtigen
Diskussionsstand (259-277).

Es kann hier nicht der Ort sein, auf die Behandlung der einzelnen
Themen näher einzugehen. Nur zwei Beobachtungen zum Gesamteindruck
seien genannt. 1) R. ist hinsichtlich Terminologie und
Arbeitsergebnissen um weitgehende Kontinuität mit der bisherigen
Forschung bemüht; nirgends werden extravagante Thesen vertreten.
2) In historischer und theologischer Hinsicht zeichnet sich eine maßvoll
kritische Position des Vf. ab, die etwa der seines Lehrers
L. Goppelt entspricht, obgleich gerade dessen Konzeption einer
biblischen Theologie abschließend auch kritisch angefragt wird (275).
Das Schwergewicht liegt für R. nicht bei der historischen Rekonstruktion
, sondern bei der verstehenden Interpretation der Texte, die sich
der Gesamtarbeit der Theologie verpflichtet weiß.

Abschließend muß auf einige m. E. bedauerliche Fehlanzeigen hingewiesen
werden. Ohne Begründung fehlt die Textkritik. Die Formgeschichte
wird so weit gefaßt, daß ihr auch die „Überlieferungsgeschichte
" (Entwicklung des Einzelstücks einer Gattung) eingegliedert
wird. Hätte ihre eigenständige Fragestellung nicht einen eigenen
Abschnitt verdient? Kaum sehr glücklich hebt R. davon die ebenfalls